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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Zeit verschwindet) oder, wenn ernste Störung droht, „wandert“ (flüchtet); dabei wird leicht dieser oder jener „verschüttet“ (gefangen genommen), der hoffentlich nichts von den übrigen „pfeift“ (verräth) und sich auch nicht „reinrudert“ (schlecht vertheidigt), sondern dem Richter „einen Putz vormacht“ (sich herauszulügen sucht), damit er nicht mehr wie „Schurf“ (ein Jahr Zuchthaus) bekommt oder auch nur das „Tfieze“ (Gefängniß) bezieht, wo er leichter mit anderen Gefangenen „kaspern“ (verstohlen sprechen) und sich mit ihnen trotz der „Amtsschauter“ (Gefängnißwärter) „Zinken“ geben sowie schriftlich durch „Kassiber“ (kleine Zettel) verständigen und womöglich neue Pläne „bedibbern“ kann.

Verbrecherkneipe.

Auch für die „Technik“ des Einbrechens oder Diebstahls hat diese merkwürdige Sprache ihre besonderen Ausdrücke; „ein Ding schwenken“ heißt einen schweren Einbruch vollziehen, zu welchem die ganze „Tandelei“ (Diebswerkzeug) und namentlich „der Lude“ (Brecheisen) nöthig ist; kann man nicht „tandeln“ (mit falschen Schlüsseln öffnen) und helfen auch die „Haken“ (Dietriche) nicht, so muß man „knacken“ (aufbrechen), wozu nur „kesse Jungen“ (muthige, erfahrene Verbrecher) und nicht „schalfe“ (Anfänger) benutzt werden können, die Furcht vor „Greifern“ (Kriminalbeamten) und „Eulen“ (Nachtwächtern) haben. Ist das Geschäft glatt gegangen, hat man vom „Schärfer“ genug „Männer“ (Thaler) erhalten, so sucht man die „Klappe“ oder „Kaschemme“ (Verbrecherkneipe) auf, um sich dort mit anderen „Geschäftsgängern“ (Dieben) zu erholen und dann in der „Bleibe“ (Schlafstelle) zu „joschen“ (ruhen), falls man sich nicht „plattmacht“ (obdachlos umhertreibt) oder in eine „Penne“ geht.


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Der höhere Standpunkt.

Von E. Werner.

 (2. Fortsetzung.)

Dora zog aus der Mappe ein einzelnes Blatt hervor und reichte es dem Professor, der es sehr mißtrauisch in Empfang nahm. Aber kaum hatte er einen Blick darauf geworfen, so fuhr er in heller Wuth auf.

„O dieser infame Schlingel, das ist also seine Dankbarkeit! Jetzt zeichnet er mich als Vogelscheuche. Nun, der kann sich freuen, wenn er mir unter die Hände geräth!“

Um die Lippen der jungen Dame zuckte es von neuem bei diesem Wuthausbruche, aber sie bemühte sich, diesmal ernst zu bleiben.

„Ah, Sie erkennen also doch das Bild?“

„Natürlich, es ist ja sprechend ähnlich. Aber das hat der Friedel nun und nimmermehr allein gemacht, dabei haben Sie ihm geholfen.“

„Ich habe auch nicht einen Strich daran gezeichnet, er hat es ganz heimlich gethan und wollte mir das Blatt durchaus nicht geben, als ich ihn dabei überraschte. So sehen Sie aus, wenn Sie übler Laune sind, und das sind Sie eigentlich immer.“

Das war dem Professor zu viel, er sprang auf.

„Was, so soll ich aussehen? Bin ich ein Popanz, mit dem man die kleinen Kinder zu Bette jagt? Habe ich eine solche Nase, eine solche Urwaldsmähne?“

„Die Nase ist allerdings etwas zu groß gerathen, aber Stirn und Augen sind vorzüglich getroffen, und Ihr Haarwuchs – Sie sehen wohl nie in den Spiegel, Herr Professor?“

„Nein!“ schnaubte Normann, der immer erregter wurde, je mehr er das Bild anblickte, das allerdings nicht besonders schmeichelhaft war.

„Nun, dann thun Sie es morgen und dann lassen Sie dem Friedel Gerechtigkeit widerfahren! Bei Ihrer Urwaldsmähne – bitte, das Wort stammt von Ihnen – hat er wirklich nicht übertrieben, die ist naturgetreu.“

„Soll ich sie vielleicht abschneiden und mit geschorenem Kopfe umherlaufen wie ein Sträfling?“

„Nein, Sie sollen es vorläufig nur mit etwas Haaröl versuchen, vielleicht würden Sie dann menschlicher aussehen.“

Der Professor fuhr mit beiden Händen durch die Haare.

„Ich sehe also unmenschlich aus? Unmenschlich! Meinten Sie das, Fräulein Dora?“

„Ganz unmenschlich, Herr Professor,“ sagte Dora kaltblütig, „und nun geben Sie mir das Bild zurück!“

„Erst will ich es dem Jungen um die Ohren schlagen,“ erklärte Normann, aber die junge Dame verhinderte ihn an dieser freundlichen Absicht, indem sie ihm das Blatt einfach fortnahm und es in die Mappe legte.

„Bitte, ich nehme es mit nach Heidelberg und zeige es meinem Lehrer, der einer unserer angesehensten Maler ist. Ich weiß freilich im voraus, was er sagen wird! Wenn der Knabe das wirklich ohne jeden Unterricht, ohne die geringste Anleitung gezeichnet hat, dann ist er ein gottbegnadetes Talent, das man fördern muß.“

„Oho, also darauf läuft es hinaus?“ rief der Professor, dem jetzt in der That ein Licht aufging. „Einen Maler wollen Sie aus dem Jungen machen, weil er mit Bleistift irgend etwas hingekritzelt und mich zur Vogelscheuche gemacht hat! Sie denken

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 816. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_816.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2024)