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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Ich hab’ es gleich gewußt, daß er sich in die Prinzessin verlieben wird, Onkel!“

„Kind, es ist für einen Mann von Schönheitssinn schwer, für einen Künstler aber, der für den Schönheitssinn sozusagen ein Monopol hat, fast unmöglich, sich nicht in Stella zu verlieben.“

Gerda seufzte.

„Es heißt so oft, die Liebe verwandle und veredle die Menschen, Onkel! Glauben Sie, daß Stella auch veredelt werden könnte?“

„Wenn sie es verstände, wahr und wahrhaftig zu lieben, dann wäre das immerhin möglich!“

„Aber das trauen Sie ihr nicht zu?“

„Nein Gerda, leider nicht! Ich bin aber nicht unfehlbar, ich kann mich täuschen, und ich wünsche, es möchte der Fall sein!“

Man hörte eine Zeit lang keinen anderen Laut in dem hübschen, altmodischen Zimmer als das Tick-Tack der Uhr auf dem Kaminsims und die tiefen, regelmäßigen Athemzüge von Hafis, der auf Gerdas Schoß eingeschlafen war.

„Onkel!“ begann sie endlich etwas zaghaft.

„Was denn?“

„Darf ich Sie um etwas bitten?“

„Immerzu!“

„Richten Sie es doch so ein, daß wir niemals oder doch nur ganz ganz selten nach dem Vorderhause kommen, wenn das – das Brautpaar da ist! Ich kann mich so schlecht verstellen, und Stella freut sich dann.“

„Hm!“

„Sie wollen nicht, Onkelchen?“

„So oft es sich thun läßt, will ich Dir den Gefallen erweisen. Aber immer wird sich’s nicht vermeiden lassen, und dann bitt’ ich mir’s aus, daß mein Töchterchen meiner Erziehung Ehre macht und sich hübsch zusammennimmt. Der Mensch ist zu vielen Dingen da, unter anderem auch dazu, daß er sich beherrschen lernt, und jemehr er diese schwere Kunst schon in ganz jungen Jahren übt, um so besser ist es für ihn, und um so leichter kommt er durchs Leben. – Wirst Du Dir Mühe geben?“

„Ja Onkel!“

„‚Ja Onkel!‘ Und ein Gesicht dazu, als wenn ich Dir den Vorschlag gemacht hätte, aufs Schafott zu steigen. Himmel! Wer wird denn gleich so die Flügel hängen lassen! Hafis würde Dich ja auslachen, wenn er nicht schliefe – denn er kann lachen, hast Du’s noch nie gesehen? – Und noch eines kann ich Dir zum Trost in Deinem Leid sagen, mein Kind: warte ab! Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird!“

„Wie soll ich das verstehen, Onkel?“

„Wenn Du solch ein thörichtes kleines Frauenzimmer bist, daß Du das nicht ’mal weißt, dann kann ich Dich nur auf die Zukunft vertrösten; ich hoffe, die wird es Dir praktisch vormachen, und dann erinnere Dich gefälligst unseres jetzigen Gesprächs! Jetzt fort mit Dir, und bis Mittag wird gelernt, verstanden? Nicht dagesessen und ins Blaue gesehen und ‚ach Gott!‘ geseufzt und über Dinge nachgedacht, die nicht mehr zu ändern sind, wenigstens vorläufig nicht, – und die Dich eigentlich noch gar nichts angehen, junger Naseweis! Der Walter Scott wird aufgeschlagen und drei Seiten ‚Jungfrau vom See‘ übersetzt, für morgen zur englischen Stunde – und fließend muß es gehen und mit Ausdruck! Bei der Schildkrötensuppe sehen wir uns wieder!“

Gerda hatte zu allem „ja!“ genickt und lief ganz gehorsam in ihr Zimmer. Ein freundliches, sonniges Mädchenstübchen war es, mit buntgeblümten Vorhängen und hell bezogenen Möbeln. Es sah sehr sauber und aufgeräumt aus – Gerda, die daheim von niemand überwacht worden war, neigte ein wenig zur Unordnung, allein das litt Onkel Grimm nicht; in dem Punkt war er streng, er erschien zuweilen ganz unerwartet, um Nachschau zu halten, und er konnte ernstlich schelten, wenn nicht alles an Ort und Stelle lag.

Also die „Jungfrau vom See!“ Es war Gerda nicht danach zu Muth, aber das half nun alles nichts, es mußte gethan werden. Wirklich, sie hätte sich viel lieber müßig hingesetzt und „ach Gott!“ geseufzt, denn das Herz war ihr unglaublich schwer, und die Thränen waren bereit, wieder hervorzubrechen – aber sie hatte es Onkel Grimm versprochen, und sein Wort muß man halten!

Sie trug sich einen Stuhl an den Tisch, holte das englische Wörterbuch, den „Walter Scott“ und ihr Vokabelheft herbei und vertiefte sich mit Eifer in die Arbeit! –0

Dasselbe that auch Waldemar Andree, als er heimkam. Unverweilt schlüpfte er in seinen Arbeitsrock, schloß das Atelier hinter sich zu und kramte in seiner Skizzenmappe herum; er wollte ein neues Bild anfangen, irgend ein Motiv – gleichviel, welches. Nur nicht stillsitzen und nachdenken oder so thun, als wenn man lese, und eine halbe Stunde lang auf eine und dieselbe Seite starren!

Er traf auf seine verschiedenen vergeblichen Mignonversuche und warf sie unmuthig beiseite. Solch ein Lieblingsgedanke von ihm, und nicht auszuführen! Nein, ohne Modell, bloß aus der Phantasie heraus entschieden nicht auszuführen! Und doch wieder diese unfaßbare, dunkle Idee, als könnte er es doch! –

Ein paar Bildchen von Werner Troost fand er vor – er hatte ihn ja oft gezeichnet, auch einige Male mit farbigen Stiften, das waren aber immer nur flüchtige kleine Studien gewesen; auch das Bild, das er Stella einmal gebracht, war nicht viel mehr gewesen als das. Jetzt kam es ihm plötzlich, er wolle ein ordentliches Porträt von seinem verstorbenen Freunde malen, ein lebensgroßes Brustbild. Und nicht etwa für Stella sollte dies sein! Nein, für sich selbst, als Eigenthum wollte er es haben. Er fühlte es ganz deutlich: jetzt mehr denn je mußte er sich mit Werner Troost beschäftigen, nun, da er dessen Wunsch erfüllt hatte und wirklich sein Erbe geworden war!

Mit brennendem Eifer ging er ans Werk. Wie ihm gleich der erste Umriß gelang! Er trat zurück und lächelte. Zwischendurch sagte er sich’s immer wieder vor: Verlobt! Mit Stella Brühl verlobt! Er sah auf seine Hand, auf den Finger herab, den der Ring schmücken sollte! Der Ring? Ob Stella es sich wünschen würde, einen zu haben? Er hatte noch nicht mit ihr darüber gesprochen. Man würde den Ring selten tragen dürfen, die Verlobung sollte ja ein Geheimniß sein!

Auf dem Wege nach seiner Wohnung hatte er ein kostbares Bukett für seine Braut bestellt und für den nächsten Morgen in ihr Haus beordert. Was konnte er ihr sonst schenken? Er sann angestrengt darüber nach. Sie besaß viel Schönes – es mußte etwas ganz Besonderes und sehr Kostbares sein, wenn es ihr Freude machen sollte. Morgen, ehe er zum Essen ins Brühlsche Haus ging, wollte er einen berühmten Hamburger Juwelier besuchen uud sich dort die Sachen ansehen. Vielleicht hatte der Mann etwas Passendes.

Und übermorgen sollte die Sitzung sein, sollte Stella hierherkommen! Andree blickte sich prüfend in seinem Atelier um. Es war ja ein schöner Raum, er sah aber immer noch etwas kahl aus. Seine frühere Ateliereinrichtung, die wohlverpackt einstweilen in Rom geblieben war, hatte anders ausgesehen. Was für prachtvolle Sachen hatte er dort gehabt! Er mußte wenigstens in aller Eile ein paar Gobelins, orientalische Decken, hübsche Vasen und Trinkgefäße besorgen, um die nackten Wände etwas zu schmücken – in einer Stadt wie Hamburg, in der soviel Schätze aufgespeichert waren, würde sich dergleichen ja mit Leichtigkeit auftreiben lassen.

Die blaßgoldene Novembersonne lugte ins Atelier und traf die „Eos“. Ja, das war ein gelungenes Werk, das würde ihn groß machen, er hatte es aus seiner Seele heraus gemalt! Und auch mit Stellas Porträt war er zufrieden! Das süße Gesicht! Und jetzt war sie sein eigen! War er nicht ein glückseliger Mann?

Die nächste Fortsetzung folgt in Nr. 51, da Nr. 50 ausschließlich dem Weihnachtsfeste gewidmet ist.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_828.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)