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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Wenn man Ihnen das glauben soll,“ wiederholte der Prinz, den dies „wer sie immer seien“ stark entrüstete, „dann muß man sich fragen, wie es zugeht, daß Sie, der Sie kein Bildhauer sind und weder Meißel noch Zahneisen jemals angerührt haben, die Marmorbüste einer jungen Dame mit sich führen und in Ihrem Gasthofzimmer aufstellen – einer jungen Dame, welche die halbe Bevölkerung dieser Stadt als eine berühmte Schönheit kennt, die Sie aber behaupten, nie zuvor in Ihrem Leben gesehen und erst am heutigen Abend persönlich kennengelernt zu haben!“

Andree drehte sich rasch herum und maß mit einem sprechenden Blick „Freund“ Hilt, der sich so klein wie irgend möglich machte und ein an der Wand hängendes, trefflich gemaltes Fruchtstück mit einer Hingebung studierte, als wäre er noch der ehemalige eifrige Spezialist für Stillleben. Deutlich genug stand in dem Blick zu lesen: „Ich habe Dich immer für ein ziemlich erbärmliches Subjekt gehalten, und das bestätigt sich jetzt glänzend!“ Hilt mochte etwas Aehnliches herausfinden, denn er warf den Kopf zurück und sagte mit herausfordernder Stimme:

„Nun? was siehst Du mich denn so an? Ist es etwa nicht wahr? Kannst Du die Thatsache leugnen, daß Du von dem schönsten Mädchen in ganz Hamburg eine Marmorbüste im Besitz hast und mit Dir führst?“

„Nein,“ erwiderte Andree ruhig, „ich leugne es nicht – und da jedenfalls Du mich denunziert hast –“

„Denunziert?“ fiel der kleine Maler heftig ein. „Das ist ein Wort –“

„Such’ Dir ein besseres, wenn Dir’s nicht gefällt, ich finde kein anderes und will auch kein anderes finden. Da es nun einmal geschehen ist, voraussichtlich noch dazu in einem größeren Kreise,“ – der Prinz nickte bestätigend – „so bin ich allerdings Rechenschaft über die Art und Weise schuldig, auf welche ich in den Besitz dieses Kunstwerks gekommen bin. Nicht aber Dir oder denjenigen, die Deine Erzählung mit anhörten, auch Ihnen nicht, Prinz Riantzew, gebührt diese Rechenschaft, sondern nur der Einen, die zu meinem tiefsten Bedauern in diese Angelegenheit ohne jede Schuld ihrerseits verflochten ist und von etwaigen unangenehmen und peinlichen Folgen derselben betroffen werden kann. Ich hätte ihr und nur ihr den Zusammenhang der Dinge ohnehin berichtet, nur jetzt noch nicht, und ich beklage es bitter, daß es nunmehr sofort sein muß. Wie die Sachen liegen, wird sie auch Andern einen Einblick in Verhältnisse gestatten müssen, die ihr alleiniges Eigenthum bleiben sollten. Wenn Sie, mein Prinz, wie ich nicht zweifle, gekommen waren, um von mir eine Aufklärung der Thatsachen zu verlangen, die Sie naturgemäß nicht aneinanderzureihen vermochten, und wenn Sie an diese Ihre Forderung eine andere zu knüpfen gewillt waren, so antworte ich Ihnen hierauf: ich bin zu beidem bereit, nachdem ich eine private Unterredung mit Fräulein Stella Brühl, die allem übrigen vorangehen muß, beendet haben werde. Sobald die junge Dame bis morgen abend, sagen wir um acht Uhr, Ihnen keinerlei Nachricht zukommen läßt, stehe ich zu Ihrer und zu jedes einzelnen Verfügung, der mich über die betreffende Angelegenheit zu befragen wünscht. Ich hoffe bestimmt, morgen zwischen drei und fünf Uhr ein ungestörtes Gespräch mit der jungen Dame erreichen zu können – im übrigen bin ich im Hotel ‚Hamburger Hof‘ zu finden!“

Damit wiederholte Andree seine stattliche Verbeugung vor dem Prinzen und zögerte noch ein paar Sekunden, wie wenn er dem andern Zeit geben wolle, noch etwas zu sagen.

Zu seinem großen Aerger fand aber der Prinz dies „etwas“ nicht. Was hätte es auch sein sollen? Der Maler hatte die geheimnißvolle Geschichte klargelegt, so gut es eben anging – das heißt, er hatte die Entscheidung in erster Linie in die Hand der kompromittierten jungen Dame gelegt, und dagegen war vorläufig nichts einzuwenden. Sodann hatte er sich bereit erklärt, jedem gegenüber mit seiner eigenen Persönlichkeit einzutreten, und dies war wiederum eine ganz korrekte Handlungsweise. Der Prinz erwiderte daher nur in etwas steifem Ton: „Schön! Es sei so, wie Sie sagen!“ und trat zurück, innerlich mehr denn je erstaunt über die vornehme Haltung dieses Mannes. Der Prinz bedachte nicht, daß ein sicheres Insichberuhen und eine vollkommene Unbefangenheit, zwei hervorstechende Eigenschaften Andrees, jeden Menschen zu einem Aristokraten des Geistes stempeln und ihn von eigenen Gnaden souverän sein lassen.

Der Künstler wandte sich dann zu Hilt und sagte gelassen: „Du hast Dich mir gegenüber sehr unkollegialisch und taktlos benommen, als Du hinter meinem Rücken Fremden eine Mittheilung machtest, die vollste Diskretion, zum mindesten eine vorhergehende Erörterung unter uns beiden erforderte. Ich habe Dich einen Denunzianten genannt, und ich kann den Ausdruck nicht zurücknehmen, ja ich muß ihn noch verschärfen, wenn Du mich nicht angesichts Seiner Durchlaucht und der übrigen Herren, die Zeugen Deiner Auseinandersetzungen gewesen sind, um Entschuldigung bitten willst!“

Hilt versuchte der Sache einen jovialen Anstrich zu geben, indem er Andree gemüthlich auf den Arm kopfte – die Schulter war ihm zu hoch! – und über das ganze Gesicht lachte. Im Gegensatz zu vielen andern Menschen stand ihm das Lachen sehr schlecht, es kam nichts von wirklichem Humor dabei zum Vorschein. Alle Züge seines Gesichts zerrten sich auseinander wie Kautschuk, tausend Fältchen traten hervor, und um den Mund bildete sich ein häßliches Grinsen.

„Aber ums Himmelswillen, alter Sohn, mach’ doch keine Geschichten! Aus mir sprachen die famosen Weine des Herrn Senators, drum ist mir die Zunge ein bißchen weggelaufen! Hand her – und alles wieder ins Reine bringen! Bei unserer alten, guten Freundschaft …“

„Ich wüßte nichts von ihr!“ unterbrach ihn Andree trocken. „Ich habe weder früher in München noch hier in Hamburg jemals danach gestrebt, und auf meiner Forderung muß ich bestehen!“

„Du bist ungemüthlich! Wo in aller Welt soll ich denn jetzt die betreffenden Herren zusammenbringen? Ich wette, sie haben sich in alle acht oder zehn Räume verstreut –“

„Und ich wette, sie sind in einem einzigen Raume hier in unserer unmittelbaren Nähe zusammengeblieben, um zu sehen, wie die Sache ausläuft!“ entgegnete Waldemar kaltblütig. „Hole sie nur her, wir warten! Seine Durchlaucht ist gewiß so gütig, mir noch eine Minute zu schenken!“

Aus Hilts Antlitz war jede Spur eines Lächelns geschwunden, als er sich mit zusammengezogenen Brauen, hinter denen seine bösen kleinen Augen beinahe verschwanden, nach seinen Zuhörern von vorhin umsah. Lange zu suchen brauchte er übrigens nicht, Andree hatte recht gehabt: sie standen im Nebenzimmer, zu einer anscheinend zufälligen und zwanglosen Gruppe vereinigt, aber offenbar auf der Lauer, um rechtzeitig den Erfolg des kleinen Dramas zu erfahren. Sehr bereitwillig folgten sie alle Hilts Aufforderung, ihn in das kleine Seitenkabinett zu begleiten, und beim Eintreten stieß Barckwitz, der unter den letzten war, den jungen Leskow mit dem Ellbogen an und raunte ihm zu. „Du, dieser Andree sieht nicht nach Spaß aus – paß’ auf, Hilt muß zu Kreuz kriechen, geschieht dem feigen Schandmaul schon recht!“

„Die Herren wollen verzeihen, daß ich Ihre Anwesenheit hier für einen Augenblick beanspruche!“ sagte Andree in verbindlichem Ton. „Herr Hilt hat Ihnen eine Erklärung abzugeben!“

Der kleine Maler sah, nach Leskows späterem Vergleich, wie ein Affe aus, der unversehens in eine Citrone gebissen hat – dazu trat er von einem Fuß auf den andern.

„Hm! Es ist – hm! – eine fatale, peinliche Geschichte – hm! – meines Erachtens brauchte man nicht dies Aufheben davon zu machen – indessen – der Geist des Weines – ein unbedachtes Wort – Herr Andree wünscht, daß ich dieses unbedachte Wort zurücknehme – daß ich um Entschuldigung bitte, eine Angelegenheit, die man – hm! – hätte zarter anfassen müssen, zur allgemeinen Kenntniß gebracht zu haben – und so bitte ich denn, angesichts des kleinen Kreises, der meine Erzählung mit angehört hat, Herrn Andree hiermit um – hm! – Entschuldigung!“

Die Herren hörten diese Rede, im Halbkreise um den Sprecher aufgestellt, in feierlichem Schweigen an und neigten dann ihre Häupter zum Zeichen des Einverständnisses. Kuno Ritter von Tillenbach war ganz überwältigt von der Erhabenheit dieses Vorgangs, er fühlte den dunklen Drang, irgend etwas zu thun, und stürzte plötzlich auf Hilt los, um dessen Hand in offenbarer Bewegung zu drücken und zu schütteln, was einen so unwiderstehlich komischen Eindruck machte, daß Barckwitz sich vor unterdrücktem Lachen schüttelte und auch um Andrees Lippen unter dem starken Schnurrbart ein verrätherisches Zucken sichtbar wurde.

Er dankte den Herren mit ein paar freundlichen Worten und begab sich zurück in den anstoßenden Saal, wo man ihn gleich darauf seine Unterhaltung mit Herrn Grimm so ruhig wieder aufnehmen sah, als sei inzwischen nicht das mindeste vorgefallen.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_715.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)