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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

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Der höhere Standpunkt.

Von E. Werner.

     (Schluß.)

Der nächste Tag war sonnenhell angebrochen, die Gebirgskette zeigte sich in voller Klarheit, und der Garten lag thaufunkelnd im Morgensonnenschein, es war ein herrliches Reisewetter.

In dem Hause, das Herwig mit seiner Tochter bewohnte, war man mit den letzten Reisevorbereitungen beschäftigt; es zeigte sich niemand am Fenster oder in der Thür, im Garten dagegen wandelte eine hohe Gestalt mit langsamen Schritten auf und ab. Es lag sonst gar nicht in der Art des Professors Normann, so feierlich und würdevoll einherzuschreiten, er war im Gegentheil meist hastig und formlos in seinen Bewegungen, heute aber schien ihm diese feierliche Haltung eine Ehrensache zu sein bei der Veränderung, die er mit seinem äußeren Menschen vorgenommen hatte.

Er hatte in der That das Erstaunlichste geleistet, die „Urwaldmähne“ war mit Hilfe des Haaröls gebändigt, nur hatte Normann, der ganz unbekannt mit diesem Verschönerungsmittel war, leider einen allzu ausgiebigen Gebrauch davon gemacht. Auf seinem Haupte glänzte es wie der Thau ringsum auf den Gebüschen, der sonst so starr emporstrebende Haarwuchs lag jetzt glattfromm gescheitelt über der Stirn und klebte förmlich an den Schläfen. Der Professor war kaum wiederzuerkennen, und es war nicht zu leugnen, daß sein Aussehen bedeutend an Grimmigkeit verloren hatte; aber vorläufig fühlte er sich noch sehr unbehaglich in seiner nagelneuen „Menschlichkeit“.

Friedel befand sich gleichfalls im Garten mit einem riesigen Blumenstrauß. Er wußte besser als sein Herr, was mit den Blumen anzufangen sei, wenn eine junge Dame abreiste, und hatte das Gärtchen seiner Wirthin nachdrücklich geplündert. Uebrigens war auch er in einer ungewöhnlichen Verfassung. Da der Herr Professor fast die ganze Flasche Oel verbraucht hatte zur Bändigung seines Haarwuchses, so hatte Friedel die Erlaubniß erbeten und erhalten, sich nun seinerseits mit dem Reste zu verschönern. Auch seine blonden Haare glänzten, wenn auch in bescheidenerem Maße, und er kam sich wundervoll dabei vor.

Da öffnete sich die Thür des Hauses und Dora, schon im vollen Reiseanzuge, trat heraus. Sie nickte freundlich ihrem Schützlinge zu, den sie zuerst erblickte, und wollte eben seinen Morgengruß erwidern, als plötzlich Professor Normann vor ihr auftauchte und mit einer gewissen Feierlichkeit sagte:

„Guten Morgen, Fräulein Dora!“

Dora wandte sich um, sah ihn an, stand einen Augenblick starr vor Verwunderung und brach dann in einen förmlichen Lachkrampf aus.

„Aber, mein Fräulein!“ Normann richtete sich tiefbeleidigt empor, er hatte eine ganz andere Wirkung seiner Erscheinung erwartet.

„Entschuldigen Sie, Herr Professor –“ die junge Dame bemühte sich vergebens, ihre stürmische Heiterkeit zu mäßigen. „Ich wollte Sie gewiß nicht – aber – o, das ist köstlich!“ Und sie erstickte fast vor Lachen.

„Fräulein Dora, lachen Sie mich nicht wieder aus!“ rief der Professor drohend und wollte sich seiner Gewohnheit nach mit beiden Händen in die Haare fahren, besann sich aber noch rechtzeitig, daß das in seiner jetzigen Verfassung nicht angehe. Er preßte die Hände krampfhaft an den Körper und fuhr in einem beinahe wehmüthigen Tone fort:

„Sie haben es mir doch angerathen, das Haaröl, fast eine ganze Flasche davon habe ich verbraucht und der Friedel hat den Rest genommen.“

„Ja, der sieht auch aus wie ein Oelgötze!“ rief Dora und gab sich von neuem einer unbändigen Heiterkeit hin.

Das war nun vollends eine Beleidigung, allein über den Professor schien mit jener Salbung eine ganz merkwürdige Sanftmuth gekommen zu sein, denn anstatt aufzufahren, sagte er im Tone des tiefsten Vorwurfs:

„Sie spotten – und ich habe es doch nur Ihretwegen gethan.“

„Meinetwegen?“ Dora wurde plötzlich ernst, ihr Auge begegnete dem seinigen und dann streckte sie ihm die Hand hin und erwiderte leise:

„Dann will ich nicht mehr lachen.“

Friedel hatte seinen Blumenstrauß, den er erst beim Abschied überreichen wollte, einstweilen in der Laube untergebracht und wunderte sich nur, daß der Herr Professor die kleine Hand, die in der seinigen lag, so lange festhielt. Dieser schien überhaupt heut morgen sehr friedlich gestimmt zu sein, denn er begann im eifrigen Gespräch mit dem Fräulein auf und ab zu gehen. Dem Knaben klopfte das Herz, jetzt kam gewiß die Geschichte mit dem Schleier zur Sprache – ob Fräulein Dorn das wohl übelnahm?

Es war jedoch vorläufig weder von dem Schleier noch von dem Friedel die Rede in jenem Gespräch, denn Dora erwiderte soeben auf eine Bemerkung ihres Begleiters:

„Papa meint, es hänge ja nur von Ihnen ab, ob Sie nach Heidelberg kommen wollen, und er werde sich sehr freuen, wenn es geschehe.“

„Ja, Kollege Herwig!“ sagte Normann mit etwas unsicherer Stimme. „Aber andere würden sich darüber nicht freuen, Ihnen zum Beispiel wäre es wohl gar nicht recht?“

„O gewiß, wenn Sie mir den Friedel mitbringen!“

„Schon wieder der dumme Junge!“ fuhr der Professor auf. „Der liegt Ihnen allein am Herzen.“

„Seine Zukunft liegt mir am Herzen. Haben Sie sich die Geschichte überlegt?“

„Welche Geschichte?“

„Nun, ich zeigte Ihnen doch gestern das Bild, das Ihnen so wenig schmeichelhaft vorkam und das doch so charakteristisch ist in jeder Linie. Jetzt freilich hat die Aehnlichkeit bedeutend gelitten.“

Es zuckte wieder verrätherisch um die Lippen der jungen Dame, als sie einen Blick auf das gesalbte Haupt ihres Begleiters warf; diesen aber schien die Erwähnung des Bildes sehr ungnädig zu stimmen, er nahm wieder die alte griesgrämige Miene an, als er entgegnete:

„Es fällt mir gar nicht ein, dem Jungen die gewünschten künstlerischen Mucken in den Kopf zu setzen, er ist schon übermüthig genug geworden, der bleibt bei seiner Stiefelbürste. Reden Sie mir nicht darein, mein Fränlein, es bleibt dabei!“

„Punktum!“ ergänzte Dora. „Soll ich Ihnen einmal sagen, Herr Professor, was Sie zunächst thun werden, wenn Sie nach der Stadt kommen?“

„Wissen Sie das so genau?“

„Ganz genau. Sie werden schleunigst zu irgend einem namhaften Künstler gehen und das Talent des Friedel prüfen lassen, dann werden Sie ihn in die Zeichenschule bringen, werden aufs freigebigste für alles sorgen, was er braucht, und mir hierauf mit bekannter Grobheit melden, die Sache sei in Ordnung, sie gehe mich gar nichts mehr an und ich brauche mich überhaupt nicht mehr darum zu kümmern. – Was sagen Sie zu meiner Hellseherei?“

Normann sagte gar nichts. Es grenzte in der That an Hellseherei, daß man ihm seine geheimsten Gedanken und Absichten so ins Gesicht sagte, er war völlig verblüfft darüber.

„Versuchen Sie nur nicht, es mir abzuleugnen,“ fuhr Dora triumphierend fort. „Als wir damals den Aufstieg von der Alm aus unternahmen, hielten Sie mir eine lange Vorlesung darüber, daß es sehr erfreulich und nützlich für die Menschheit sei, wenn das ‚Trauerpflänzchen‘, der Friedel, sobald als möglich umkomme, und dann trugen Sie ihn eine Stunde lang in der glühenden Sonnenhitze, um ihm sobald als möglich Hilfe zu schaffen. Als er nach Schlehdorf gebracht wurde und ich ihn pflegen wollte, wurden Sie grob und erklärten, Sie könnten das ganz allein besorgen. Sie haben auch die ganze Nacht an seinem Bette gesessen und ihm Umschläge gemacht. Jetzt bestehen Sie hartnäckig auf der Stiefelbürste, und sobald ich Ihnen den Rücken gewandt habe, bekommt der Friedel doch den Zeichenstift in die Hand. Sehen Sie nicht so grimmig aus, Herr Professor! Ich glaube Ihnen nichts mehr, kein Wort, Sie haben bei mir verspielt mit Ihrer sogenannten Herzlosigkeit.“

Normann hatte allerdings einen Versuch gemacht, die alte Grimmigkeit zu behaupten, aber es gelang ihm nicht, er fühlte das selbst, und auf einmal beugte er sich nieder und fragte mit verhaltener Stimme:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_832.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)