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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Fritz und Müller sahen sich mit wortloser Bewunderung an – dieser Reimann! Wie er sich wieder zu benehmen wußte! Großartig!

Die keine Waldfee erhob sich und öffnete die Thür.

„Kommen Sie nur herein!“ sagte sie, und als die drei zögerten, fügte sie mit einem sehr niedlichen Anstrich von mütterlicher Fürsorge hinzu: „Nein, nein, drinnen setze ich Ihnen etwas vor, hier zieht es zu sehr!“

Sie führte unsere drei über diese Wendung der Sache höchst erfreuten Freunde in die von Alter und Rauch geschwärzte und trotz der Frühjahrsluft draußen noch schön geheizte Wirthsstube. Bald hatte das flinke Mädchen ein blüthenweißes Tuch über den Tisch gedeckt und vor jeden ihrer Gäste eine Tasse hingestellt, Fritz bat allerdings um Bier – er trank zu Hause noch Milch und fühlte sich infolgedessen moralisch verpflichtet, auf Ausflügen möglichst nur Dinge zu genießen, die diesem kindlichen Getränk gerade entgegengesetzt waren! Ein herrlicher, brauner Napfkuchen wurde auch hereingetragen, der eben frisch gebacken zu sein schien, und unsere drei Helden ließen sich, ihrem Alter und Stand als ewig hungrige Schüler gemäß, nicht zweimal nöthigen und hieben tüchtig ein. Doch nein – Reimann nicht! Reimann war so plötzlich, so gänzlich und so rettungslos in sein reizendes Gegenüber verliebt, wie man dergleichen eben nur mit siebzehn Jahren fertig bekommt!

Während die kleine Schönheit eifrig an einer Näharbeit stichelte und in munterster Weise mit ihren jungen Gästen scherzte, schmolz der Primaner wie ein Schneeball an der Sonne! Seine sonst sehr kühl und verächtlich dreinblickenden Augen nahmen einen so sentimentalen Aufschlag an, daß sie beinah in Gefahr gerathen wären, nie wieder in ihre normale Lage zu kommen, und er erröthete ohne irgend welche ersichtliche Veranlassung wiederholt bis zur dringendsten Gefahr des Nasenblutens. Und als Fritz und Müller, entschlossen, den Becher dieses aufsichtslosen Nachmittags bis auf die Hefe auszukosten, abermals nach ihrem Rauchzeug griffen und das Försterstöchterlein Reimann fragte, ob sie ihm vielleicht auch eine Cigarre bringen dürfe, da war Reimann, wie wir wissen, in der glücklichen Lage, ohne besondere Seelenkämpfe sich die großartige Bemerkung zu gestatten: „Meinen besten Dank, mein Fräulein – ich rauche nicht in Damengesellschaft!“ Diese Feinheit stellte allerdings seine beiden Gefährten auf einen recht tiefen Standpunkt der gesellschaftlichen Bildung, aber vorläufig überwog die Freude am Rauchen noch dieses Bedenken, und sie pafften mühsam und erfreut weiter, während sie die Kurmacherei ihres weltgewandten Freundes mit gespitzten Ohren und dem innerlichen festen Vorsatz anhörten, bei erster passender Gelegenheit eine der aufgeschnappten vornehmen Redensarten auch an den Mann – oder besser an die Dame zu bringen!

Ob der sehr gute und starke Kaffee dem biederen Reimann in den Kopf gestiegen war – oder ob Amor allein die Sache zu verantworten hatte – das wird ewig unaufgeklärt bleiben! Jedenfalls begann er plötzlich in einen sehr ernsten Ton zu verfallen, seine Studien – er ließ es mit großer Schlauheit unsicher, ob er Schul- oder Universitätsstudien betrieb – als nahezu beendet anzudeuten, und schließlich richtete er ziemlich unverblümt die Frage an sein reizendes, blondes Gegenüber, ob sie nicht geneigt sein würde, auf einen so wohlsituierten jungen Mann wie ihn ein paar Jahre in Treue zu warten.

Die kleine Schönheit sah ihn zunächst mit großen Augen an und hob dann ihre Näherei einen Augenblick so hoch, daß sie ihr schelmisches Lächeln und die dabei zu Tage kommenden allerliebsten Grübchen erfolgreich vor den Anwesenden verstecken konnte. Dann legte sie ihre Arbeit zusammen, sah mit einer sittsamen, ernsten Miene, die sie sehr niedlich kleidete, ihren jugendlichen Verehrer an, stand auf und sagte: „Wenn Sie einen Augenblick warten wollen, junger Herr, dann will ich meinen Vater rufen – wenn der nichts dagegen hat!“ –

Und damit ging sie aus dem Zimmer und ließ unsere drei Freunde in einer höchst unangenehmen Verfassung am Kaffeetisch zurück.

Die beiden Jüngeren, die ihr Vorbild bei seiner dreisten Liebeserklärung mit offenem Munde angestarrt hatten, bemerkten zu ihrer Bestürzung, daß die erwartete frohe Aussicht auf den väterlichen Segen den armen Reimann in einen wahrhaft entsetzlichen Zustand angstvoller Bestürzung versetzte.

Er versuchte zwar noch den Schein seiner früheren Sicherheit zu retten, indem er mit einem etwas verkümmerten Lachversuch vor sich hinbrummte: „Das ist nicht übel!“ Aber er täuschte weder sich noch seine Freunde.

Endlich brach Fritz das unbehagliche Schweigen. „Kinder!“ begann er leise und sich vorsichtig nach der Thür umsehend, „wollen wir nicht lieber – ?“

„Ja!“ fiel Müller hastig ein, „wollen wir nicht nach Hause gehen? Denke einmal, Reimann, wenn der Alte jetzt kommt!“

„Wenn er grob wird!“ stimmte der zitternde Reimann bei, dessen Kühnheit, sonstigen Liebeserfahrungen entgegengesetzt, vor dem unerwarteten Erfolg in nichts zusammensank.

„Das Schlauste ist, wir gehen!“ setzte er mit etwas erzwungener Gleichgültigkeit hinzu, „es scheint ja ohnehin niemand zu kommen – einerlei wäre mir’s übrigens auch, wenn jemand käme!“

In diesem Augenblick klappte im obern Stockwerk eine Thür, und in groteskem Widerspruch mit seiner soeben geäußerten Ansicht war Reimann blitzschnell mit einem Satz, der seine Befähigung zum Vorturner ewig außer Frage stellte, durch das Fenster hinaus ins Freie gesprungen, wo er so eilfertig die Flucht ergriff, als wenn der Förster mit einem handgreiflichen Glückwunsch ihm schon auf den Fersen wäre!

Die beiden andern folgten ihm stumm und ebenso eilig, – ohne zurück zu sehen, raste das Kleeblatt den holperigen Waldweg entlang und hielt erst in seinem athemlosen Laufe an, als man auch nicht mehr die entfernteste Spur von dem Forsthaus oder auch nur von dem Rauch sah, der über seinem gastfreundlichen Dach sich gegen den Frühlingshimmel kräuselte.

Da standen nun unsere drei Helden, und keiner wagte den andern anzusehen. Fritz und Müller rangen mit den widerstreitendsten Empfindungen und kauten in ihrer Verlegenheit so eifrig junges Laub, als wenn sie keine Sekundaner, sondern – etwas anderes wären!

Reimann fühlte die ganze Schwere des Augenblicks. Er konnte jetzt und hier alle Autorität, allen weltmännischen Ruf in den Augen seiner Genossen einbüßen – hier hieß es einen raschen Entschluß fassen – und er faßte ihn!

„Kinder!“ begann er mit großer Gelassenheit und strich sich das vom Laufe verwirrte Haar aus der Stirn, „das war ja eine tolle Geschichte!“

„Du hattest schöne Angst vor dem Alten!“ bemerke Müller als erstes Zeichen erwachender Rebellion.

„Donnerwetter ja!“ bekräftigte Fritz, „ich dachte aber auch, er würde Dich durchhauen!“

Reimann zuckte höhnisch die Achseln.

„Davor dachtet Ihr, hätte ich Angst gehabt? Blech! Ich merkte nur, daß das Mädel mehr wie gerne ja gesagt hätte – na, und der Alte hätte wohl auch zugegriffen – und so hatte ich es nicht gemeint!“

„Aber –“ begann Müller unüberzeugt.

„Glaubt mir!“ fuhr Reimann nachdrücklich fort, „so wird man geangelt! Und ich hätte dann meine ganze Carriere verdorben – hätte womöglich von der Schule abgehen müssen!“

„Ob Du ihr wirklich so gut gefallen hast?“ erkundigte sich Müller noch immer mit einigen ruchlosen Zweifeln.

Reimann lächelte siegesgewiß.

„Wenn Du das nicht gemerkt hast, Müller – weg war sie – einfach weg! Ihr hörtet doch, sie wollte bloß den Alten um Erlaubniß fragen!“

Diese letztere Thatsache war ja so unleugbar, daß keiner der Genossen sie anzweifeln konnte, und Reimanns Stellung den andern gegenüber schien durch das Abenteuer eher noch an Festigkeit gewonnen zu haben.

Er gratulierte sich innerlich aufs lebhafteste zu seinem klugen Schachzug und fing bereits an, selbst fest überzeugt zu sein, daß er im Forsthaus ein gebrochenes Herz zurückgelassen hätte – für seine siebzehn Jahr doch eine ganz gehörige Leistung!

Mit hochgehobenem Haupt ging er in diesem Gefühl vor den Gefährten her – seinem Selbstbewußtsein war die heutige Krisis anscheinend sehr gut bekommen.

Da theilten sich hinter ihnen die Büsche, und ein hübscher, junger Forstmann mit einem dichten, blonden Schnurrbart, der wühtenden Neid in der Brust der drei Schüler erregte, kam pfeifend, von seinen Hunden begleitet, des Weges.

Er begrüßte die drei Jünglinge sehr freundlich, aber mit einem gewissen überlegenen Lächeln, welches Reimann schon dazu veranlaßte, innerlich zu erwägen, ob er den Kerl nicht „verhauen“ sollte!

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