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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

in den Formen, den Zügen, dem Blick des Antlitzes. Büsten wie die von ihm modellierten und gemeißelten der früh verstorbenen schönen Gattin Hans Hopfens, des Kaisers Wilhelm I., des Kaisers Friedrich als deutscher Kronprinz, der Gemahlin desselben, der Erbprinzessin Charlotte von Meiningen, des Fürsten Bismarck, des Grafen Moltke, der Fürstin Radziwill und manche andere noch reihen sich würdig den schönsten und kunstvollendetsten Meisterwerken an, die auf dem Gebiete der Bildnißskulptur geschaffen worden sind.

Die mächtigen Wirkungen des Beispiels, welches Begas in seinen Hauptschöpfungen gegeben hat, machen sich in der deutschen Bildhauerkunst der letzten zwanzig Jahre fühlbar. Die starke Betonung des Malerischen in der Plastik und das rückhaltlose Streben nach Naturwahrheit und Lebendigkeit der Formen, der Bewegung und der Oberflächen – beides ist durch ihn in unsere moderne Skulptur gekommen. Wenn ihr dadurch die Gefahr einer gewissen Verwilderung des plastischen Stils, der Ausartung ins Naturalistische nahe gebracht ist, so ist andererseits der Gewinn dieser Neubelebung und Auffrischung der im Konventionellen bereits halb erstarrten Kunst so groß und offenbar, daß der Nachtheil jener[WS 1] möglichen Folgen dadurch reichlich aufgewogen wird.

Seit 1876 ist Begas an die Spitze eines Meisterateliers an der Hochschule der bildenden Künste zu Berlin berufen. Er ist Mitglied des Senats der Akademie und mit der höchsten Auszeichnung, welche das künstlerische und wissenschaftliche Verdienst in Preußen belohnt, dem Orden der Friedensklasse des pour le mérite geschmückt. – Seine reiche Begabung ist durchaus nicht einseitig auf die plastische Kunst beschränkt. Er hat von seinem malerischen und architekonischen Talent und Können glänzende Proben gegeben. Er ist ein vortrefflicher Cellospieler und ein Meister in allen körperlichen Uebungen, ein leidenschaftlicher Jäger, der beste Schütze und beschämt durch seine Virtuosität und Ausdauer als Schlittschuhläufer noch heute als sechzigjähriger Mann die flottesten Meister dieses edlen Sports. Wer die fast sechs Fuß hohe schlanke, mit eigenthümlich freier, künstlerischer Eleganz gekleidete Gestalt, welche den prächtigen bärtigen Kopf trägt, jugendlichen Schwunges über die schimmernde Eisfläche dahingleiten und auf stählernen Sohlen vielverschlungene Kreise ziehen sieht, wird es kaum glauben, daß dieser „Meisterläufer“ der ruhmgekrönte Schöpfer einer so langen Reihe gewaltiger Werke, der Bahnbrecher der neuen deutschen Bildhauerkunst sei. Ludwig Pietsch.     




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Der höhere Standpunkt.

Von E. Werner.

     (1. Fortsetzung.)

Dora Herwig war ein muthiges, entschlossenes Mädchen. Wohl stand sie eine Minute lang starr vor Entsetzen bei dem Unglück, das sich so unmittelbar unter ihren Augen zutrug, dann aber hielt sie sich nicht mit nutzlosen Angst- und Schreckensrufen auf, sondern setzte ihren Bergstock ein und begann den Weg, den sie eben zurückgelegt hatte, so rasch wie möglich wieder abwärts zu steigen. Nach ihrem Begleiter sah sie sich dabei gar nicht um, denn von ihm erwartete sie keine Hilfe. Aber da hemmte ein höchst unerwarteter Anblick ihre Schritte.

An ihr vorüber sauste Professor Normann auf demselben steilen Felspfade, den er vorhin als halsbrechend bezeichnet hatte und der dem armen Friedel so verhängnißvoll geworden war. Der Weg war natürlich beim Abstieg noch weit gefährlicher als beim Emporklimmen, besonders wenn man diesen Abstieg in so tollkühner Weise unternahm wie der Professor. Er sprang, kletterte, rutschte, wie es gerade kam, als ginge es auf Tod und Leben, und verschwand gleichfalls vor den Augen des jungen Mädchens in der Tiefe.

Als Dora endlich athemlos unten anlangte und nach dem Gestürzten spähte, sah sie, daß ihre schlimmste Befürchtung sich nicht bestätigte. Friedel war nicht in die eigentliche Tiefe gestürzt, sondern lag auf dem Wege selbst. Nur wenige Schritt seitwärts und der Abgrund hätte ihn zerschmettert aufgenommen, aber auch jetzt war der Anblick bedenklich genug. Der Knabe lag totenbleich und regungslos da, während von seiner Stirn das Blut niederrieselte und der Professor sich mit hastigen, ungeschickten Hilfeleistungen um ihn bemühte.

„Ich glaube, der Junge ist todt,“ sagte er in einem eigenthümlich dumpfen Tone.

„So ziehen Sie ihn doch vor allen Dingen seitwärts,“ rief Dora heftig. „Er liegt ja dicht am Abhang und kann bei der ersten Bewegung von neuem stürzen.“

Normann gehorchte. Er hob den Knaben auf und trug ihn seitwärts, dann stand er stumm da und blickte auf ihn nieder.

Er hatte in dem Kleinen bisher nur den Diener gesehen, der regelmäßig und geräuschlos die gewohnten Dienste verrichtete und ihm bequem war, weil er ihn nicht in der Arbeit störte, und jetzt lag ein blutendes Kind vor ihm, leblos, mit geschlossenen Augen und dem scharf und deutlich ausgeprägten Leidenszug in dem blassen Gesichtchen. Das war ihm ganz neu. Er sah mit einer Art von hilfloser Bestürzung seine junge Begleiterin an, die ihm zurief:

„So, nun geben Sie Ihre Feldflasche her! Wir wollen versuchen, ihm Wein einzuflößen, oder ihm wenigstens die Schläfe damit reiben. Legen Sie ihm den Plaid unter den Kopf – so! Vielleicht ist er nur ohnmächtig vom Sturze.“

Sie kniete nieder und suchte mit ihrem Taschentuche das reichlich hervorquellende Blut zu stillen; auch der Professor zog das seinige hervor, aber er hatte wahrscheinlich noch niemals in seinem Leben jemand solchen Beistand geleistet, denn er benahm sich dabei in der ungeschicktesten Weise. Zunächst goß er die Hälfte seiner bis an den Rand mit Wein gefüllten Feldflasche über den Bewußtlosen aus, und als das nicht helfen wollte, faßte er ihn bei den Schultern und begann ihn derb zu schütteln, wobei er in halb angstvoller, halb zorniger Weise seinen Namen rief. Dora wollte unwillig auffahren, aber diese merkwürdige Behandlung hatte trotz alledem Erfolg. Friedel machte eine matte Bewegung und schlug gleich darauf die Augen auf.

Er versuchte zu lächeln, als er das Fräulein erkannte, und griff mit der Hand nach der blutenden Stirn.

„Bleib ruhig, Friedel,“ ermahnte das junge Mädchen. „Rühre Dich einstweilen nicht! Schmerzt es sehr?“ Damit warf sie ihr eigenes blutgetränktes Taschentuch bei Seite und ergriff das des Professors, mit dem sie einen nothdürftigen Verband herstellte.

„Ich weiß nicht,“ sagte Friedel matt. „Es blutet ja – ich bin wohl gestürzt?“

„Natürlich!“ rief Normann, der seine bedeutende innere Erleichterung sofort wieder mit Barschheit verdeckte. „Kopfüber bist Du die Felswand heruntergeschossen und wir haben nachklettern müssen.“

„Ich konnte wirklich nichts dafür,“ entschuldigte sich Friedel, „der Stein brach los und die Tasche –“

„Ungeschickt bist Du gewesen!“ fuhr ihn der Professor an, gab jedoch dabei der seitwärts liegenden Tasche einen nachdrücklichen Fußtritt; plötzlich aber hob er ohne weiteres den Knaben empor und stellte ihn auf die Beine.

„Kannst Du stehen? Jetzt hebe einmal den Arm! Nun, gebrochen wenigstens ist nichts und das Loch im Kopfe wird auch heilen. – Da wird er schon wieder ohnmächtig! Solch ein Jammerwesen!“

Er fing den Sinkenden noch rechtzeitig auf und legte ihn nieder. Jetzt aber schritt Dora ein und verbat sich nachdrücklich diese Behandlung.

„Ueberlassen Sie mir den Friedel,“ sagte sie in gereiztem Tone, „Ihre sogenannten Hilfeleistungen sind ja schlimmer als der Sturz vom Felsen. Haben Sie wenigstens die Güte, nach der Alm vorauszugehen und ein paar Leute herzusenden, die den armen Jungen tragen, denn daß er nicht gehen kann, sehen Sie doch hoffentlich ein.“

Normann blickte auf den Knaben nieder, der sich unter Doras Bemühungen schon nach wenigen Minuten wieder erholte, und schüttelte unwirsch den Kopf.

„Damit er noch dazu den Sonnenstich bekommt,“ brummte er. „Hier in der Nähe ist ja nirgends ein Schattenplatz zu finden,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ener
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_799.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)