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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ungünstigsten Friedensbedingungen abzuhalten. Mit dem Abschluß des Friedens war die Mission Bathursts beendet, und er begab sich im November auf die Rückreise nach England. Um französischen Spähern und Küstenwächtern zu entgehen, wählte er nicht den Seeweg durch das Mittelmeer über Malta, sondern den Landweg über Berlin; in Hamburg wollte er sich einschiffen.

Ein erster nicht aufgehellter Punkt in der Reihe der hier zu erzählenden Vorgänge ist nun folgender: Bathurst sprach sich vor seiner Abreise von Wien Bekannten gegenüber dahin aus, daß Napoleon ihm persönlich zürne; die politische Geheimpolizei des französischen Machthabers stelle ihm nach und trachte ihm nach dem Leben. Bathurst zeigte sich durch diese Befürchtung so völlig eingeschüchtert und so nachhaltig bedrückt, daß seine Freunde seinetwegen in großer Sorge waren. So sicher es ist, daß er diese Befürchtung aussprach und hegte, so wenig ist bekannt geworden, welchen Grund sie gehabt hat. Denn sie wird ja nicht dadurch erklärt, daß Bathurst als Gesandter eines mit Napoleon in beständigem Kriege lebenden Staates mit einem Auftrag betraut gewesen war, welcher den Franzosen neue Feinde erwecken sollte. Nicht wenige Diplomaten in Europa hatten ähnliche Pflichten wie Bathurst zu erfüllen, ohne daß sie darum dem persönlichen Hasse Napoleons verfallen wären. Nur ein besonderer Anlaß hätte eine solche Feindseligkeit verursachen können; aber von einem solchen ist niemals etwas bekannt geworden und man ist vollständig auf Vermuthungen angewiesen. Konnte der Auftrag Bathursts vernünftigerweise die Furcht vor persönlicher Gegnerschaft Napoleons und vor einer Verfolgung durch französische Polizei nicht begründen, so ist es eine andere Frage, wie sich Grund und Folge hier in einem krankhaft erregten Gemüthe darstellten, wenn es sich unter dem Einflusse eines gewandten und beredten Mannes befand, der ein Interesse daran hatte, diese Furcht zu erwecken und zu nähren. Agenten und Spione der französischen Polizei gab es in jenen Jahren unter verschiedenen Masken in allen Hauptstädten. Es ist denkbar, daß ein solcher Agent in den von Bathurst während seines vielmonatigen Aufenthalts in Oesterreich aufgesuchten Gesellschaftskreisen scheinbar harmlos verkehrte, dessen nervöse Aengstlichkeit erspähte und sie für seine Zwecke ausnützte. Der französische Agent kann dem Diplomaten eingeredet haben, daß der Auftrag, den er übernommen, für ihn persönlich gefährlich sei. So lange Bathurst für seine Sache thätig war, hat er seine Furcht bemeistert; als er nichts mehr zu erwirken hatte, erlag er. Ein solcher Zusammenhang ist möglich und wahrscheinlich; etwas Sicheres ist darüber nicht mehr zu ermitteln.

Bathurst reiste bis Berlin unter seinem eigenen Namen. Zum Begleiter hatte er einen Deutschen Namens Fischer, der die Dienste eines Sekretärs und Kuriers versah; außerdem hatte er einen deutschen Diener Namens Nikolaus Hilbert bei sich. Die drei Reisenden fuhren in einem stattlichen, dem Gesandten gehörigen Reisewagen, für den sie sich auf den Poststationen Pferde geben ließen. In Berlin verschaffte sich Bathurst zwei Pässe; der eine bezeichnete ihn selbst als „Kaufmann Koch“, während der andere den Sekretär als „Kaufmann Fischer“ aufführte. Es ist aus dem Verlauf der Dinge zu schließen, daß der Gesandte der Polizeibehörde in Berlin seinen wirklichen Namen und Amtscharakter angegeben habe, als er um diese Pässe nachsuchte.

Ueber die Reise von Berlin bis Perleberg ist bekannt geworden, daß Bathurst auf den Poststationen große Unruhe zeigte, die geladenen Pistolen, die er bei sich führte, wiederholt genau besichtigte und sich erkundigte, ob man unterwegs auf französische Truppen stoßen werde. Er soll geäußert haben, man habe ihn schon zweimal vergiften wollen, und deshalb trage er Gegengift bei sich.

Am Sonnabend den 25. November kamen die Reisenden um die Mittagszeit in Perleberg an. Als der Wagen vor der Post hielt, traten sie in das Posthaus und bestellten Pferde zu sofortiger Weiterreise nach Hamburg, zunächst nach Lenzen. Gleich darauf bestellten sie die Pferde jedoch wieder ab. Sie gingen vom Posthause aus nach dem in derselben Straße gelegenen, etwa hundert Schritt entfernten Gasthofe „Zum Weißen Schwan“, der dem Gastwirth Leger gehörte und an das Parchimer Thor stieß, durch welches der Weg nach Hamburg führte. In der Gaststube des „Weißen Schwans“ pflegten die mit der Post angekommenen Reisenden sich aufzuhalten, und Bathurst aß dort mit seinen Begleitern zu Mittag. Zwei Kaufleute aus Lenzen, die ebenfalls angekommen waren und abends weiterreisten, sahen ihn dort.

Kurz vor oder nach dem Essen ging Bathurst allein zu dem am Markte wohnenden Kommandanten von Perleberg, dem Kapitän von Klitzing, der eine damals in Perleberg stehende Schwadron des Brandenburgischen Kürassier-Regiments Nr. 3 befehligte, und bat ihn um eine Wache, da er sich nicht sicher fühle. Bei dieser Gelegenheit sah ihn eine Dame, welche noch in späteren Jahren mit großer Lebendigkeit von dieser Begegnung zu erzählen wußte. Sie führte als junges Mädchen die Wirthschaft des Hauswirths, bei welchem der Kapitän von Klitzing wohnte. Klitzing kam an jenem Nachmittage zu ihr und sprach den Wunsch aus, daß sie schnell etwas Warmes, am liebsten Thee, bereiten möge, da er einen Fremden bei sich habe, der vor Frost fast umkomme. Sie hatte kochendes Wasser bereit und trug den Thee alsbald in Klitzings Zimmer. Nach ihrem Bericht war der Fremde ein stattlicher Mann von einnehmenden Gesichtszügen; auf der Brust trug er, wohl in der Busennadel, einen Brillanten. Frost oder Angst schüttelten ihn so, daß er die Theetasse kaum fassen und halten konnte. Der Kapitän von Klitzing hatte einen geschwollenen Hals und bat deshalb die Dame, das Gespräch zu führen. Da der Fremde etwas Deutsch, sie etwas Französisch verstand, konnten sie sich verständigen. Es wurde nur wenig gesprochen; der Fremde sagte, er sei sehr angegriffen und müsse sich bald wieder entfernen. Ein Trinkgeld, das er ihr für den Thee geben wollte, nahm sie nicht an. Er sagte dann zu ihr: „Du bist ein gutes, braves Kind.“ Darauf empfahl er sich hastig und stürzte davon. Der Kapitän hatte ihm zwar erklärt, daß er seine Befürchtung, es könnten ihm französische Soldaten oder Agenten im Orte oder auf der Landstraße begegnen, nicht theile; doch stellte er vor das Posthaus oder vor das Gasthaus zwei Kürassiere. Daß der Fremde ihm, ehe die Dame bei ihm eintrat, Namen und Stand genannt hatte, ist wahrscheinlich, da der Kapitän für einen unbekannten Kaufmann Koch seine Kürassiere schwerlich aufgeboten hätte.

Wie der Gesandte die Stunden verbrachte, welche zwischen seinem Besuche bei Kapitän Klitzing und der festgesetzten Abfahrtszeit lagen, ist nicht so genau bekannt, wie man meinen sollte. Vielleicht nahm er sich im Gasthofe ein besonderes Zimmer und ruhte sich dort aus; berichtet wird uns, er habe einige Zeit geschrieben und Papiere verbrannt. Um sieben Uhr abends zogen die Kürassiere auf sein Verlangen wieder ab; vermuthlich wollte er um diese Stunde abreisen. Er änderte aber seine Bestimmung über die Abreise mehrmals und setzte sie endlich auf neun Uhr abends fest; er muß geglaubt haben oder überredet worden sein, daß er bei Nacht mit größerer Sicherheit reisen könne als bei Tage. Zwischen dem Gasthofe und dem Posthause scheint er wiederholt hin- und hergegangen zu sein. Nach englischen Berichten, die hier aus einigen Gründen den Vorzug vor den deutschen verdienen, hielt der Wagen um neun Uhr nicht vor dem Posthause, sondern vor dem „Weißen Schwan“. Der Sekretär Fischer beglich mit dem in der Hausthür stehenden Wirthe die Rechnung; ein Kellner stand daneben, während der Diener Hilbert mit dem Reisegepäck beschäftigt war. Der Hausknecht des Wirthes stand mit einer brennenden Handlaterne neben dem Postillon bei den Pferden. Beim Scheine der Handlaterne oder der Wagenlaterne sah man den Gesandten vom Gasthause her an dem Wagen in der Richtung, wohin gefahren werden sollte, vorübergehen, etwa als ob er auf den Weg, den der Wagen nehmen sollte, einen prüfenden Blick werfen oder, da es dunkel war, hinaushorchen wolle, oder aus einem andern Grunde. Von diesem Augenblick an ist Bathurst lebend nicht wieder gesehen worden, und auch seine Leiche ist mit Sicherheit nicht nachgewiesen.

Nachdem die um den Wagen versammelten Männer einige Zeit gewartet hatten, suchten sie nach dem Fremden und riefen nach ihm. Da sich dies als vergeblich erwies, meldete der Diener Hilbert noch an demselben Abend dem Kapitän von Klitzing, daß der Fremde verschwunden sei. Klitzing erstattete sofort den Bezirksvorstehern der Stadt, die erst seit der neuen Städteordnung vom Jahre 1808 in Thätigkeit waren und im Zusammenwirken mit dem Bürgermeister die städtische Polizei ausübten, Bericht und forderte sie zu Nachforschungen auf; sie kamen dieser Aufforderung sogleich nach und suchten nach dem Fremden die ganze Nacht hindurch. Der Kapitän nahm ebenfalls noch an demselben Abend den Wagen und die Effekten der Reisenden in Beschlag und führte den Sekretär Fischer und den Diener Hilbert in einen am anderen Ende der Stadt liegenden Gasthof. Er stellte ihnen zu

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