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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Ja - ja - natürlich. Wissen Sie, Oehmke, ob man mich empfangen wird?“

„Aber ganz sicher, Herr Andree! Herr und Frau Senator haben ausdrücklich betont: für gute Freunde, die zum Haus gehören, wären sie heute schon zu sprechen – nur die Fremden sollte ich abweisen. Ich weiß ja Bescheid: Herr Grimm und die beiden Herren von Tillenbach und Konsul White, der auch schon jeden Tag nachgefragt hat, wann die Herrschaften kämen –“

Andree hörte nicht zu Ende. Er nahm die Treppe im Sturmlauf.

Oben über das Geländer hatte ein schöner Mädchenkopf sich neugierig vorgebeugt und war blitzschnell wieder verschwunden, als der Mann so hastig emporstürmte.

„Dudu,“ befahl Stella dem schwarzen Bürschchen, das oben im Vorzimmer neben einer wundervollen Pflanzengruppe kauerte, „gleich wird ein Herr hierherkommen – den läßt Du in dies Zimmer ein, und sonst niemand außer ihm – niemand, hörst Du, wer es auch sei!“

Stella hatte rasch und erregt gesprochen, sie war des Verkehrs mit dem kleinen Mohren seit Monaten entwöhnt, nahm vielleicht auch an, er könne während ihrer langen Abwesenheit einige Fortschritte im Deutschen gemacht haben. Sie sagte ihm also nicht langsam und deutlich einzelne abgerissene halb englische halb deutsche Sätze vor, wie Gerda es immer that, sondern redete schnell und zusammenhängend mit ihm wie mit jedem intelligenten deutschen Bedienten, dem sie Befehle ertheilen wollte.

Die Folge davon war, daß Dudu kein Wort von dem verstand, was sie zu ihm gesagt hatte. Er lebte aber in zitternder Angst vor „Missie“ Stella, die ihn so willkürlich behandelt, so oft vernachlässigt und zuweilen sehr empfindlich bestraft hatte. Es auszusprechen, daß er ihren rasch und herrisch herausgestoßenen Befehl nicht verstanden hatte, das hätte er nie gewagt. Uebrigens wäre zu diesem Geständniß auch keine Zeit mehr gewesen, denn in der nächsten Minute schon war Stella im anstoßenden Zimmer verschwunden.

Unmittelbar darauf stand Andree, hochathmend von dem raschen Lauf, vor dem Mohren.

Dudu, dem er stets freundlich begegnet war, grinste bei seinem Anblick von einem Ohr zum andern und sagte, wiederholt mit dem Kopf nickend, indem er zugleich mit dem schwarzen Zeigefinger auf die nächste Thür deutete.

„Missie Stella – Missie Stella – in – door!

Andree nickte ihm zu und pochte leise an die bezeichnete Thür.

Im nächsten Augenblick stand sie vor ihm, in Sonnenlicht gebadet, ein Lächeln auf den Lippen.

Er hatte ihr zürnen wollen – wo blieb sein Zorn? Er hatte hundert Fragen, Vorwürfe für sie auf den Lippen – es fiel ihm kein einziges Wort mehr davon ein.

Sie gewahrte es mit einem Blick, daß ihre Gewalt über ihn noch dieselbe war. Fassungslos, wie ein Kind stand er vor ihr, keines Wortes mächtig. Sie reichte ihm die Hand, und er drückte sie gegen seine Augen und Lippen, zuletzt gegen sein Herz. Das schöne Mädchen lächelte träumerisch. Oft hatte sie unterwegs an dies Wiedersehen gedacht, jedesmal mit einem ganz seltsam warmen Gefühl, mit einem Gemisch von Triumph und innerer Bewegung. Sie hatte zu ihrer Mutter damals nach jenem gefühlvollen Abschied gesagt: „Sei ruhig, es hat nichts zu bedeuten, und es wird auch nichts daraus werden!“ und dies war auch heute noch ihre Ansicht, es hatte sich nichts in ihrem Programm geändert. Aber sich von Andree lieben lassen, ganz heimlich, ohne daß eine Menschenseele es ahnte, und dies eine Zeitlang in aller Stille fortsetzen und hundert Mittel und Wege finden, ihn allein zu sprechen, und vor aller Welt Versteck spielen, bis – nun bis es eben zu Ende sein mußte und sich ihrem gewandten Geist ohne Zweifel auch ein Weg zeigte, der zu eben diesem Ende führte … das lockte Stella Brühl, das dachte sie sich reizvoll! Es hatte doch auch vor ein paar Jahren seinen eigenen Reiz gehabt, ihr heimliches Verlöbniß mit Werner Troost, die wenigen verschwiegenen Zusammenkünfte, die geschickt aufgefangenen Briefe! Sie war blutjung damals gewesen und regelrecht verliebt – – jetzt –

Es war eine kinderleichte Aufgabe gewesen, einen Werner Troost zu gewinnen, festzuhalten und nach ihrem Belieben zu lenken; hier, bei Waldemar Andree würde das schwerer halten, aber sie wollte doch sehen – –

Er konnte endlich sprechen, wenn auch nur mit umflorter Stimme, wie erstickt vom Schlagen seines Herzens.

„Stella … wie lange soll meine Probezeit noch dauern? Ich ertrage das nicht länger!“

„Nicht?“ flüsterte sie. „Nun“ – mit einem hörbaren Aufathmen und mit einem raschen Entschluß – „ich auch nicht!“

Er starrte sie an, wie wenn er seinem Glück nicht trauen könne. Er wagte es auch nicht, sie stürmisch in seine Arme zu schließen. Ganz langsam, trunken vor Glück, legte er seine zitternde Hand auf ihr goldenes Köpfchen, bog es leicht zurück und sah ihr tief in die Augen. Ihr leuchtendes Blau war so unergründlich – wie das Meer, hatte er oft gedacht. Aber das hat Untiefen …

Scheu legten sich seine Lippen auf das flimmernde Haar – Eos, seine Göttin, war zu ihm herabgestiegen.

„Hast Du mich lieb und willst Du mir treu sein?“ fragte er ganz leise.

„Ja!“ nickte sie lächelnd. „Ich hab’ Dich bald lieb gewonnen, aber – aber – es sah so treulos aus gegen unsern Toten, ich hab’ dagegen angekämpft, doch nun die lange Trennung! Wie hast Du sie überstanden? Hast Du an mich gedacht?“

„Immer! Immer!“

„Dich nach mir gesehnt?“

„Unbeschreiblich!“

„Mich gescholten, daß ich so lange nicht wiederkam?“

„Ja! Ja!“

Sie hob ihr Gesichtchen zu ihm auf, und er küßte sie auf den Mund. Es war ein Kuß, der nicht enden wollte!

„Mein Kleinod! Mein Traum! Liebstes – Schönstes! Wird man Dich mir auch geben wollen? Deine Eltern –“

„Die dürfen’s noch nicht wissen! Es darf’s noch niemand wissen!“ Sie legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Lippen. „Nein, nein – nicht böse sein! Wir brauchen Zeit! Papa hat andere Pläne mit mir – ich muß ihn langsam vorbereiten, ihn allmählich gewinnen, aber ich werde es, ich werde es! Ich bin sein Lieblingskind, er thut, was ich will. Nur nicht im Sturmlauf – die Eltern sind so gütig mit mir – verdienen sie nicht auch meine Rücksicht? Ach, nur nicht dies finstere, enttäuschte Gesicht! Wir werden einander oft sehen und sprechen, sehr oft, ich verspreche Dir’s, ich kann das schon ins Werk setzen! Sieh mich doch an … Waldemar!“

Er fiel schüchtern von ihren Lippen, sein Name – zum ersten Mal – er war besiegt!

„Mein Stern – wie Du willst! Was Du willst! Aber wann –“

„Laß’ Du mich nur machen! Die Bilder, sind sie fertig?“

„Dein Porträt wohl – die ‚Eos‘ noch nicht ganz –“

„Nun, siehst Du! Ein willkommener Vorwand! Nach Uhlenhorst hinaus können wir jetzt nicht mehr – hier im Hause läßt sich nicht gut ein Atelier herrichten … also muß ich zu Dir kommen! Die Willmers begleitet mich, verlaß Dich fest auf mich, ich richte es alles ein! Sie thut, was ich wünsche, sie hat keinen Willen – wir haben jeden Tag eine lange Sitzung, Du dehnst die Sitzungen aus, wirst nicht fertig mit dem Bilde – und derweilen gewinn’ ich langsam den Papa – und wenn dann die Ausstellung kommt, Dein berühmter Name durch die Welt fliegt –“

„O Liebling! Die Ausstellung haben wir erst zu Ende Januar, vielleicht noch später.“

„Sei doch gut! Sei doch geduldig! Ist’s denn eine so lange Zeit bis dahin? Siehst Du’s denn nicht ein, daß Dein Werk, Dein schönes, geniales Werk, das jedermann bewundert, das Dich auch hier zu dem berühmten Manne macht, der Du ja lange schon außerhalb Hamburgs bist – daß dies nothwendig ist, um meine Eltern umzustimmen? Sie sehen beide viel auf Aeußerlichkeiten, auch die Welt soll berücksichtigt werden, sie wollen Aufsehen erregen – es mag eine Schwäche von ihnen sein, aber sie entspringt doch ihrer übergroßen Liebe zu mir! Und wenn ich sie dazu bringen will, ihre Pläne, die sie mit mir haben, aufzugeben –“

„Was sind das für Pläne?“ Andree zog die Stirn in Falten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_822.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)