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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Darauf antworten die Kinder mit zitternder Stimme:

Miar griaßen Dih, o halicher Mann,
und beden alle Dag Dih an
in alle Ewigkeit, Amen!

Nun tritt Niglo an den Tisch heran, läßt jedes Kind beten und sich seine Gebet-, Schul- und Schreibbücher zeigen. Wehe dem, welches seine Bücher nicht in Ordnung hat oder das beim Beten stottert. Der schwarze Krampus, mit einem Pelze angethan, steht mit glühenden Augen und langer, rother Zunge und mit einer großen Kette vor der Thür, die Befehle seines Herrn zu vollziehen. Zum Schlusse küßt jedes Kind den Ring des heiligen Niglo.

Hatten wir es bisher immer mit Gestalten zu thun, in denen wenigstens die christliche Färbung nicht zu verkennen war, so giebt es andrerseits auch eine ziemliche Menge von solchen, welche ohne jede Spur der Verchristlichung heute noch fortbestehen. Hierher gehört der „Bär“, der in einigen Gegenden Deutschlands erscheint und von einem in Erbsenstroh gehüllten Burschen dargestellt wird, welcher eine Ruthe führt und es mit seinen Züchtigungen namentlich auf die erwachsenen Mädchen abgesehen hat. An ihn schließen sich dann noch eine Reihe Vermummungen, bei denen wie oben bei dem „Christmann“ ein künstliches Pferd eine Rolle spielt, sei es nun als „Schimmel“, „als spanischer Hengst“, als „Klapperbock“ oder „Julbock“.

Der „Schimmel“ erscheint in Bergkirchen, Kreis Minden, und der „spanische Hengst“ in Bassum im Hannöverschen. Beide Thiere sind nahe Verwandte und gute Freunde des „Klapperbocks“ auf der Insel Usedom. Hier treten drei Personen auf, die zusammen „der Ruprecht“ heißen. Die eine trägt Ruthe und Aschensack und ist gewöhnlich in Erbsenstroh gehüllt. Die zweite trägt den Klapperbock, eine Stange, an der vorn ein Widderkopf aus Holz befestigt ist und die im übrigen von einer Bockshaut verdeckt wird. Die untere Kinnlade des Kopfes ist beweglich. An ihr ist eine Schnur befestigt, welche durch die obere Kinnlade und den Schlund läuft, so daß die beiden Kinnladen klappernd zusammenschlagen, sobald der Träger die Schnur zieht. Dieser Klapperbock stößt die Kinder, welche nicht beten können. Der dritte Genosse endlich erscheint als Reiter auf einem Besen.

In Dänemark heißt dieser Klapperbock „Julbock“ und darf in keiner Weihnachtsstube fehlen.

Ilsenburg im Harz ist die Heimath des „Habersack“. Hier nimmt ein unternehmender Bursche eine gabelförmige Stange vor die Brust und klemmt einen stumpfgekehrten alten Besen nebst einem Hut dazwischen, so daß das Ganze wie ein Kopf mit zwei Hörnern aussieht. Den Träger selbst verbirgt ein langes Laken. In dieser Gestalt tritt er dann in der Weihnachtsstube auf, zum Schrecken der Kleinen und zur Freude der Größeren, die sich mühen, zu ergründen, wer wohl in der Vermummung verborgen sein mag, bis auch hier der Mummenschanz in eitel Weihnachtsfreude sich auflöst.




Am Kinderspieltisch unserer Voreltern.

Von Hans Boesch.0 Mit Abbildungen alter Spielwaren im germanischen Museum von K. Zinn.

Puppen und geharnischter Ritter
aus dem 14. Jahrhundert.

„Der klein Hausrath und Puppending,
Wiewol es ist gar schlecht und gring,
Von Bley gemacht oder von Erdt,
Halten’s die Kinder doch gar werth,
Thun es auch wie ein Schatz bewahren
Und wie fein Gold zusammensparen.“
 (Flugblatt aus dem Jahre 1620.)

Es liegt ein eigenartiger Zauber in dem Spiel des Kindes. Alle Keime seines Wesens, alle kleinen und großen Züge seines Charakters offenbaren sich in den Stunden, da es sich in glücklicher Selbstvergessenheit ganz dem Spiele dahingiebt. Mit einer geradezu allmächtigen Phantasie schafft es die unscheinbarsten Dinge zu den großartigsten Herrlichkeiten um, ein Holzklötzchen zur geliebten Puppe, eine Wasserlache zum glänzenden See, einen Wegrain zur stolzen Festung, und unberührt von des Daseins glatter Nüchternheit, wiegt es sich selig in dem goldenen Paradies der Illusion. Unglücklich das Kind, das nicht spielen kann! Es ist arm, bettelarm, und wenn seine Eltern über die Schätze Golkondas verfügten, es darf des Tagelöhners Kind beneiden, dessen Spielzeug mit Pfennigen bezahlt ist.

Ja, Kinderspiel – ein Kinderspiegel! Aber wie das Spiel des Kindes Seele spiegelt, so ist das Kinderspielzeug ein Spiegel der Kultur einer Zeitepoche. Wie oft hat man nicht schon die überfeinerte Kultur der Gegenwart mit der Ueberfeinerung unserer Kinderspielwaren illustriert! Und wenn wir einen Gang an den Kinderspieltischen unserer Vorväter vorbei machen, werden wir noch auf manche Beispiele für diesen verwandten Entwicklungsschritt der allgemeinen Lebenshaltung der Großen und der Spielwaren der Kleinen stoßen.

Solange es Kinder giebt, hat es auch schon Spielwaren gegeben. In der Urzeit waren sie allerdings von sehr einfacher Art, dafür aber auch von größter Billigkeit; die allgütige Mutter Natur war es, die sie in bunten Kieseln, schillernden Käfern, farbenprächtigen Blumen dem Kinde umsonst spendete. Wohl bald haben indessen die Menschen, als sich ihr Formensinn entwickelte, die menschliche Gestalt, thierische Figuren, die Geräthe des täglichen Gebrauchs im kleinen nachgebildet und den Kindern in die Hand gegeben, welche sich damit auf dieselbe Weise beschäftigten, wie sie es von den Eltern sahen. Das alte deutsche Sprichwort: „Die Buben haben Lust zu reiten und zu kriegen, die Mädchen zu Docken und zu Wiegen“, ist unzweifelhaft von jeher bestimmend gewesen für die Wahl des Spielzeugs der Knaben und Mädchen.

Wenn wir freilich aufzählen sollen, was sich an uraltem Spielzeuge erhalten hat, so kommen wir etwas in Verlegenheit, aber ohne unsere Schuld; es sind vielmehr die Kinder selbst dafür verantwortlich, die vor Jahrtausenden ebenso zerstörungslustig oder, zarter ausgedrückt, „wißbegierig“ gewesen sind wie die heutigen Kleinen, die ihr Spielzeug gar zu gern auseinander nehmen, um zu sehen, wie es wohl inwendig ausschaue. Indessen, ganz ohne solche Reste sind wir doch nicht.

Zur Zeit, in der die Bewohner des heutigen Schlesiens die Bearbeitung des Eisens noch nicht kannten, Geräthe und Waffen vielmehr aus goldglänzender Bronze fertigten, also einige Jahrhunderte vor Christi Geburt, da unterhielten sich dort die Kinder mit Klappern in Gestalt von Birnen, von Gänsen und Enten, die aus gebranntem Thone hergestellt waren, im Innern einige Steinchen enthielten und durch eingeritzte Striche oder durch Bemalung ein gefälliges Aeußere erhalten hatten. Und in der merkwürdigen, 2000 Jahre alten Kulturstätte zu Hallstatt im Salzkammergute wurden kleine Thiere aus Bronze gefunden, Ochsen mit großen geschweiften Hörnern, Hirsche mit mächtigen Geweihen, welche wir uns recht gut als Spielzeug denken können, obgleich die Forscher in ihnen Weihegeschenke sehen. Vielleicht sind sie sogar beides zugleich? Opferten doch die Mädchen der Römer, wenn sie erwachsen waren, ihre Puppen der Venus.

Die Puppe, die Docke ist entschieden das vornehmste aller Spielzeuge. Die tiefbetrübte Mutter im heißen Nillande, die ihres Herzens Liebling verloren, wußte demselben keine kostbarere Gabe, keine, die ihm beim erhofften Wiedererwachen mehr Freude hätte machen können, mitzugeben als die so zärtlich geliebte Puppe!

Im sonnigen Indien drückten schon im Alterthume die kleinen Hindumädchen Puppen aus werthvollem Materiale, aus Elfenbein, an ihr braunes Herzchen; und die kleinen Griechinnen gar spielten bereits mit Gliederpuppen, welche die Frau Mama zusammen mit allerhand anderen Figuren genau wie in der Gegenwart auf dem Markte gekauft hatte.

Auch im Mittelalter war die Docke das Hauptspielzeug der Mädchen; sie wird von den althochdeutschen und mittelhochdeutschen Dichtern am häufigsten unmittelbar als Spielzeug angeführt oder zu Vergleichen herangezogen. Aber die kleinen Mütterchen begnügten sich nicht mit ihren lieben Kindchen, die sie aufs prächtigste herausputzten, um mit ihnen Staat zu machen; sie mußten auch allen den Hausrath haben, der zur Pflege eines Kindleins nothwendig war.

Vor allem eine Wiege, in welcher mit melodischem „Eia popeia“ das Puppenkindchen sorgfältig eingeschläfert wurde. Dann mußte die liebe Kleine doch auch spazieren gefahren werden! Und welch nobles Gespann das Dockenwägelchen hatte! Zwei lebendige Mäuschen waren demselben vorgespannt, wie Hugo von Trimberg in seinem „Renner“ um 1300 berichtet.

Eine Anzahl aus weißem Thone gebrannter Puppen, gepanzerte Reiter, Wickelkinder, Puppengeschirre wurden im Jahre 1859 in Nürnberg unter dem Straßenpflaster herausgegraben, ein Fund, der einen interessanten Einblick in das Spielzeug der Kinder im 14. Jahrhundert gewährt und von dem wir einige Proben in unserer Anfangsvignette abgebildet haben. Die kreisrunde Vertiefung, welche die eine dieser Puppen zeigt, war zur Aufnahme des Pathenpfennigs bestimmt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 851. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_851.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)