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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

da ist. Aber, um Ihnen einen Gefallen zu thun, Onkel: wie kam es denn?“

„Nun also, Du kleiner Bösewicht: als Du gestern abend mit Stephanie Sommer – eine Hamburger Bekanntschaft, lieber Andree, die hierher nach Berlin übergesiedelt ist – im Deutschen Theater saßest, da überfiel mich dieser Mann im Centralhotel – das heißt, er hatte mir eine Karte geschrieben, ich war auf sein Kommen vorbereitet, und da dachte ich mir’s aus, Dich mit ihm zu überraschen!“

„Das ist Ihnen so außerordentlich gut gelungen, Onkel, daß ich fürchten muß, ich hab’ mich ganz dumm benommen.“

Andree sagte nichts dazu. Er sah in die tanzenden goldenen Lichter, die der Sonnenschein durch das reiche, bunte Herbstlaub warf, und lächelte still vor sich hin. Er war wortkarger und ernster geworden in diesen zweieinhalb Jahren, er hatte zuviel für sich gelebt und es verlernt, sich andern mitzutheilen.

Desto lebhafter war Gerda jetzt im Bestreben, ihr „dummes Benehmen“ bei der Ueberraschung wieder gut zu machen, sie erzählte angeregt von einer herrlichen Darstellung des „Prinzen von Homburg“, die gestern im Deutschen Theater gegeben worden sei, und fügte hinzu, daß Stephanie Sommer sie heute abend zu Kroll mitnehmen wolle.

„Schön!“ sagte Herr Grimm, ohne den mindesten Einspruch zu erheben. „Dann kommt Andree für den Abend zu mir, und wir können uns aussprechen!“

So geschah es denn auch. Gerda ging zu Kroll, und die beiden Freunde saßen bei einer Flasche Wein zusammen und sprachen sich aus.

„Wie ist Ihre Stimmung, Andree?“ fragte Grimm und legte seine Hand leicht auf das Knie des andern. „Sie haben mir nur äußerliche Thatsachen berichtet, und ich verdenke Ihnen das gar nicht. Jetzt aber – ich denke, Sie halten meiner Freundschaft für Sie diese vertrauliche Frage zu gute!“

„Natürlich thue ich das!“ entgegnete Andree ruhig. „Es hätte mich gewundert, wenn Sie mich dies nicht gefragt haben würden. – Zuerst war nichts mit mir anzufangen, ich war wie zerbrochen an Leib und Seele und hatte alles Zutrauen zu mir verloren – als Mensch, weil ich mich durch eine wunderschöne Form hatte betrügen lassen, ohne nach der Seele zu fragen, die darin wohnte – und als Künstler, weil ich die feste Ueberzeugung hatte, fortan nichts mehr schaffen zu können. So bin ich planlos herumgereist, fand aber keine Ruhe – auch in Rom nicht, an Werner Troosts Grab. Er kam mir sehr beneidenswerth vor, daß er da unten schlafen durfte, daß ihm Kummer und Enttäuschung erspart geblieben waren. Immer dachte ich freilich nicht so weich und elegisch: oft bin ich hart und verbittert gewesen, der Anblick der Menschen machte mich dann fast krank, sodaß ich wochenlang irgendwo hoch oben im Gebirge einsam saß, um nur kein fremdes Gesicht zu sehen, keine Stimme zu hören. Ich wurde auch körperlich krank – nun, das schrieb ich Ihnen ja – es war eine schwere Zeit, die Erinnerung kam immer wieder und quälte mich, so sehr ich auch dagegen ankämpfte.

Endlich trat eine Art von Krisis ein. Ich meinte, ein solches Leben nicht weiter tragen zu können, und aus Trotz, aus halber Verzweiflung fing ich wieder zu malen an. Ich saß damals hoch oben in Norwegen. Dort trafen mich Ihre Briefe – es war sehr gut, daß Sie mir von Stella berichteten. Sie hatten Furcht, wir könnten zufällig irgendwo zusammentreffen, das war unnütz, denn die Weltstädte und Luxusbäder, die sie liebt, hat mein Fuß nicht betreten; es war aber gut, daß ich von ihr erfuhr, ich wußte, es war die lautere Wahrheit, was Sie mir schrieben, und ich fing an, sie wunderbar gut zu ertragen – ich hatte Aehnliches vorausgesehen.

So ist’s allmählich, allmählich besser mit mir geworden – meine Arbeit hat mir geholfen. Freilich, eine ernste, ich möchte sagen, eine mühevolle Arbeit! Ich habe das Schöne oder Eigenartige, was die Natur mir bot, getreulich wiedergegeben, es waren zumeist dunkle, melancholische Vorwürfe, aber aus meiner Seele heraus hab’ ich nie Lust gespürt, etwas frei zu schaffen – niemals – bis – wunderbarerweise – heute!“

Herr Grimm unterbrach den Redenden mit keinem Wort, er sah ihn nur gespannt von der Seite an.

„Was dachten Sie sich eigentlich, als Sie diese Ueberraschung mit mir und Gerda in Scene setzten?“ fragte Andree plötzlich, anstatt seine Beichte fortzusetzen.

„Mein Gott“ – Grimm war ein wenig verlegen – „ich wollte sie erfreuen – wohlgemerkt, ‚sie‘ klein geschrieben! Ich wollte sehen, ob –“

„Ob was?“

„Ob ich richtig gerochen oder vielmehr richtig kombiniert hatte –“

„Und warum das?“

„Ich deutete es Ihnen ja schon im Thiergarten an – Gerda ist ein wunderliches Geschöpf, sie hat ein paar Anträge zurückgewiesen, die jedes andere Mädel an ihrer Stelle mit Freuden angenommen haben würde.“

„Und Sie schließen daraus?“

Grimm schüttelte ärgerlich den Kopf.

„Was ich daraus schließe, mein Lieber, das geht Sie ganz und gar nichts an!“

„Nicht?“ fragte Andree leise.

Herr Grimm fuhr herum und starrte seinem Gast eine Weile in die Augen. Dann ließ er sich mit einem Seufzer in seinen Sessel zurücksinken.

Andree lächelte ein wenig, aber seine Augen blickten sehr ernst dazu.

„Zeit lassen!“ sagte er dann gedankenvoll vor sich hin, mehr zu sich selbst, als zu seinem Freunde.

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Sie blieben dann noch mehrere Tage in Berlin zusammen – Andree war unzertrennlich von Herrn Grimm und seiner Pflegetochter. Er that nicht das, was man „den Hof machen“ nennt. Er schmachtete Gerda nicht mit Blicken an, schickte ihr keine Blumen und machte keinen Versuch, mit ihr Vielliebchen zu essen. Aber es war eine Veränderung in seinem Wesen, und Gerda merkte dies sofort. Ihn hatte es mit tiefer Rührung erfüllt, als Herr Grimm ihm angedeutet hatte, was er freilich selbst schon zu ahnen meinte: die Thatsache, daß dies junge, reine und gute Wesen eine tiefere Neigung für ihn hege. Andree hatte ein gutes Gedächtniß – jetzt besann er sich, und ihm fiel manches ein, was dafür sprach und ihn mit einer Art staunender Freude erfüllte. Und daß ihm gerade bei Gerdas Anblick zum ersten Mal wieder seit langer Zeit eine eigene künstlerische Idee kam – freilich eine, die er schon in Rom gehabt, die ihm inzwischen immer wieder aufgetaucht war – das hielt er für das beste Zeichen, und er fing an, zu hoffen, daß es, außer seiner Kunst, doch noch ein volles menschlich warmes Glück für ihn geben könne.

Er wollte aber diesem Glück Zeit lassen. langsam zu reifen, er wollte nichts überhasten – Schritt für Schritt wünschte er seinem Ziel nachzugehen.

Er hatte sich schon alles überlegt. Um Weihnachten, wenn die Prinzessin Riantzew, wie bestimmt war, in Paris sein würde – man sprach davon, daß von dort aus die ersten Schritte zur Lösung ihrer Ehe eingeleitet werden sollten! – dann wollte Andree nach Hamburg herüberkommen und im Hause seines Freundes Grimm um Gerda werben; vorsichtig und bedächtig wollte er zu Werke gehen. –

So kam der Tag heran, der Herrn Grimm und seine Pflegetochter wieder nach Hamburg zurückführen sollte. Andree wollte noch ein paar Tage in Berlin bleiben, da der kleine Hartwich sich dort ein Stelldichein mit ihm geben sollte.

Diesmal hat Andree ein herrliches Bukett für Gerda bestellt – – das ist er ihr schuldig, es ist ja der Abschied!

Sie hält die Blumen in der Hand, als sie sich im Wartesaal des Hamburger Bahnhofs treffen; ihr junges Antlitz ist heute nicht ganz so rosig und blühend wie sonst, aber die schönen Augen leuchten geheimnißvoller denn je. Andree kann den Blick nicht von ihr lassen, er verfolgt jede Bewegung der anmuthigen Gestalt und kann es nicht glauben, daß er sie jetzt nicht mehr jeden Tag sehen soll.

Herr Grimm, dem Andree etwas von seinem Plan zu Weihnachten verrathen hat, blickt auf die beiden und unterdrückt ein Lächeln. Er mahnt sehr eifrig zum Einsteigen, obgleich es noch viel zu früh ist.

Wie er aber mit Gerda allein im Wagen sitzt, erblickt er mit einem Mal draußen auf dem Perron einen ihm wohlbekannten

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