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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Und darauf soll ich mein Lebensglück bauen?“ brach es plötzlich leidenschaftlich aus Waldemars Brust. Gleich darauf sank er wieder in sich zusammen.

„Wenn ich wüßte, ob sie mich liebt! Mir schien es anfangs so – warum hätte sie auch sonst meine Werbung angenommen? Jetzt aber – – sie sagt, sie habe Werner Troost zu sehr geliebt, sein Andenken … ja so, Sie wissen es nicht, daß sie Werner Troosts heimliche Verlobte gewesen ist – –“

„Doch! Ich weiß es!“

Andree fragte nicht, durch wen, er nickte nur.

„Sein Andenken also stehe zwischen ihr und mir, sie habe sich über die Stärke ihres Gefühls für mich getäuscht, ich solle ihr Zeit lassen, vielleicht lerne sie es, mich allmählich so zu lieben, wie sie ihn geliebt –“

Er brach kurz ab und starrte vor sich hin. Grimm fühlte ein tiefes Mitleid mit ihm. Was sollte er ihm sagen? Wodurch versuchen, ihn zu trösten? Es fiel ihm nichts ein.

Sie saßen eine Weile stumm bei einander, zuletzt erhob sich Andree schwerfällig.

„Es war unrecht von mir, darüber zu sprechen – sogar zu Ihnen, der Sie ein verschwiegener Mann und mein Freund sind; ich hätte es nicht thun sollen. Aber immer und immer schweigen, gegen niemand sich aussprechen können –“

„Lassen Sie es sich nicht leid thun, Andree! Ich bin Ihnen ein wahrer Freund und kann Sie verstehen. Freilich, helfen – wenn ich Ihnen helfen könnte –“

Andree schüttelte langsam den Kopf.

„Wie sollten Sie das können, da ich es selbst nicht zustande bringe? Das geht nun so weiter … Ich muß jetzt fort. Grüßen Sie Gerda, rufen Sie sie wieder herein, ich habe sie vertrieben. Ein gutes Kind! Sie hat keine –“ er verstummte plötzlich.

„Wollen Sie nicht den Abend über bei mir bleiben?“ fragte Grimm herzlich. „Kommen Sie, lassen Sie Ihre Pelzmütze liegen! Ich hole mein Kind, wir plaudern zusammen …“

„Nein!“ sagte Andree hastig. „Nein – ich danke Ihnen. Ein andermal! Ich danke Ihnen!“

Und damit war er gegangen.

(Schluß folgt.)




Aus der Wendei.

Schilderung von Th. Gampe. Mit Abbildungen nach Photographien von Oskar Meister in Bautzen.

 „Und übers grüne Heideland
 Trabe, mein Rößlein, trabe.“

Wendische Braut.

Heidekorn, Milchhirse, schweigsame, mißvergnügte Mongolengesichter, ungedielte Stuben und trostlose Sanddünen, das sind so ungefähr die Grundfarben der landläufigen Vorstellungen über die Wendei; haben diese sich doch im sächsischen Volk zu den Spottnamen „Wendische Türkei“ oder gar „Hundetürkei“ verdichtet.

Die Oberlausitz mit der vielgethürmten uralten Wendenstadt Budyssin (Bautzen) kann unmöglich gemeint sein, denn sie ist eines der lieblichsten Gelände im weiten Deutschland, und dazu giebt es dort wohlhäbige Bauerndörfer in Fülle. Die Heerführer des Dreißigjährigen Krieges, ebenso Friedrich der Große und Napoleon I. wußten nur zu gut, warum sie mit ihren Heeren immer wieder die Oberlausitz überschwemmten und hier ihre Schlachten schlugen; sie fanden hier eine reiche Gegend, die ihre Armeen leicht beherbergen und ernähren konnte. Ebenso sind die alten lausitzer Götterberge, der „schwarze Gott“ und der „weiße Gott“, der „Czerneboh“ und der „Bileboh“, von Touristen überlaufen wie von Ameisen, und diese waldreichen, schöngeformten und um ihrer vorgeschichtlichen Bedeutung willen äußerst merkwürdigen Berge verdienen das auch in reichem Maße, sie gehören zu den schönsten Mittelgebirgen im weiten Vaterland. Bautzen selbst ist das Ziel von Tausenden schaulustiger Wanderer, es liegt auch mit seiner Ortenburg, seiner stimmungsvollen Kirchenruine, seinen Thorthürmen und dem schönen Rathhaus malerisch wie ein kleines Prag auf stattlicher Felsenhöhe.

Und der Norden der Wendei? Nun, der ist ja in wenig Jahren ein liebes Schoßkind der Berliner geworden. Wer kennt nicht den Spreewald mit seinen stillen Wasserspiegeln, seinen thurmhohen Erlengruppen, seinen grünen Kaupen (Inseln, von Kanälen umgeben) und daran die Mühlen mit den moosbewachsenen Mühlrädern; und im Winter, wer hätte sie nicht wenigstens im Bilde gesehen, die spiegelglatten Eisflächen auf den Tausenden von Rinnsalen mit ihrer hellen Volkslust?

Also können sich die Spottnamen nur auf den Theil der Lausitz beziehen, der mitteninne liegt, auf die „Wendische Heide“. Das ist nun freilich ein armes, sehr armes Land. Sagt doch der Wende selbst von ihm, unser Herrgott habe aus Versehen einen Sandsack umgehängt, wie er als Sämann die Erde überschreitend in die Gegend von Sprey, Tschölln und Slepa kam. Aber es ergeht der Heide wie so manchen mit Worten unbeholfenen Menschen – man lernt sie schwer kennen, weil sie so gar nichts Einladendes haben. Man muß in die Heide selbst etwas poetische Stimmung mitbringen, wenn man ihrer Poesie theilhaftig werden will, sonst bleibt sie uns eben eine – Hundetürkei.

Für den ethnographischen Forscher, für den Freund eines reinen bäuerlichen Volksthums ist die Heide weitaus der werthvollste Theil der ganzen Wendei. Hier sitzt noch der Rest eines untergehenden Volkes, kaum berührt von den Wogen des Germanismus. Wie sie leben und weben, diese Heidebauern in ihren einsamen Dörfern, versteckt hinter Sanddünen und vereinsamt in großen unabsehbaren Kieferwäldern, so lebten auch unsere wendischen Vorsassen, die einst unsere deutsche Erde bepflügten und besäten bis an die Pegnitz bei Nürnberg, den Main bei Bamberg und bis über die Trave bei Lübeck hinaus.

In der Bautzener Gegend wie im Spreewald sucht man alte Wendengräber auf, gräbt Heidenschanzen um und schleppt mühsam gelehrtes Material herbei. Ich sollte meinen, es sei für den Gelehrten mindestens ebenso dankbar, in die Heide zu gehen und an dem lebenden Geschlecht, an dem stillen unberührten Völkchen Studien zu machen. Jetzt wär’s noch Zeit, aber auch jetzt schon muß man zu solchem Zweck die abgelegensten Heidedörfer aufsuchen.

Der Volkscharakter der Wenden ist wie derjenige aller Nordslaven ein friedliebender. Die Heidenschanzen, die uns oft wie diejenigen beim Dorfe Ostro durch ihre Größe verblüffen, haben ausschließlich der Vertheidigung gedient. Mißvergnügt sind die Leute keineswegs, im Gegentheil, ich habe sie immer heiter und freundlich, sogar mittheilsam gefunden. Nur dort, wo sie keinen Grundbesitz erwerben können, wo sie auf fremder Scholle hausen müssen, habe ich wohl etwas Gedrücktes, aber selbst dann nichts Unzufriedenes an ihnen beobachtet. Aus ihren zahlreichen Volksliedern spricht eine tiefe Gutmüthigkeit, ein wehseliges Denken und vor allem eine große Liebe zur Geselligkeit. Und wie gut behandeln sie ihre Thiere! Ein wendischer Pferdeknecht hat mehr Kosenamen für seine Gäule als mancher unserer jungen Bursche für seinen „herzallerliebsten Schatz“. Die Hälfte aller Dresdener Fuhrwerksbesitzer trägt wendische Namen, ein Beweis, wie die gute Behandlung der Thiere auch zu wirthschaftlichen Erfolgen beiträgt, denn diese Leute sterben nicht selten als reiche Fuhrherren. Im sächsischen Gardereiterregiment sind die wendischen Soldaten bekannt als ausgezeichnete Pferdewärter.

Unter sich pflegen sie, wenn es irgend die Umstände erlauben, äußerst lebhafte Gespräche. Es war mir völlig neu, etwa ein Dutzend Leute, die beim Heumachen über eine Wiese vertheilt waren, in eine lang andauernde, sehr angeregte Unterhaltung verwickelt zu sehen, und zwar ohne Nachtheil für die kräftig geförderte Arbeit. Das Gespräch mußte der Entfernung wegen so laut

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 864. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_864.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2023)