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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

engen Verkehr mit ihr hatte er nie einen Widerspruch in ihrem Wesen, nie ein Abweichen von der Wahrheit entdeckt, … er hätte es vielleicht vermocht, wenn er sie scharf beobachtet haben würde. Aber er liebte sie – und ein leidenschaftlich Liebender ist ein schlechter Beobachter. –

Also fort! Die Kette herrlich schöner Tage unterbrochen! Seine Freude, die er von Tag zu Tag mit heimlicher Flamme in sich genährt, dahin! Nicht mehr würde er einschlafen mit einem glücklichen Lächeln und einem geflüsterten oder gedachten: auf morgen! Er würde nicht mehr mit einem gesteigerten Wonnegefühl erwachen und in brennender Ungednld, die einzig und allein durch Malen, durch Malen an ihrem Bilde, zu beschwichtigen war, die Stunde herbeisehnen, die ihn endlich wieder zu ihr brachte! Seine Sonne, sein Glück, sein künstlerisches Ideal fort!

00– Er stand wie im Traum und sah auf ihr wundervolles Haar, dem die Sonne rothe Lichter entlockte, und er kostete in dieser Minute zum voraus all’ die Bitterkeit und qualvolle Sehnsucht durch, die diese Trennung ihm bereiten würde. –

Frau Brühl stand neben dem breiten Fenster und betrachtete die beiden mit wachsendem Erstaunen. Sie fand dies schwüle Schweigen und gegenseitige unverwandte Anblicken etwas sonderbar. Es war ziemlich lange her, seit sie zum letzten Mal als Ehrendame hier oben im Atelier gewesen war. In der letzten Zeit hatte die Prinzessin immer ihre getreue Willmers zu diesem Posten bestimmt. Sollte sich unterdessen hier etwas angesponnen haben? Zwar, daß Andree in Stella verliebt war, fand sie selbstverständlich, sie hätte sich sehr gewundert, wenn ein Mann, der so andauernd das Glück genoß, ihren Engel zu sehen und mit demselben zu verkehren, nicht sein Herz an ihn verloren haben würde! Aber Stella! Was war mit ihr? Wie benahm sich das Kind? Sie sah jetzt aus, als koste sie die Trennung selbst einen schweren Entschluß, … mein Gott, und sie hatte doch zu Papas Vorschlag Ja und Amen gesagt und hinzugefügt, es sei sogar in mancher Hinsicht nothwendig, daß die Reise vor sich gehe. – Die betroffene Mama schüttelte bedenklich den Kopf, sie wagte nichts zu sagen, da sie genau wußte, daß Stella solche Einmischungen weder liebte, noch überhaupt duldete, aber sie fühlte sich äußerst ungemüthlich.

„Also fort!“ sagte endlich Andree mit heiserer Stimme. „Wohin? Und wie lange?“

„Nach Trouville – zunächst, nur für ein paar Wochen!“

„Nur für ein paar Wochen!“ wiederholte die entrüstete Mama in Gedanken. „Und ich, die ich mir Herbstkostüme bestellt und mich ganz darauf eingerichtet habe, bis in den Oktober hinein fortzubleiben, wenn auch nicht gerade in Trouville! Was das Kind sich denkt?“

Wieder eine schwüle Pause! Endlich trat er näher und faßte ihre Hand, die Mama schien er ganz vergessen zu haben.

„Sie sind doch nicht ernstlich leidend?“ fragte er sanft und leise. „Sie fühlen sich nicht krank?“

So schwer bekümmert klang seine Stimme, so traurig und besorgt blickten seine guten Augen sie an, daß etwas wie Beschämung über die Komödie, die sie vor ihm aufführte, über sie kam.

„Das nicht gerade!“ murmelte sie. „Nein – nicht krank – nur ermüdet! Die langen Sitzungen –“

Er sah sie reuevoll an, faßte behutsam ihr Händchen, als fürchtete er, ihr wehe zu thun, und küßte es zärtlich wieder und wieder.

„Ich Egoist! Ich Tyrann! Ich habe nur an mich und meine Kunst gedacht und nie danach gefragt, ob Ihr zarter Körper solch ungewohnter Anstrengung gewachsen ist! Können Sie mir denn verzeihen?“

Sie nickte und lächelte ihn an. Leise wie ein Hauch, so daß ihre Mutter am Fenster es unmöglich hören konnte, kamen die Worte über ihre Lippen: „Ich komme bald wieder!“

Nun lächelte auch er, obgleich es ihm nicht recht von Herzen gehen wollte.

„Wir hatten gehofft, lieber Herr Andree,“ nahm hier Mama Brühl das Wort – ein Augenwink Stellas hatte ihr die Erlaubniß dazu ertheilt – „daß Sie Ihr Werk auch ohne die Anwesenheit meines Kindes zu fördern in der Lage sein würden. Stella hat mir gesagt, daß Sie für die ‚Eos‘ eine große Anzahl von Skizzen verschiedenster Art angefertigt haben, die Ihnen einen sichern Anhalt bieten dürften. Und das Porträt meines Kindes“ – Frau Brühl sprach oft so von Stella, als habe sie nur dieses einzige Kind und als sei es ihr alleiniges Eigenthum, auf das ihr Gemahl keinerlei Anspruch erheben dürfe – „ist ja fast vollendet.“

„Ja, ja!“ sagte er nach einer Weile, wie aus einem Traum auffahrend, „ich kann auf dem Bilde der Eos das Viergespann malen indessen – das giebt reichlich zu thun … und hier – mir fehlt noch etwas an der Hand und am Haar … dürfte ich bitten?“

Stella kam seinem Wunsch nach. Mit der glücklichen Leichtigkeit, die, abgesehen von ihrer Schönheit, dem Künstler die Aufgabe so dankbar machte, fand sie sofort die richtige Stellung, die Haltung des Kopfes, die Lage der Hände … und wenn Andree jetzt dennoch hinzutrat, um scheinbar einiges zu ändern, so that er es nur, um ihre Hand, ihr Kleid, ihr Haar berühren zu dürfen, es war ja für lange Zeit heute zum letzten Mal, daß er sie so für sich hatte!

Frau Brühl sah auch diese „künstlerische That“ mit an und dachte sich das Ihrige dabei. Sie wagte es, im stillen Stella zu kritisieren, sie nannte sie unvorsichtig. Wer konnte es dem Mann verargen, wenn er sich Illusionen hingab?

Daß er dies wirklich that, bewies sein Benehmen, als es nach einer guten Stunde emsigen und ununterbrochenen Malens, thatsächlich zum Abschied kam. Sein Gesicht wurde weiß bis in die Lippen hinein, und diese Lippen bewegten sich, aber es kam kein Laut darüber. Er hielt des schönen Mädchens beide Hände gefaßt, wie in Seelenangst, und sein Blick ruhte mit einem Ausdruck so selbstvergessener Zärtlichkeit auf ihr, daß es der Frau Senator, die zu Zeiten nicht ohne sentimentale Empfindsamkeit war, ordentlich leid um ihn that. Endlich flüsterte er etwas, das sie leider nicht verstand, wandte sich mit ein paar Abschiedsworten, die ihr keinen Zusammenhang zu haben schienen, zu ihr, der Mutter, und führte ihre Hand leicht an seine Lippen. Darauf kehrte er noch einmal zu Stella zurück, und die beiden tauschten Blicke und leise Worte wie zuvor. Und nun war er gegangen!

Sie hörten unten, am Fuß der Treppe, die Hausthür gehen und sahen dann seine hohe und kraftvolle Gestalt durch den Garten schreiten, der, lichtüberfluthet, im vollen Mittagssonnenschein dalag. Mama Brühl hatte tausend brennende Fragen auf der Zunge, scheute sich aber, auch nur eine einzige auszusprechen, denn Stella kehrte ihr den Rücken und stand in die Betrachtung ihres Porträts vertieft. Kein Laut unterbrach die Stille, nur eine verirrte Biene stieß dann und wann summend gegen die Fensterscheiben.

„Wird er das Porträt zu sich in seine Wohnung holen lassen?“ fragte Frau Brühl endlich mit halber Stimme.

Stella nickte nur, ohne sich umzuwenden.

„Was sagte er denn noch ganz zuletzt zu Dir?“ hieß es nach einer Weile weiter.

„Es war nur für mich allein bestimmt – es braucht es sonst niemand zu wissen!“

„Aber um Gotteswillen, mein süßes Kind – nein, nein, sei nicht böse, ich will ja nur fragen! – was bedeutet das alles, und was soll daraus werden?“

Stella zuckte leicht die Achseln, ein spöttisches Lächln lag auf ihrem Gesicht.

„Du kannst ganz ruhig sein, Mama! Es dedeutet nichts besonderes, und es wird auch nichts daraus werden!“ –00

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Arbeit, Arbeit – Erlöserin! Du tötest die Sehnsucht nicht, aber Du schläferst sie auf Stunden ein! Du täuschest uns über die Zeit hinweg, und es kann uns geschehen, daß wir nach einem arbeitsvollen Tage genau ebenso sprechen, wie nach einem glückseligen, der uns das Liebste gebracht hat: Wie? Schon zu Ende? Wo blieb die Zeit?

So stand denn Waldemar Andree in seinem Atelier und malte – malte, bis Auge und Kopf ihn schmerzten, oder er stand in dem prachtvollen Marstall Mynheer van Kuythens, eines reichen Holländers, welcher ihm seine Rosse als Modelle für das Viergespann der „Eos“ zur Verfügung gestellt hatte. So oft er es wünschte, erschienen ein paar Bereiter, die auf dem ausgedehnten Terrain, das sich an die Stallungen schloß, die Pferde tummelten, sie nebeneinander, voreinander, zu zweien, zu dreien und vieren an einen Wagen spannten und in jeder Gangart, vom

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