Seite:Die Gartenlaube (1891) 871.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Haben Sie denn auch ordentlich satt bekommen in der Försterei?“ fragte der neue Ankömmling, Reimann mit einem durchbohrenden, aber dabei sehr gutmüthigen, humoristischen Blick betrachtend. „Meine Braut hatte heute Kuchen gebacken – da haben Sie ’s gut getroffen! Sie hätten nur nicht so eilig sein sollen! Na – auf ein ander Mal, junger Herr,“ fuhr er fort, immer noch zu Reimann gewendet, „und wenn Sie wieder einmal vorsprechen, kriegen Sie wieder Kuchen! Ich bin nicht eifersüchtig – nicht mal auf einen so hübschen Schwarzkopf, wie Sie einer sind! Also – Glück auf den Weg!“

Und mit einem wahrhaft satanischen Gelächter, welches ihn als den Eingeweihtesten der Eingeweihten kennzeichnete, nickte der schmucke, junge Mann dem vernichteten Reimann zu und verschwand, wie er gekommen war.

Reimann aber brauchte wenigstens zwanzig Minuten, um sich so weit zu erholen, daß er in tiefster Demuth und unter heiliger Zusicherung seiner sämmtlichen alten Jahrgänge von „Jugendfreund“ und „Guter Kamerad“ seine beiden vormaligen Anbeter auf Stillschweigen vereidigen konnte. Ich muß übrigens hier zu ihrer Ehre bekennen, daß sowohl Fritz wie Müller das tiefste Stillschweigen beobachtet haben – mir ist die Geschichte ganz zufällig bekannt geworden!

Daß Reimanns Ansehen und seine Weltanschauung bei den beiden anderen aber etwas in Mißkredit gekommen sind, das kann ich nicht leugnen – es war auch nicht anders zu erwarten!

Er selbst – Reimann – hat übrigens an seinem ersten Versuch als Don Juan so wenig Geschmack gefunden, daß er vor dem Abiturientenexamen gewiß keinen zweiten machen wird, und bis dahin hat er noch lange Zeit! Eigentlich ist das auch recht gut!




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Die Gicht.

Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.

„Das Reißen in den Füßen –
Es kömmt vom Lebengenießen!“

So reimt ein altdeutscher Spruch dem vom Zipperlein Geplagten vor, und er hat mit seiner Behauptung zum Theile recht; aber nur zum Theile, wie auch der landläufige Satz, daß die Gicht eine Krankheit der Reichen sei, nur in beschränktem Maße zutrifft. Allerdings ist es eine schon seit alten Zeiten bekannte und feststehende Thatsache, daß Unmaß im Essen und Trinken, Trägheit in der Bewegung und üppige Lebensweise die Entstehung und Ausbildung jener Veränderung des normalen Stoffwechsels im Körper fördert, welche als Gicht bezeichnet wird. Das alte sittenstrenge, ernste Rom unter der zuchthaltenden Republik kannte die Gicht nur wenig; als aber mit dem Verfalle der römischen Sitten der Luxus, die Schlemmerei, der Sinnentaumel ihre Orgien feierten, da gehörte die Gicht zu den häufig beobachteten Krankheiten, und zur Zeit des Kaiserreiches war das damalige Modebad Bajae ebenso stark von gichtbrüchigen Feldherren wie von leichtlebigen Stutzern besucht.

Daß die Gicht nicht bloß die Reichen mehr als die Armen, sondern daß sie auch das männliche Geschlecht weitaus mehr als das weibliche trifft, mag ja gleichfalls darin seinen Grund haben, daß Trinken vorzugsweise eine männliche – Tugend ist. Und wenn darauf hingewiesen wird, daß ganz besonders häufig Männer der hohen Politik und der Wissenschaft die Opfer gichtischer Erkrankung werden, ja wenn ein berühmter Arzt des vorigen Jahrhunderts den Ausspruch thut, daß die Gicht mehr bei Weisen als bei Dummköpfen vorkommt, so läßt sich wohl die Erklärung darin finden, daß Männer von hervorragender gesellschaftlicher Stellung wie solche von wissenschaftlicher Bedeutung oft Gelegenheit zu diätetischen Sünden finden, die Staatsmänner in Gesellschaften bei reichbesetzter Tafel, die Gelehrten am Schreibtisch in der Studierstube, insofern sie nämlich viel zu viel daran sitzen.

Aber nicht bloß die „oberen Zehntausend“ der Gesellschaft werden von der Gicht befallen, sondern auch einfache Handarbeiter: fleißige, nüchtern lebende, körperlich thätige Menschen werden nicht selten gichtbrüchig. Ueppige Lebensweise, allzu reichlicher Genuß von Fleischkost, Uebermaß von geistigen Getränken sind Einflüsse, welche der Entwicklung von Gicht Vorschub leisten, aber diese Krankheit wird auch oft in den Familien durch Vererbung übertragen, oder sie gelangt durch äußere Veranlassungen wie Erkältung, jähen Temperaturwechsel, feuchtes Klima, gewisse Beschäftigungen (namentlich solche, die viel mit Blei in Berührung bringen) zur Entstehung. Wenn die Gicht in England bekanntermaßen außerordentlich verbreitet ist, so kann hierfür nicht allein der dort so häufige Genuß schwerer alkoholreicher Weine wie Madeira, Portwein, Xeres und schwerer Biere wie Ale und Porter verantwortlich gemacht werden, sondern die klimatischen Verhältnisse tragen gewiß auch ihren Theil an der Schuld. Wie wäre es sonst verständlich, daß in Polen, Rußland, Schweden und Dänemark, in Ländern, wo doch gewiß viel Schnaps und Alkohol verbraucht wird, die Gicht selten auftritt?

Die Gicht ist eine Stoffwechselerkrankung, deren Wesen noch nicht vollkommen aufgeklärt ist, die man aber in ihrem Grunde wohl darauf zurückführen muß, daß die Harnsäure, welche im Körper entsteht, sich in diesem anhäuft und zu Ablagerungen an den Gelenken und andern Organen Anlaß giebt. Ob es dabei eine vermehrte Bildung von Harnsäure im Blute oder eine verminderte Ausscheidung derselben durch die Nieren ist, was die Entstehung der Gichtanfälle veranlaßt, ist noch nicht entschieden. Selbst der Thierversuch, welcher an den durch reichliche Harnsäureerzeugung ausgezeichneten Vögeln und Schlangen angestellt wurde, hat keine endgültige Lösung der Frage gebracht. Wir wissen nur, daß die Gicht eine schwere allgemeine Erkrankung ist, bei welcher der normale Stoffwechsel bedeutende Veränderungen erleidet und die Ansammlung von Stoffen, welche Auswürflinge des Körpers sind, begünstigt wird.

Bei diesem Leiden werden fast alle Theile des Körpers ergriffen, jedoch nicht mit einem Schlage, sondern in mannigfacher Reihenfolge, mit wechselnder Abstufung, zu verschiedenen Zeiten. So spricht man von einer akuten, chronischen, inneren Gicht, von örtlicher, versteckter, zurückgetretener gichtischer Erkrankung, von Gelenkgicht, Nierengicht, Herzgicht etc.

Das Charakteristische, auch dem Laien Auffallende ist das Bild der Gichtanfälle, welches sich jedem, der es einmal gesehen oder gar an sich selbst beobachtet hat, tief einprägt. Aber schon bevor es zu diesen Anfällen kommt, bieten die meisten Gichtischen, nämlich alle diejenigen, bei denen die Gichtanlage auf üppiger Lebensweise beruht, in ihrer äußeren Erscheinung und in ihrem Befinden gewisse eigenthümliche Züge. Sie sind gewöhnlich auf der Höhe der Lebensjahre fettleibig geworden; sie haben ein blühendes, scheinbar von Gesundheit strotzendes Aussehen; das Gesicht ist auffallend geröthet, und zuweilen verräth die rothe, mit bläulichen Gefäßen durchzogene Nase, daß sie zu tief und zu oft ins Weinglas gesenkt worden ist. Der Herzstoß ist kräftig, der Puls voll, oft gespannt, die Venen sind strotzend. Im Unterleibe geben sich Erscheinungen von Blutstockung kund (sogenanntes Hämorrhoidalleiden, goldene Ader). Bei stärkeren Muskelanstrengungen, längerem Gehen, Treppensteigen tritt leicht Kurzathmigkeit und Brustbeklemmung ein. Die Verdauung ist oft gestört, nach dem Essen tritt ein Gefühl von Unbehagen ein, zuweilen Sodbrennen, saures Aufstoßen, Gasentwicklung im Magen und in den Gedärmen, Trägheit in der Darmthätigkeit. Unruhiger, von schweren, beängstigenden Träumen gestörter Schlaf, Angstgefühl und Beengung, Herzklopfen und starke Schweiße sind schließlich einige weitere unangenehme Erscheinungen, welche dem Gichtkandidaten die Mahnung geben, daß eine Aenderung der Lebensweise dringend geboten ist, wenn nicht die Katastrophe plötzlich hereinbrechen soll.

Denn plötzlich, ganz unerwartet tritt gewöhnlich der eigentliche Gichtanfall ein, wenn seine Vorboten keine Beachtung, seine Vorzeichen keine Würdigung gefunden haben. Arglos, ohne eine Ahnung von den bevorstehenden stürmischen Scenen, legt sich der scheinbar „blühend Gesunde“ zu Bett – und im Schlafe wird er räuberisch von dem im Dunkel der Nacht heranschleichenden Unhold überrumpelt. Mit einem Schmerzensschrei fährt er vom Lager empor. Ein heftiger brennender oder bohrender

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 871. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_871.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2023)