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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

sie noch nicht auf ihrer jetzigen Höhe, sie war eben erst aus dem Pensionskleidchen geschlüpft und galt noch nicht für die erste Schönheit von ganz Hamburg. Was für Triumphe hatte sie inzwischen gefeiert, in welcher Fluth von Huldigungen und anbetenden Lobpreisungen hatte sie sich berauschen können! Und richtig – er war ein schöner Jüngling gewesen, und in seinem glühenden Vergöttern und Werben, in dem schwärmerischen Kultus, den er mit ihrer Schönheit trieb, hatte ein fortreißender Zug gelegen, dem schwer zu widerstehen war. Ja, sie mußte sich’s klar machen: auf ihre Art war sie damals auch in Werner Troost verliebt, und weil sie dies war und ein blutjunges unerfahrenes Kind dazu, so hatte sie sich in der That eingebildet, er könne nach Rom gehen und dort im Handumdrehen berühmt und reich werden und mit großen Schätzen, den unsterblichen Lorbeer um die schöne Stirn, alsbald vor ihren Vater hintreten, sich sein Kleinod im Sturm erobern und es in ein glänzendes Künstlerheim mit einem Atelier à la Makart einführen, wo die gesammte große Welt verkehrte.

Aber dann, als die Sache so lange, so endlos lange zu dauern versprach und seine Aktenstücke von Briefen fast nur Liebesbetheuerungen und hier und da prächtige Schilderungen von Rom und seinem dortigen Leben enthielten – dann, als der Ruhm und der Reichthum nicht wie ein Lorbeer- und Goldregen auf ihn herabstürzte, sondern Schritt für Schritt mit Mühe und Arbeit errungen werden wollte – dann war in der langen Trennung das rasche Feuer erkaltet, und da besann sie sich denn nicht lange mehr und schrieb ihm das alles. Er solle ihr nicht zürnen, aber sie habe sich selbst und ihr eigenes Herz nicht gekannt, und auch für ihn, den jungen aufstrebenden Künstler, sei es viel besser, wenn ihn nicht die Bande eines heimlichen Verlöbnisses fesselten, der Genius müsse sich frei emporschwingen können … und was der schönen Phrasen mehr waren, mit denen sie sich über ihr erkaltetes Gefühl hinwegzulügen suchte. Sie betonte ausdrücklich immer aufs neue, daß sie keinen andern liebe, daß aber Papa ganz besondere Pläne mit ihr verfolge und daß es für sie immer schwerer werde, dieselben zu durchkreuzen; vollends unmöglich sei es ihr, diese Pläne durch ein offenes Eingeständniß ihres geheimen Liebesbundes zu vernichten – das wäre ein Todesstoß für Papa und Mama, und diese gütigen Eltern, von denen sie täglich und stündlich mit Liebesbeweisen überschüttet werde, hätten es wahrlich nicht um sie verdient, daß sie ihnen einen so herzbrechenden Kummer bereite. Er, Werner Troost, solle gut, solle groß sein und sie nicht weiter bestürmen und anflehen, sie sei ja nur ein schwaches Mädchen, er aber ein Mann voll Energie und Willenskraft, der ihr tragen helfen müsse, was gekommen sei!

Diesen Brief, der in seiner Art ein kleines Kunstwerk war, hatte Stella Brühl vor ein paar Wochen an Werner Troosts römische Adresse gesandt, aber zu ihrer großen Verwunderung bis heute keine Zeile Antwort erhalten. War er verreist – war der Brief verloren gegangen – oder kam Werner gar in seinem leidenschaftlichen Zorn und Schmerz in Person hierher nach Hamburg, um ihr zu sagen, daß er sie nie und nimmer aufgeben könne?

Sie hatte den letzteren Gedanken schon mehrmals gehabt und stets mit demselben Erschrecken, sie hatte ihn auch jetzt wieder und fragte sich ziemlich rathlos, was sie dann wohl thun würde. Abbrechen – das jedenfalls, daran war kein Zweifel; das Gleiche mündlich wiederholen, was in ihrem Brief gestanden hatte … nur daß es bei dem jäh auflodernden Temperament des jungen Mannes fast unmöglich sein würde, eine Aussprache zustande zu bringen. Es mußte eine fürchterliche Scene abgeben, ach, und die schöne lächelnde Stella Brühl konnte solche Scenen nicht leiden!

Vielleicht hatte er sich gar ein Leid angethan, und sein Freund kam, es ihr zu sagen – es stieg ihr heiß in die Wangen und ihr Herzschlag ging rascher. Sah sie erregt aus? Sie stand auf und blickte in den Spiegel, aber über ihrem blüthenfrischen Gesicht lag nur ein leiser rosiger Hauch, und ihre herrlichen Augen erstrahlten in dunkelster Bläue. Ein liebliches Lächeln ging über ihre Züge, als sie, langsam und tief athmend, zu ihrem Sessel zurückschritt.

Es klopfte an die Thür, und Pierre meldete Herrn Andree.

Das ernste, mit dunkeln Eichenvertäfelungen ausgestattete Gemach schwamm in satten goldenen Farbentönen, welche die Sonne, die jetzt siegreich durchgebrochen war, verschwenderisch darüber ausgoß. In diesem wunderbaren Licht stand auch die Gestalt im rothen Sammetkleide mit dem Tizianhaar, und bei einer leichten Bewegung ihres Köpfchens flimmerte es um dies Haar wie eine röthliche von springenden Goldfünkchen durchsetzte Wolke.

In Andree schlug es wie eine Flamme empor. Seine ganze Schönheitsbegeisterung wachte in ihm auf, bannte ihm den Blick – er preßte die Hände fest zusammen, er hätte den Pinsel ergreifen mögen und sie malen, hätte immer wieder dies Wunder auf die Leinwand stellen mögen, um sie so hoch zu heben, wie es ihr zukam, und seiner eigenen Kunst die höchste Aufgabe zu stellen, die das Leben ihm bisher geboten. Er hatte mit wachen Augen geträumt von diesem Gesicht, aber er hatte die strahlende Königin eines Ballsaales vor sich gesehen, und jetzt stand ein befangenes Mädchen mit fragendem Blick, mit süßem Lächeln vor ihm, und er sollte ihr ein Herzeleid anthun! Dieser Gedanke verschlang zunächst alles andere! Er hatte sich unterwegs eine Einleitung zu dem Gespräch ausgedacht, jetzt wußte er kein einziges Wort mehr davon – sie war da, und er sollte ihr weh thun!

„Versprechen Sie mir,“ begann er bewegt und faßte ihre Hand und küßte sie, „versprechen Sie mir, es nicht mich entgelten zu lassen, wenn ich Ihnen einen Schmerz bereiten muß. Gott weiß es – ich leide selbst dabei, ich leide mehr, als Sie ahnen!“

Er war wie ausgetauscht; er, der sonst bedächtig, fast pedantisch seine Rede erwog, sich sorgsam prüfte und eher ein Wort zu wenig als eines zu viel gab, er ließ sich jetzt durch sein Empfinden gänzlich aus der Bahn reißen, ließ Form und Etikette außer acht; er ging gerade auf sein Ziel los und stellte doch sich selbst und sein persönliches Gefühl in den Vordergrund. Er ließ die willenlose weiche Kinderhand, die er gefaßt hatte, nicht los – er hielt sie fest in seinen beiden Händen, und seine Augen sahen mit flehendem Bitten nieder auf das junge Geschöpf, das vor ihm stand. Stella ihrerseits fand, er mache sich sehr vortheilhaft in diesem Augenblick, und das wußte sie nun gewiß: welche Nachricht immer ihr dieser Mann überbringen würde – ihn, den Boten, hatte sie in ihrer Gewalt! Sie senkte ihre langen Wimpern und sagte:

„Ich will es versuchen, die Person von der Sache zu trennen. Sie sind mir fremd –“

„O, daß ich es bin!“ fiel er in erregtem Ton ein. „Daß ich Sie nicht kenne – lange schon – nicht Ihr Vertrauen, Ihre Freundschaft erwerben konnte, Sie nicht als mein –“

Er verstummte plötzlich. Sein Eigenthum, sein Ideal hatte er sie nennen wollen … aber die rasche Aufwallung war vorüber; er sah wieder, wo er war, besann sich, daß es sich zunächst nicht um ihn selbst handeln durfte, und wurde wieder der ruhige formgewandte Mann, den der begeisterte Künstler soeben aus dem Geleise geworfen hatte.

„Ich fürchte, ich muß Ihnen seltsam erscheinen, bitte, verzeihen Sie es mir!“ Damit führte er Stella zu ihrem Sessel zurück. Sie ließ sich langsam auf ihren Sitz niedergleiten.

„Sie wissen vielleicht schon, meine Gnädigste, daß ich in vergangener Nacht auf Ihrem Fest ein kleines Rencontre mit einem Ihrer Gäste, dem Prinzen Riantzew, hatte?“

„Man hat mir davon gesagt!“

„Ist Ihnen auch die Ursache dieses – dieses Meinungsaustausches bekannt?“

„Das nicht. Man hat mir nur berichtet, Riantzew sei durch Zufall zu einer Gruppe von Herren getreten, die auf eine ihm mißfällige Art über einen Gegenstand gesprochen hätten, welcher dem Prinzen eine andere Auffassung zu beanspruchen schien, weshalb er die Herren oder einen derselben zur Rechenschaft zog. Welch ein Gegenstand es war, weiß ich nicht!“

„Die Sache verhält sich ein wenig anders, gnädiges Fräulein! Der Prinz zog keinen von den versammelten Herren zur Rechenschaft, sondern mich, der ich mich nicht unter ihnen befand. Und zwar that er dies auf eine indiskrete Bemerkung hin, die einer jener Herren zum besten gab. Man behauptete nämlich, ich hätte eine Unwahrheit ausgesprochen, als ich versicherte, zum ersten Mal in Hamburg zu sein und in diesem Hause zu verkehren.“

Ihre Augen fixierten ihn aufmerksam. „Und warum sollte das eine Unwahrheit gewesen sein?“

„Weil“ – er zauderte einen Augenblick – „weil man zufällig, gegen meinen Willen, davon Kenntniß bekommen hatte, daß ich mich im Besitz eines Kunstwerkes befinde, das jene Behauptung von mir allerdings sehr – fragwürdig erscheinen läßt. Dies

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