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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Dudu schüttelte heftig den Wollkopf.

Gerda zögerte einen Augenblick, dann faßte sie mit entschlossener Bewegung in die Tasche ihres weißen Wollkleides, aus der sie ein feines Batisttuch zum Vorschein brachte. Mit diesem wischte sie dem Negerknaben die Thränen ab. Andree sah jetzt ihr Profil und den theilnehmenden, gerührten Blick, den sie auf das schwarze Bürschchen heftete.

„Ein gutes Kind!“ dachte der Maler, und dabei machte er absichtlich eine Bewegung, die das Buschwerk in seiner Nähe rauschen ließ. Gerda blickte sich um und wurde roth, als sie ihn sah, lächelte aber glücklich und reichte ihm die Hand; er sprang mit einem Satz die zwei Stufen empor und schüttelte die dargebotene Rechte freundschaftlich.

Dudu war entsetzt zusammengefahren bei Andrees Erscheinen und wollte mit einem wilden Satz über die niedrige Brüstung davonspringen, aber Gerda griff ihm mit rascher Hand in das Wollhaar und hielt ihn fest.

„O, Gast, – o, Gast!“ jammerte er in ganz hohen Fisteltönen.

„Nix thun, – nix bös, – Dudu ruhig sein, – guter Gast, – lieber Gast, – Missie Gerdas gut Freund!“ beschwichtigte sie. „Er hat strengen Befehl bekommen, sich heut vor keinem Gast hier sehen zu lassen, daher seine Angst!“ erklärte sie, zu Andree gewendet.

„Warum denn nicht? Wer will denn Ihren Gästen dies interessante schwarze Exemplar vorenthalten? Er muß ungeheure Furcht haben, – sehen Sie nur, wie er zittert!“

„Er ist sehr feige, das ist wahr. Armes, dummes Mohrchen! Es soll ja auch sehr gescheite Leute in seiner Rasse geben, aber er gehört nicht zu ihnen. Er ist nicht begabter als ein Pudel.“

„Kann er gar kein Deutsch?“

„Er versteht es einigermaßen, wenn man in ganz kurzen, abgerissenen Sätzen zu ihm spricht, so wie ich es thue. Er selbst verfügt aber bloß über ein paar einzelne Worte, es ist furchtbar schwer, ihn zu verstehen.“

„Er hat es nicht gut bei Ihnen im Hause?“

Gerda schüttelte den Kopf.

„Dudu wird ganz nach Laune und ganz wie ein Spielzeug behandelt, und das,“ fügte sie ernsthaft hinzu, „müßte man keinem Menschen anthun, und wenn es auch nur ein einfältiges Mohrchen ist! – Dudu jetzt laufen,“ wendete sie sich wieder zu dem Knaben, „in Wäschekammer sitzen – verstecken – niemand finden, – Missie Gerda kommen später und Dudu Zucker bringen – er nennt nämlich alles, was ihm gut schmeckt, Zucker!“

„Aber warum soll er sich denn in die Wäschekammer verstecken?“

„Ach, er hat eine Dummheit gemacht und soll nun dafür durchgeprügelt werden; es ist nicht so fürchterlich damit, aber er ist nun ’mal ein verschüchtertes Geschöpf und flattert vor Angst. Ich hab’ ihn schon ein paar Mal dorthin versteckt, da findet ihn niemand, und bis morgen ist die Geschichte vergessen. Jetzt fort mit Dir, – husch!“

Dudu setzte zum Sprung an. Plötzlich aber warf er sich vor Gerda auf die Erde und preßte den Saum ihres Kleides an seine breiten wulstigen Lippen.

„Missie Gerda – Zucker, – Missie Gerda – viel Zucker!“

„So, so! Ja, ja, ich weiß schon!“ Sie sah nicht ohne Bangen auf ihr blendend weißes Kleid, das die schwarzen Fäuste gepackt hielten. „Damit meint er jetzt nämlich nicht, ich soll ihm vielen Zucker bringen, sondern ich selbst bin für ihn Zucker, also das Beste, Schönste, was es in seinen Augen giebt!“

Sie klopfte dem Jungen wieder mit der flachen Hand leicht auf den Kopf, und mit einem flinken, katzenartigen Satz war er über die Stufen weggesprungen und im Gebüsch verschwunden. –

„Jetzt lassen Sie sich zunächst einmal anstaunen, Gerda!“ sagte Andree lächelnd, trat einen Schritt zurück und musterte seine junge Freundin mit wohlgefälligen Blicken. „Was haben Sie mit sich angefangen, um so ganz wie eine Dame auszusehen?“

Gerda lachte.

„Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben gut angezogen und gut frisiert. Sehen Sie doch meinen Gürtel! Von Silbergeflecht! Und dies hier sind echte Spitzen! Und mein Haar, – denken Sie sich, die Friseurin fand es hübsch!“

„Das wundert mich nicht! Ich fand es gleich so, und jetzt sieht man recht, welch’ feine Kopfform Sie haben!“

„Ja, und ich esse heut mit beim Diner!“ fuhr sie triumphierend fort.

„Das ist ja ausgezeichnet! Hoffentlich werden wir Nachbarn!“

„Ach nein!“ Gerda machte ein aufrichtig betrübtes Gesicht. „Ich muß neben dem dummen Kuno von Tillenbach sitzen!“

„Und Ihre Schwester?“

„Ich denke, neben Ihnen!“ Gerda sah einen freudig strahlenden Ausdruck in seinen Augen, und es zuckte um ihre Lippen.

Andree gewahrte nichts davon.

„Wer hat Sie denn so hübsch herausgeputzt, Gerda, und es durchgesetzt, daß Sie in der Gesellschaft erscheinen? Fräulein Stella?“

„Bewahre! Ach, Sie wissen noch von nichts? Sie haben Onkel Grimm nicht wiedergesehen, seitdem wir drei damals zusammen das Kaninchen jagten? Zu komisch, bei was für Beschäftigungen Sie mich immer treffen müssen! Heute wieder das Mohrchen!“

„Ja, ich habe Glück damit!“ gab er humoristisch zurück. „Aber Herrn Grimm habe ich wirklich seit damals nicht wiedergesehen – er war so freundlich, mir einen Besuch zu machen, traf mich aber leider nicht zu Hause.“

„Ja, denken Sie nur!“ Sie athmete hoch auf, und ihre Augen lachten mit den Lippen um die Wette. „Ich bin ja jetzt Onkel Grimms Kind! Er hat es Papa gesagt, daß er mich haben will, weil er einsam ist und sich eine Tochter wünscht und mich lieb hat – und Papa hat eingewilligt! Bis zum Herbst soll ich noch hier bleiben, um viel im Freien zu sein, und soll auch noch mit Wolfgang lernen, weil er doch erst zum Oktober aufs Gymnasium kommen soll, aber Onkel Grimm bestimmt schon jetzt alles für mich, er hat mir dieses hübsche Kleid geschenkt und mir die Friseurin geschickt und angeordnet, daß ich bei der Tafel erscheine. Aber das allerschönste“ – sie drückte die Hände fest zusammen, wie Kinder thun, die eine ganz unbändige Freude empfinden – „ich bekomme ein Pferd und Reitunterricht – ach Gott – ich hab’ es gar nicht glauben wollen, denn wie hatte ich mir das immer gewünscht!“

Ihre frohen Kinderaugen sahen zu Andree in die Höhe, und er nickte ihr bestätigend zu.

„Wunderschön! Und Sie freuen sich auf den neuen Pflegevater?“

„Freuen? Bloß freuen? Das ist gar kein Wort! Ich werd’ ihn anbeten, ich werd’ es ihm bis an meines Lebens Ende nicht genug danken können, daß er mich nimmt!“

„Aber Sie werden sich nach den Ihrigen sehnen, wenn Sie auch in demselben Hause wohnen! Sie werden Ihre Schwester vermissen, Ihren Bruder –“

„Wolf darf zu mir kommen, so oft er will!“ unterbrach sie ihn hastig.

„Und Ihre Schwester –“

„Stella sieht heut’ aus wie eine Fee in einem weißen crêpe de chine-Kleide! Aber mein Anzug ist auch schön – ich habe noch nie einen solchen besessen! Und diese Rosen hat der Gärtner mir geben müssen – echte La France!“

Ihn belustigte die harmlose Art, wie sie ihn auf alle Einzelheiten ihrer Toilette aufmerksam machte, aber er merkte doch, wie sie ihm auswich. Indessen näherte sich ein leichter Schritt, die Büsche zur Linken theilten sich, und Stella trat hervor.

Sie beantwortete Andrees tiefe Verbeugung mit einem leichten Kopfneigen; in ihren feuchten blauen Augen schimmerte es wie eine leise Wehmuth, ein unbeschreiblich süßer Reiz von leidvoller Sehnsucht machte das schöne Gesicht noch unendlich anziehender.

„Ich hörte hier Stimmen und kam näher!“ Sie reichte Andree die Hand und sah ihm verständnißvoll in die Augen. „Die Gäste fangen an, sich zu versammeln – aber mir war der Trubel zuviel, ich wollte Einsamkeit haben und bin eine Weile durch den Park gestreift. Wollen wir jetzt zu den übrigen gehen, Herr Andree? Sind Sie bereit?“

Er hatte wie in einem Bann zu ihr hinübergestarrt; ihre Erscheinung – wirklich feenhaft, wie ihre Schwester soeben gesagt hatte – und ihre Stimme thaten es ihm mehr denn je an. Auf sie zutretend, bot er ihr den Arm und wandte sich mit ihr zum Gehen. Nach Gerda blickte er kein einziges Mal mehr zurück – er hatte es vergessen, daß sie da stand und ihm nachsah.

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