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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

sind solche, für die der Spruch: ‚Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!‘ ein leerer Schall ohne jede Bedeutung ist!“

„Das ist wahr, Onkel!“ sagte Gerda mit Nachdruck. „Wir haben ja auch unser Götzenbild im Hause, und Abgötterei wird genug damit getrieben. Aber nun müßte Gott kommen und zeigen, daß er der Herr ist, er allein, – nicht wahr?“

„Das thut er auch. Gerda, wahr und wahrhaftig, wenn auch oft spät und oft auf wunderbaren Wegen. Ich hab’ es erfahren, mein Kind, ich könnte es mit Beispielen belegen, wie mancher beneidet und glücklich gepriesen wird und doch ein bedauernswerther Mensch ist!“

„Eigentlich“, meinte Gerda mit blitzenden Augen, „müßte ’mal wieder eine Sintfluth kommen und all die Götzenbilder und Götzenanbeter verschlingen, und bloß die Gerechten müßten übrig bleiben!“

„Rechnest Du Dich unter die?“ fragte Herr Grimm lächelnd.

Das Mädchen sah den alten Freund verdutzt an, – es zuckte ihr um die Lippen wie ausbrechendes Weinen.

„Sie meinen, Onkel, weil ich schlecht von den Eltern und von Stella gesprochen habe? Aber soll ich denn lügen und zu Ihnen kommen und sagen, sie sind gut und liebevoll zu mir, wenn sie doch das Gegentheil thun? Und immer schweigen und schweigen und alles hinunterschlucken, das kann ich auch nicht! Wer mich liebevoll behandelt, der kann alles, alles aus mir machen, und ich bin Ihnen auch dankbar und habe Sie sehr lieb.“

Gerda legte ihre Arme zutraulich um den braunen Sammetrock und küßte Onkel Grimm geradeswegs auf den Mund.

„Dank schön!“ sagte er lächelnd. „Und komm bald wieder, mein Kind!“

„Ja, Onkel, aber jetzt muß ich laufen, – wahrhaftig, es ist schon ganz dunkel, und ich habe noch zur Litteraturstunde die Biographie von Martin Opitz zu lernen. Offen gesagt, ich mach’ mir nichts aus dem Boberschwan! Aber nun adieu, Onkel! Und vergessen Sie nicht, dem Kaninchen etwas zu essen zu geben und den Hafis zu bewachen, daß er keine Raubgelüste empfindet!“

Der Onkel nickte und ging zu einem Schrank, dem er ein Päckchen entnahm.

„Hier, Du kleines Süßmaul, – die Chokolade nimmst Du mit!“

„Danke schön, Onkel! Wolf bekommt auch etwas davon ab! Wenn ich Sie nicht hätte …“

Sie schob das Päckchen in ihre Kleidertasche, warf dem Onkel eine Kußhand zu und wirbelte aus dem Zimmer.




14.

Jetzt endlich hat der Frühling Ernst gemacht und die alte Hansestadt mit seinem ganzen Segen überschüttet. Nun prangt sie im hellen Festkleide.

Bis in die schmalen Straßen, die Twieten, hinein funkelt das Sonnengold, und das Wasser in den Fleeten glitzert märchenhaft. die Sonnenstrahlen aber, die hier so mühsam durch Spalten und Risse schlüpfen müssen, haben draußen freieres Spiel. Da tanzen sie lustig die Außenalster entlang, lassen die Schaufeln der Dampfschiffe Massen von glitzerndem Schaum aufwühlen und leuchtende Funken von den Rudern der Jollenführer herabtropfen, da huschen sie über die lachenden Ufer und wärmen die spröden Knospen der Fruchtbäume, bis sie sich aufthun, langsam und scheu, um den Lenz bis tief in ihr kleines Blüthenherz blicken zu lassen, – und da stehen nun die braunen, stämmigen Apfelbäume mit ihrer weißrosigen Last, die hohen Birnbäume mit ihren weitausladenden schneeigen Kronen und die Kirsch- und Pflaumenbäume in ihrem duftigen zarten Kleide, das in jedem kosenden Windeshauch süß erschauert.

„Hinaus aufs Wasser!“ „Hinaus zum Fährhaus auf der Uhlenhorst!“ Das war jetzt die Losung für Hamburger und Fremde. Die Dampfbote und Jollen zeigten sich voll beladen, – wer mochte bei dem herrlichen, warmen Maiwetter einen andern Weg wählen?

Auch Se. Durchlaucht Fürst Riantzew sammt seiner hochgeborenen Gemahlin und den Kindern, selbstverständlich ein kleines Gefolge von Dienern und Bonnen mit einbegriffen, wünschten sich das Vergnügen da draußen einmal anzusehen, und da die kleine Mascha fast hergestellt und ihr viel Bewegung im Freien verordnet worden war, so ließ der Fürst einen kleinen Dampfer miethen – denn mit „fahrendem Volk“ konnte er doch unmöglich gemeinschaftliche Sache machen! – und begab sich mit seiner Familie bald nach genossenem Diner auf die Reise. „Die kleine Durchlaucht,“ Prinz Alexander Riantzew, des Fürsten Bruder, war leider nicht mit von der Partie. Der Fürst hätte so heiter sein können, da sein Lieblingskind genesen und das Wetter so entzückend war, aber sein erlauchter Herr Bruder machte ihm Sorge. Er wich ihm aus, er ließ sich so wenig wie irgend möglich blicken, er war, wenn sie je einmal zusammentrafen, zerstreut und einsilbig und beschränkte seine Unterhaltung auf das oberflächlichste Gebiet. „Er muß wieder gespielt haben!“ sagte sich der Fürst mit einiger Verstimmung. Einmal hatte er seine sorgenvollen Gedanken nach einer anderen Richtung wandern lassen, davon aber bald Abstand genommen. Der Prinz hatte ihn ja „auf seine Ehre und sein Gewissen“ versichert, daß er die bewußte Hamburger Familie nicht wieder aufgesucht habe. Nun also! Auf die Ehre und das Gewissen eines fürstlich Riantzewschen Sprossen konnte man sich schon verlassen! Daß diese Betheurung in der Vergangenheit lag und der Vereidigte sich geschickt einen Vorbehalt für die Zukunft offen gelassen haben könnte, kam dem Fürsten nicht in den Sinn. Solche Haarspaltereien lagen ihm selbst ganz fern, daher vermuthete er sie auch nicht bei seinem Herrn Bruder.

Die Außenalster wimmelte von Fahrzeugen; sie alle suchten langsamer zu fahren oder nahe am Bord des fürstlichen Dampfers vorüberzustreichen, sobald dieser in ihre Nähe kam. Seltsam genug sah ja auch die Gesellschaft aus, die dieser Dampfer trug. Unter einem sehr auffallend grellroth- und goldgestreiften seidenen Zeltdach lag die Fürstin, auf weichen Polstern lang ausgestreckt wie auf Makarts bekanntem Gemälde die ägyptische Kleopatra, mit der sie im übrigen nicht die leiseste Aehnlichkeit hatte. Ihre zarte, ätherische Schönheit hatte viel eingebüßt, nur ihr berühmtes Blondhaar, das in langen Locken niederfiel, war ihr in seiner ganzen Herrlichkeit geblieben. Sie trug ein aus blauer und röthlicher Seide zusammengewirktes Kleid, das im Sonnenlicht blendend schillerte, einen Goldgürtel um die biegsame Taille und einen Pariser Hut mit bunten Windenblüthen. Hinter ihr stand eine Georgierin in ihrer malerischen Landestracht, ein hübsches junges Geschöpf mit brennenden Augen, und hielt einen großen rothseidenen Sonnenschirm über ihre Gebieterin, die von dem Wiederschein der Seide in eine sanfte Rosengluth getaucht wurde. Ein paar Diener steckten in ihren rumänischen Nationalkostümen, dann war noch eine flinke, kleine französische Bonne da, ein schlanker, junger Mann, der Privatsekretär des Fürsten, und eine behäbige Russin, welche die Kinder beaufsichtigen sollte. Diese letzteren waren nach englischer Manier gekleidet, was besagen will, daß sie sehr wenig bekleidet waren und außer breiten, bunten Schärpen und Mützen und sehr üppigen Haaren möglichst viel von nackten Armen, Schultern und Beinchen sehen ließen. Sie sprangen und hüpften unaufhörlich auf dem Deck des Dampfers kreuz und quer herum und thaten aus Grundsatz niemals das, was man von ihnen verlangte.

Man wollte zum Fährhaus hinauf und fuhr langsam nahe am Ufer hin, um die schönen Gärten der reichen Hamburger mit Muße in Augenschein nehmen zu können. Selbst Madame la princesse hob die Lorgnette an dem langen goldenen Stiel vor die müden Augen und erklärte dem Gemahl in ihrem schleppenden Französisch: „Recht hübsch! Für eine deutsche Stadt recht hübsch!“

Und Fürst Emmerik freute sich, daß seiner unzufriedenen Gemahlin endlich einmal etwas gefiel, und fand es gleichfalls „recht hübsch“.

Der Dampfer war jetzt bis zu einem Garten gekommen, der an Größe und Schönheit die übrigen noch übertraf. Er hatte sehr schöne, alte Bäume, von denen einige bis dicht ans Ufer traten und ihre Zweige tief ins Wasser senkten. In das junge Laub der Buchen und Linden mischten sich die weißbeschneiten Häupter der zahlreichen Obstbäume, über den Rasenflächen lag das flaumige Maigrün in smaragdner Schönheit, und an den großen Bosketts entfalteten sich schon die Blüthen des Roth- und Weißdorns.

Aber dies hübsche Stück Frühlingsgarten war’s nicht allein, was die Blicke der fürstlichen Familie so besonders fesselte.

In der Nähe des Ufers war ein lebendes Bild zu sehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_747.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)