Seite:Die Gartenlaube (1891) 794.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Vorwand geliefert, oft nach der Brühlschen Villa hinauszufahren, – – es war eine sehr große, lange Zeit in Anspruch nehmende Arbeit und ihm weit wichtiger und interessanter noch als das Porträt, weil er hier seine eigenen Ideen entfalten, seine künstlerische Phantasie bethätigen konnte.

„Eos“ wollte er es nennen – Eos, die Morgenröthe! Eine einzige Figur, die rosenfingrige Göttin, wie sie in ihrem Sonnenwagen, die schneeweißen, sich bäumenden Rosse mit goldenem Zügel lenkend, aus einem rosigen Gewölk aufsteigt und den Menschen das Licht bringt.

Licht! Die Idee war in ihm aufgestiegen, als er damals – wie unendlich lange Zeit schien ihm seitdem entschwunden zu sein! – das emporgewendete Marmorköpfchen mit den sehnsüchtig aufgeschlagenen Augen und den leise geöffneten Lippen gesehen hatte. Seitdem hatte es wie ein Fieber in ihm gebrannt, dies Bild zu malen – und nun wurde es Wirklichkeit!

Er hatte zahllose Skizzen von Stella Brühl in ihrem Beisein entworfen, die er alle möglicherweise für sein Gemälde verwerthen zu können meinte. Im Profil – im Halbprofil – voll den Beschauer ansehend – halb über die Schulter zurückgewendet – das Haupt erhoben – das Haupt gesenkt – das Haar frei herabfließend – das Haar nach griechischer Art geordnet – beide Hände erhoben – eine Hand herabgesunken – in weißem, in goldfarbenem, in rosarothem Gewande – mit und ohne Spange in den Locken – immer wieder hatte er sie skizziert, und – er hatte sich nicht helfen können – manche dieser Skizzen hatte er gleich dort, an Ort und Stelle, sorgsam ausgeführt, obschon er sich sagen mußte, daß dies kaum einen Sinn habe. Die Versuchung war zu übermächtig! Er vergaß zu Zeiten seinen eigentlichen Zweck, die „Eos“, der diese Entwürfe nur zur Stütze dienen sollten, angesichts dieser strahlenden jungen Schönheit, die sein Können förmlich herausforderte mit ihren immer neuen Reizen. Das prachtvolle Haar, die Augen, das unvergleichliche Kolorit je allein hätten genügt, um einen Maler in Entzücken zu versetzen … die Vereinigung alles dessen versetzte ihn in Ekstase. Jedesmal glaubte er, sie heute am schönsten gesehen zu haben, und am nächsten Tage sah er sich getäuscht und fand sich versucht, sie so zu malen, wie er sie diesmal fand. So rückte denn das Porträt, das Stella im schlichten weißen Kleide zeigte, ein paar Rosen in den lässig herabgesunkenen Händen, nur langsam vorwärts, denn heute brachte er ihr einen venetianischen Schleier und entwarf das Bildchen einer jungen Venetianerin, morgen ein holländisches Stoffmützchen, oder den goldklirrenden Münzenschmuck einer Orientalin – und sie ging lächelnd auf all dieses Spielwerk ein und ließ sich schmücken, ja es schien auch ihr nicht im mindesten darum zu thun, die Sitzungen abzukürzen.

Nur als Mignon konnte er sie nicht malen; er hatte die Idee schon lange gehabt und es mehrmals versucht, sowohl in der Villa als bei sich daheim – aber es wollte ihm nicht glücken. „Sie hat alles, was schön ist, und sie kann alles aus ihrem Gesicht machen, was sie nur will!“ sagte er sich. „Aber das unergründliche Etwas, den geheimnißvollen Reiz einer Mignon hat sie nicht in sich. An ihr ist alles volles Leben, hinreißende, verführerische Wirklichkeit – in der Mignon aber steckt ein Stück Märchen!“

Was die beiden während der langen Sitzungen zusammen sprachen? Scherz und Ernst, Triviales und Gediegenes, wie es gerade kam. Wenn Andree skizzierte und mit leichter, unglaublich rascher Hand eine Idee festhielt, dann lachte und plauderte er viel, unterbrach sich wohl auch, um plötzlich aufzuspringen und ein Band, eine Blume, ein Schmuckstück hinzuzufügen oder fortzunehmen. Malte er aber an dem Porträt oder fiel ihm ein wichtiger Zug für sein großes Gemälde ein, dann trat ein gesammelter Ernst auf sein Gesicht, sein Blick konzentrierte sich, sein Mund verstummte und preßte sich zusammen, und eine strenge Falte erschien auf seiner Stirn, die das ganze Gesicht älter, aber auch bedeutender und anziehender machte. Dann liebte es Stella Brühl, ihn aus seiner Künstlerstimmung herauszureißen, ihre Macht an ihm zu erproben, und wenn er dann, wider seinen Willen, unruhig wurde und zu ihr hinübersah und sein Blick gefesselt an ihr hängen blieb, bis er endlich den Pinsel fortlegte und erklärte, nicht weiter malen zu können – dann stahl sich ein Lächeln über Stellas schwellende Lippen, und sie sagte leichthin: „Genug gearbeitet! Plaudern wir!“

Unbeweglich saß während dieses „Geplauders“, das sich oft bedenklich in die Länge zog, eine starre, stumme Gestalt in der Nähe des breiten, nach Norden gelegenen Fensters. Die Hände um die Kniee geschlungen, den Kopf erhoben, den Blick unverwandt geradeaus vor sich hin gerichtet, saß sie da gleich einer ägyptischen Sphinx, scheinbar unbekümmert um alles, was in ihrer Nähe vor sich ging. Aber auch nur scheinbar! Thatsächlich entging ihr nichts, kein halbes oder geflüstertes Wort, keine besondere Betonung, kein Seufzer und gepreßtes Athmen. Ja, selbst die unverwandt vor sich hinschauenden Augen nahmen erstaunlich viel wahr. Frau Willmers würde sich nie erlaubt haben, ihrem vergötterten „Prinzeßchen“ Vorstellungen zu machen oder eine leise Mißbilligung anzudeuten. Ein einziges Mal hatte sie gefragt, was sich „Prinzeßchen“ eigentlich bei diesem nahen Verkehr mit dem Maler denke – und Stella hatte lächelnd erwidert: „Ich denke mich dabei zu amüsieren.“

Die Willmers hatte auch gelächelt und ganz beruhigt gethan, sie setzte ja unbegrenztes Vertrauen in ihres Abgottes Klugheit und sagte sich hundertmal: „Ein gebranntes Kind scheut das Feuer – sie wird doch nicht zum zweiten Male so unklug sein, ein Liebesverhältniß mit solch einem Künstler anzufangen!“

Aber was dachte sich denn der Engel, wenn er diesen Herrn mit solchen Augen ansah – Augen, die ein mit dreifachem Erz gepanzertes Männerherz verwundet haben würden? Und dies Herz war durchaus nicht gepanzert! Was dachte sich das Prinzeßchen, wenn es dem Maler bis an die Thür entgegenlief, wenn es ungeduldig mit dem Füßchen gegen den geschnitzten Schemel hämmerte, sobald besagter Maler einmal nicht auf die Minute pünktlich erschien? Was bedeutete es, daß ihre Stella ihm ein so entzückendes Lächeln spendete? Ihm willig das Händchen überließ und es gestattete, daß er selbst das herrliche, goldstrahlende Haar ordnete –  – so – und so – und wieder anders – während sie doch sah – sehen mußte, wie es um den Mann stand, und daß es ihn die äußerste Anstrengung kostete, Herr seiner Sinne zu bleiben?

Frau Willmers wußte auch, daß der Prinz abgereist war. „Weißt Du, den hab’ ich fortgeschickt!“ hatte Stella ihrer alten Vertrauten einmal des Abends beim Auskleiden, als sie besonders gut aufgelegt war, gestanden. „Ich sagte Dir doch, ich wollte ihn anders haben, als er war, nicht so großherrlich und von oben herab – nicht er sollte mir eine Ehre erweisen, wenn er um mich warb, sondern ich ihm, wenn ich ihn erhörte. Aber“ – hier hatte die schöne Stella leichthin gelacht und übermüthig die Achseln gezuckt, „ich hätte gar nicht nöthig gehabt, darauf hin zu manövrieren! Ich hatte ihn augenblicklich fest. Er wollte sich gleich mit mir verloben, schnurstracks, auf der Stelle, seinem Bruder zum Trotz. Aber, verstehst Du, darum ist mir’s nicht zu thun. Ich mag mich noch nicht verloben, ich will noch mein Leben genießen, diesen Sommer und auch diesen Herbst und auch noch den Winter hindurch! Und ich will auch nicht, daß er sich mit seinem Bruder, der für jetzt noch nichts von mir wissen will, erzürnt. Mein Prinz hat nichts als ein kleines mütterliches Vermögen, aber sein Bruder ist ungeheuer reich, und ich gebrauche viel Geld – viel, viel Geld! Ja – und nun hat der Prinz seinem Bruder feierlich auf Ehrenwort versprechen müssen, ein Jahr zu reisen und nie an mich zu schreiben oder von mir Nachricht zu bekommen – mir beides sehr recht! – und wenn er dann nach einem runden Jahr noch an mich denkt und keine andere will als mich, dann wird die Durchlaucht ihm seinen Segen geben und auch eine standesgemäße Apanage, was noch viel mehr werth ist – und das alles hat mir der Prinz in einem langen, langen feurigen Liebesbrief auseinandergesetzt und mir mit tausend Eiden zugeschworen, daß er immer und ewig nur mich lieben werde. Und unterdessen bin ich frei – frei – und kann thun, was ich will, denn der Fürst ist nun auch fort sammt seiner Familie, und ich brauche mich um keinen Menschen auf der weiten Welt zu kümmern!“

Aber sie kümmerte sich doch um einnen – und der eine war Waldemar Andree! –

Seltsamerweise fand das verwöhnte Mädchen großes Wohlgefallen an ihm. Sie wunderte sich selbst darüber, aber es war so: sie freute sich von einem Tag zum andern auf die Stunde, die ihn zu ihr führte, sie dachte viel über ihn nach und sie war sehr zornig, wenn einmal irgend ein unvorhergesehener Zwischenfall

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_794.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)