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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

oder Stemmeisen genommen werden, ein Messer, meistens ein sogenannter Genickfänger, in den seltensten Fällen ein Revolver.

Schmierestehen.

Zur Ausführung eines gewaltsamen Einbruchs vereinigen sich fast immer mehrere Verbrecher, die sich willig der Führung des gewandtesten unter ihnen anvertrauen und diesem blindlings gehorchen. Stets wird ein solcher Einbruch vorher genau ausgekundschaftet, und die Thäter verschaffen sich die eingehendste Kenntniß der Oertlichkeiten, der besten Gelegenheiten zum Einbruch, der Lebensgewohnheiten der Eigenthümer, des Dienstbotenpersonals, der Vortheile bei einer Flucht etc. Unter den verschiedensten Verkleidungen suchen die Kundschafter – in der Gaunersprache „Ausbaldowerer“ genannt – ihre Zwecke zu erreichen: bald meldet sich ein elegant gekleideter Herr, um die Wohnung (falls sie zu vermiethen ist) zu besichtigen, bald kommt ein Arbeiter, um die Gasröhren auf ihre Dichtigkeit zu prüfen, eine Frau klingelt und wünscht die Dame des Hauses zu sprechen, um dann irgend eine nichtige Frage oder Bettelei an sie zu richten, ein Paket wird für den Hausherrn abgegeben und – angeblich wegen Verwechselung der Adresse – bald wieder abgeholt, an der Küchenthür meldet sich ein Kolporteur und knüpft mit dem Dienstmädchen ein Gespräch an, oder ein Kohlenträger fragt, ob hier Kohlen bestellt seien, und auf das erfolgende „Nein“ bittet er, sich einen Augenblick ausruhen zu dürfen u. s. f. Häufig geschieht es auch, daß vorher mit den Dienstmädchen Liebschaften oder mit den Dienern Freundschaften angeknüpft werden; ja, es ist schon vorgekommen, daß der eine oder andere Verbrecher in den Dienst einer Herrschaft trat, auf deren Beraubung es abgesehen war.

Ist alles zur That vorbereitet, so geht es an die Ausführung, meistentheils unter dem Schutze der Nacht, wobei hervorgehoben werden muß, daß der Eintritt in die Häuser äußerst selten auf gewaltthätige Weise versucht wird, sondern der oder die Thäter sich vorher einschleichen und sich irgendwo verbergen, um zur geeigneten Stunde ihr Versteck zu verlassen. Zur selben Zeit oder bereits vorher haben auch auf der Straße die Aufpasser – „Schmieresteher“ – ihr „Amt“ angetreten und warnen erforderlichen Falls ihre Gefährten, von denen oft wieder einer auf dem Flur oder auf der Treppe Wache hält, durch ein verabredetes Zeichen, einen leisen Pfiff, ein Wort, einen Ruf.

Ist der Dieb in die Wohnung eingedrungen, so hält er zunächst Umschau, ob eine Entdeckung droht, dann macht er sich hastig und doch planmäßig auf die Suche nach Werthsachen, wobei er stets zwischen echten und unechten Stücken unterscheidet und nur die ersteren mitgehen heißt; sind einzelne Dinge zum Fortschaffen zu groß oder zu beschwerlich, so zerstückelt er sie und bemächtigt sich der werthvollsten Theile; am willkommensten ist ihm natürlich Geld in bar oder in Scheinen, auch Werthpapiere läßt er nicht liegen, wenn sie nicht, wie ausländische, schwer zu verkaufen sind. Welche Frechheit oft die Diebe bei diesen Einbrüchen entwickeln, geht daraus hervor, daß sie selbst in die Schlafstuben der Bewohner dringen und dort nach Geldtaschen, Uhren, Ringen etc. forschen; an anderen Stellen wieder verschmähen sie eine Stärkung mit Wein oder Bier nicht und rauchen behaglich beim Ausräumen der Kisten und Kasten die Cigarren des Besitzers. Im Gegensatz zu dieser Frechheit steht wiederum ihre Angst und Fassungslosigkeit bei unerwarteter Ueberraschung. So unternahm vor einer Reihe von Jahren ein Dieb einen Einbruch in die Wohnung eines Arztes; als er behutsam in das Arbeitszimmer desselben trat, befand er sich plötzlich einem menschlichen Skelett gegenüber und erschrak dermaßen, daß er in epileptische Krämpfe verfiel; spät nachts wurde er von dem nach Hause kehrenden Mediziner in diesem Zustande aufgefunden und natürlich der Polizei übergeben.

Einbrecher bei der Arbeit.

Hat der Dieb die Räumlichkeiten durchsucht, findet er nichts Mitnehmenswerthes mehr oder kann er nichts weiter fortbringen, so lauscht er geraume Zeit, ob alles ruhig ist; dann giebt er den Schmierestehern ein leises Signal, welches diese in entsprechender Weise erwidern, damit er weiß, ob er noch bleiben soll oder kommen kann. In letzterem Falle wird der Einbrecher möglichst bald das gestohlene Gut loszuwerden suchen, indem er es einem der Aufpasser oder einem besonders dazu bestellten Helfer übergiebt, welcher es seinerseits sofort zu dem meist schon vorher unterrichteten Hehler bringt. Dieser in mittelbarer oder unmittelbarer Verbindung mit den Dieben stehenden Hehler giebt es in Berlin eine große Zahl, und sie machen der Polizei mehr zu schaffen als die Diebe selbst, denn abgesehen davon, daß sie von ihren „Kunden“ fast nie angegeben werden, verfügen sie über die verborgensten Absatzquellen und handeln mit einer List und Schnelligkeit, daß sich wenige Stunden nach einem Einbruch die gestohlenen Sachen schon in vierter oder fünfter Hand, vielleicht sogar bereits außerhalb Berlins, befinden. Daher erklärt es sich auch, daß es viel häufiger gelingt, die Diebe zu fassen, als das gestohlene Gut wieder herbeizuschaffen. Hundertfach sind die Kanäle, in welche diese Hehler den Raub ableiten, für die seltsamsten Gegenstände haben sie ihre besonderen Abnehmer, die wiederum für den Weitervertrieb sorgen oder die gestohlenen Sachen unkenntlich zu machen wissen durch Einschmelzen, durch Umändern, durch Vertilgung der Fabrikmarken und dergleichen mehr. Daß die Hehler und ihre Unterhändler den größten Nutzen bei diesem Ab- und Umsatze für sich herausschlagen und der Dieb nur einen verschwindenden Bruchtheil des eigentlichen Werthes der gestohlenen Waren erhält, braucht kaum erst hervorgehoben zu werden. So ist denn auch die Lage des Verbrechers bald nach der That so übel wie zuvor: das aus dem Raub erübrigte Geld ist rasch in Saus und Braus durchgebracht, und die Noth treibt zu neuen Verbrechen. Oft sind es gerade die Hehler, welche die Rolle des Anstifters spielen oder gar neue Gelegenheiten zu erfolgversprechenden Einbrüchen nachweisen.

Im Gegensatz zu den aufs eingehendste „baldowerten“ Einbrüchen stehen die Gelegenheits-Einbrüche,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_813.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)