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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.
Der Festdichter.
Nach einem Gemälde von C. Heyden.

Graf Eduard von Reichenbach mit seinem Freunde Dr. Krönig, einem alten Universitätsgenossen, der seit Jahren auf seinem Schlosse wohnte. Mit Graf Reichenbach kam ein belebendes Element in den ganzen Kreis; es ging von ihm ein Hauch jugendlicher Frische, Thatkraft und Unternehmungslust aus; unter den Bewegungsmännern der damaligen Zeit wüßte ich nur einen zu nennen, der einen ähnlichen Eindruck machte, den Badenser Friedrich Hecker. Graf Reichenbach war ein früherer Jenenser Burschenschafter und er hatte nach dem Verlassen der Hochschule den studentischen Geist nicht abgestreift, sondern mit ins Leben hinüber genommen. Wenn es ihm recht behaglich zu Muthe war, erzählte er von seinen studentischen Abenteuern.

An jenem Abend wurden verschiedene Reden gehalten; Reichenbach sprach mit vielem Feuer und schloß seine Ansprache mit den Worten: „Sie sollen’s in Berlin merken, daß auch wir in unserer Provinz verstehen, den Stier bei den Hörnern zu packen.“

Man fühlte heraus, daß der stürmische Geist dieses schlesischen Grafen noch über das Programm hinausging, welches sich damals die Liberalen vorgezeichnet hatten.

Ich war inzwischen in eine eigene Wohnung auf dem Hofe der ehrwürdigen Bibliothek auf dem Sande übergesiedelt und hatte dem Sekretär derselben ein Zimmer abgemiethet. Meine Fenster gingen auf den Hof, der ein klösterliches Aussehen hatte. Mir gegenüber lagen die Fenster der Bibliothekbeamten – und da drüben hatte ja auch die vormärzliche Bewegung, die Brandung der Geister vor kurzem einen Beamten von seinem Posten fortgespült. Der Minne- und Liedersänger Hoffmann von Fallersleben, der Kenner und Meister altdeutscher Litteratur und Großsiegelbewahrer der Bücherschätze des vormaligen Augustinerklosters, hatte gewagt, einen in Berlin sehr mißliebigen Ton anzustimmen, indem er in seinen „Unpolitischen Liedern“ kleine Epigramme mit oft giftigem Pfeil auf Censur, Beamtenthum, Orden und alles andere, was damals von den Liberalen für vogelfrei erklärt worden war, losgeschnellt hatte. Man machte nicht viel Federlesens mit dem Universitätsprofessor – man entsetzte ihn seiner Aemter und er mußte zum Wanderstabe greifen.

Ein junger Privatdocent, der damals ebenfalls in deutscher Sprache und Litteratur wirkte, rückte, trotz der fühlbaren Lücke, die sich nach dem Abgang Hoffmanns gebildet hatte, nicht in die Reihe der Professoren vor; er war wohl auch ketzerischer Gesinnungen verdächtig! In unsern studentischen Kreisen hielt man nicht viel von dem hochaufgeschossenen Privatdocenten. Er galt für einen Stutzer, welcher bei den kaufmännischen Vergnügungen auf der Börse die Honneurs machte; und als eine Sammlung Gedichte von ihm erschien, die in der That keine lyrische Ader verriethen, da hatte er ganz seinen Ruhm dahin und die böswilligste kritische Lauge ergoß sich über den jungen Dichter, der bei uns damals dieselbe Rolle spielte, wie der Lyriker Bellmaus in Freytags „Journalisten“. Doch die Welt ist dem Irrthum unterworfen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_781.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)