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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

es sich wohl sehr romantisch, so ein ‚gottbegnadetes Talent‘ in Lumpen zu entdecken und der Welt einen modernen Raphael zu geben, junge Damen denken sich das immer so. Das ist ja so rührend, so menschenfreundlich, so erhaben – der Kuckuck hole all die schönen Gefühle, mit denen so viel Unheil angerichtet wird in der Welt. Ich, das wissen Sie –“

„Ja, Sie stehen natürlich wieder auf dem höheren Standpunkte,“ unterbrach ihn Dora. „Sie halten gar nichts von der sogenannten Menschenliebe, das weiß ich.“

„Und darum leide ich es nicht, daß dem Jungen Mucken in den Kopf gesetzt werden,“ erklärte Normann, den der Spott vollends reizte. „Da soll er wohl gar Zeichenunterricht haben, soll sich einbilden, er könne ein großer Maler werden, sich an ein Herrenleben gewöhnen, und dann wird schließlich nichts daraus, dann bleibt er mit seinem sogenannten Talente elendiglich sitzen oder wird Stubenmaler, und dann ist er erst recht unglücklich, denn die Mucken gehen nicht so leicht wieder aus dem Kopfe, wenn sie erst einmal drin sind. Nein, mein Fräulein, daraus wird nichts! Sie nennen es wahrscheinlich auch Menschenliebe, solch einen Burschen ohne weiteres seinem Lebenskreise zu entreißen und aufs Gerathewohl in einen anderen zu versetzen, ich sage Ihnen, das ist ein Unglück für ihn, und diesmal stehe ich ganz entschieden auf dem höheren Standpunkte, ganz entschieden.“

Die Entschiedenheit half dem Herrn Professor vorläufig sehr wenig, Dora schloß die Mappe und sagte dann so gelassen, als habe sie die freundlichste Zustimmung gefunden:

„Mein Urtheil ist natürlich nicht maßgebend, aber wenn mein Lehrer es bestätigt, so muß irgend etwas für Friedel geschehen. Mein Vater ist leider nicht reich genug, um solche Opfer zu bringen, Sie sind vermögend, also müssen Sie es thun.“

„Ich muß?“ wiederholte Normann, ganz starr über diese Wirkung seiner hitzigen Erklärung. „Also weil Kollege Herwig die Dummheit nicht machen kann, muß ich sie machen? Das ist ganz selbstverständlich? Aber da irren Sie sich denn doch, mein Fräulein. Der Friedel ist ein Tagelöhnerkind und muß sich durch die Welt schlagen, wie alle seinesgleichen es thun, der bleibt beim Stiefelputzen – Punktum!“

Er setzte sich mit einem hörbaren Ruck auf die Bank nieder, um seinen Worten mehr Nachdruck zu geben, und dachte nun mit diesem „Punktum!“ fertig zu sein; aber er unterschätzte seine jugendliche Gegnerin, die plötzlich den Gegenstand fallen ließ und ganz unvermittelt fragte:

„Herr Professor, haben Sie einen Garten bei Ihrer Wohnung?“

„Ich? Nein, ich wohne ja mitten in der Stadt,“ sagte Normann, verwundert über diese Frage.

„Wir haben einen großen schönen Garten in Heidelberg. Er liegt am Bergeshang, und man sieht weit hinaus in das Neckarthal. Der letzte Winter war sehr hart, und bei dem strengen Frost sind so manche von unseren Blumen und Gesträuchen zu Grunde gegangen. Sie lagen ausgerodet auf einem Haufen und sollten gerade fortgeschafft werden, als ich eines Morgens herunterkam. Da gewahrte ich mitten unter all dem dürren Gestrüpp ein paar dürftige grüne Blättchen. Es war ein kleiner Rosenstrauch, der so traurig hervorlugte aus den vertrockneten Reisern, wo er nun auch verkommen sollte. Ich zog ihn hervor und brachte ihn unserem alten Gärtner, der gerade die Rosengebüsche umpflanzte; doch der lachte mich aus und meinte, das Ding sei ganz erfroren und blühe nicht mehr, ich solle es nur in den Kehricht werfen. Aber mir that das arme Ding leid, das sich so gemüht hatte, auch ein paar armselige Blättchen zu treiben im ersten Frühlingssonnenschein und das nun doch vertrocknen und verderben sollte, während all seine Kameraden so lustig grünten. Ich pflanzte es selbst an den sonnigsten Platz und begoß es täglich. Es kränkelte wohl noch wochenlang und wollte nicht gedeihen, doch auf einmal fing es an zu treiben und grünte und wuchs, und zur Blüthezeit stand es über und über voll Rosen.“

Die sonst so helle Stimme des jungen Mädchens klang jetzt weich und verschleiert und die klaren braunen Augen blickten eigenthümlich ernst in die des Professors, der keine Silbe erwiderte, aber sie unverwandt ansah. Nach einem minutenlangen Schweigen fuhr Dora leise fort:

„Wenn ich in die hübschen blauen Augen des Friedel sehe, wie sie aufleuchten, sobald er nur irgend etwas vom Malen sieht oder hört, dann muß ich immer an meinen kleinen Pflegling denken mit seinen ersten dürftigen Trieben und seiner Rosenpracht.“

Es trat wieder eine Pause ein, dann sagte Normann mit merkwürdig verändertem Tone:

„Hm! Ich werde mir die Geschichte überlegen.“

Dora stand auf und nahm ihre Skizzenmappe.

„Thun Sie das, Herr Professor! Ich habe heute ein sehr, sehr grimmiges ‚Punktum‘ in Empfang genommen, ich will durchaus morgen ein ebenso grimmiges ‚Ja‘ mit auf die Reise nehmen – gute Nacht!“

Und nun erklang es wieder, das frische, übermüthige Lachen, das den Professor so oft geärgert hatte und dem er doch lauschte wie einer Musik, und ohne eine Antwort abzuwarten, eilte das Mädchen davon und verschwand im Hause.

Normann sah ihr einige Minuten lang unbeweglich nach, dann fuhr er sich mit beiden Händen in die Haare, sonst seine Lieblingsbewegung, die ihm aber diesmal ein merkliches Unbehagen verursachte.

„Ob ich denn wirklich so aussehe, wie der verwünschte Junge mich abkonterfeit hat?“ murmelte er. „Und zum Dank dafür soll ich ihm gar noch Unterricht geben lassen? Wie sie das erzählte, die Geschichte von dem Rosenstrauch! Man hätte das Mädchen beim Kopf nehmen mögen und“ – hier hielt er inne, ganz entsetzt von dem ungeheuerlichen Gedanken, der ihm plötzlich aufstieg.

Aber die schlimmen Gedanken haben es leider an sich, daß sie immer wieder kommen; so ging es auch dem armen Professor, er kam nicht los davon, bis er sie endlich mit einem förmlichen Ingrimm abschüttelte.

„Unsinn! Wenn ich im Frühjahr nach Heidelberg komme, ist sie längst verlobt. Soll ich vielleicht die Herrlichkeit mit ansehen und meinen ergebensten Glückwunsch dazu abstatten? Die Studenten machen ihr ja sämmtlich den Hof, und die Herren Dozenten thun das auch, ‚mit ernsteren Absichten‘ – ich möchte der ganzen Gesellschaft den Hals umdrehen!“ schloß er wüthend, mit einer entsprechenden Handbewegung, sodaß Friedel, der eben in die Laube trat, erschrocken zurückprallte.

„Herr Professor –?“

„Nun, Dich meine ich nicht damit, brauchst Dich nicht so zu fürchten,“ brummte dieser.

„Ich fürchte mich auch gar nicht mehr“, versicherte der Knabe treuherzig, allein sein Herr und Meister nahm das gewaltig übel.

„So, also Du hast gar keinen Respekt mehr vor mir, und das sagst Du mir auch noch ins Gesicht? Der Junge fürchtet sich nicht einmal mehr! Das werde ich ihm doch wieder beibringen. Friedel, Du kommst hierher!“

Friedel gehorchte, aber er guckte mit seinen blauen Augen ganz furchtlos den Professor an, der nichts Geringeres beabsichtigte, als ihm eine donnernde Strafpredigt wegen des lieblichen Bildes zu halten; da kam ihm auf einmal wieder die Geschichte mit dem Rosenstrauch in das Gedächtniß, und das Strafgericht verwandelte sich in einen ganz einfachen Auftrag.

„Friedel, morgen reisen der Herr Professor und das Fräulein ab, da gehst Du auf der Stelle und besorgst mir –“

„Einen Blumenstrauß!“ fiel Friedel verständnißvoll ein.

„Naseweis! Was soll ich denn mit einem Blumenstrauß anfangen?“ fuhr ihn Normann an. „Mußt Du denn immer darauf los schwatzen? Eine Flasche Haaröl sollst Du mir kaufen.“

„Haar–öl?“ wiederholte Friedel, starr vor Verwunderung.

„Nun ja – oder giebt es etwa nicht dergleichen in dem Neste hier?“

„Ich glaube wohl, beim ‚Kramer.‘“

„So geh’ zum ‚Kramer‘!“

Friedel konnte sich noch immer nicht in den unglaublichen Auftrag finden.

„Soll es eine kleine oder eine große Flasche sein?“ fragte er endlich.

„Die größte, die zu haben ist, und nun mach’, daß Du fortkommst. – Halt! Was hast Du da in Deiner Joppe?“

Der Knabe wurde dunkelroth und griff hastig nach seiner Joppe, aus der ein gewisses blaues Etwas hervorlugte, das er zu verbergen suchte, aber der Professor merkte diese Absicht und nahm es ihm fort.

„Was soll denn das heißen? Das ist ja der Schleier von Fräulein Doras Reisehut, den Du vorhin erst in das Haus getragen hast! Wie kommst Du dazu?“

Die argwöhnische Frage brachte den Knaben noch mehr in Verwirrung, er senkte schuldbewußt die Augen und stotterte:

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