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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

einer kommt in das Verbrecheralbum, einer in die Personalakten, den dritten erhält der Vorstand der Kriminalabtheilung und der vierte gelangt an die Beamten derselben zur genauen Kenntnißnahme.

Welche Dienste das Verbrecheralbum thut, geht am besten daraus hervor, daß es täglich mehrfach benutzt wird und jährlich einige hundert Entdeckungen vermittelt.

Eine Dame hat ein Dienstmädchen angenommen und ist mit dem bescheidenen, fleißigen, am liebsten Plattdeutsch sprechenden Landkinde sehr zufrieden; nach acht Tagen jedoch ist die Küchenfee verschwunden und mit ihr allerhand Wäsche, Kleider, Gold- und Silbersachen aus dem Besitze der Herrschaft; man räth der Dame, sich an die Kriminalpolizei zu wenden, und hier legt man ihr sofort das Verbrecheralbum, Band IX, vor. „Auf der sechsten Seite wird sie wohl sein, diese Emma Schubel,“ sagt mit ruhiger Bestimmtheit der Beamte. „Sie hieß aber Auguste Pechow,“ versetzt schüchtern die Dame. „O, die hat noch mehr Namen, auch adlige, – sehen Sie her, diese ist es doch?“ und der Kriminalbeamte weist auf eine der Photographien. Aber die Dame schüttelt den Kopf: „Nein, nein, das ist sie nicht!“, denn ihr blickt eine vornehme Salonerscheinung entgegen, in enganschließendem Sammetjaquet, mit modernem Hütchen, unter dem kunstvolle Löckchen hervorgucken, mit dem zierlichsten Sonnenschirm und den elegantesten Handschuhen. „Sie wird’s wohl doch sein,“ meint der Polizist, „diese Emma Schubel liebt die Verkleidungen: heute Baronin und morgen Dienstmädchen, dann wieder Bonne oder Stütze der Hausfrau; aber wir haben ja mehrere Aufnahmen von ihr – wie steht’s denn mit dieser?“ und er zeigt auf ein hübsches Dienstmädchen mit einem Hamburger Häubchen auf dem glattgescheitelten Haar, mit weißer Schürze und baumwollenem Kleide. „Ja, das ist die Auguste!“, ruft die Dame fast erschrocken aus. – „Ja, ja, die macht gern solche Späße,“ versetzt der Beamte, „wir müssen uns beeilen, sie zu fassen, sonst finden wir von den Sachen überhaupt nichts mehr; ’s ist ’ne alte Bekannte von uns, sechsmal bestraft!“ –

Aus dem Verbrecheralbum:
Taschendieb.

Neuerdings hat die Berliner Kriminalpolizei auch die Messungen der Verbrecher eingeführt, gemäß dem[WS 1] von Dr. Bertillon in Paris begründeten „anthropometrischen System“, welches, gestützt auf die Ergebnisse der Anatomie, in der Messung gewisser Gliedmaßen besteht und auf diesem Wege das spätere Wiedererkennen erleichtern will. In Berlin geht man nicht so weit wie in Paris, man nimmt hier nur vier Messungen vor, die der Schädellänge, der Schädelbreite, der Länge des Mittelfingers der linken Hand und der Länge des linken Armes vom Ellbogen bis zur Spitze des Mittelfingers. Ob und wie sich diese Messungen in der Praxis bewähren, kann erst nach einer längeren Erfahrung entschieden werden.

In Verbindung mit dem Verbrecheralbum stehen die Registerblätter sowie die Merkmalverzeichnisse, welch letztere noch als Anhang eine Sammlung der Verbrecherspitznamen haben. Die Registerblätter, deren Nummern mit denen des Verbrecheralbums gleichlaufen, enthalten die für die Untersuchung nothwendigen Personalangaben. Angenommen, ein Dieb sei aus dem Verbrecheralbum festgestellt worden. Nummer 310 steht unter seiner Photographie; schlägt nun der Beamte Nummer 310 der Registerblätter auf, so findet er zunächst nochmals ein Bild des Diebes, neben diesem sodann die schriftlichen Ergänzungen: „Himmelmann, Friedrich (eigentlich Herschel); Schuhmacher, Handelsmann. Geboren 7. März 1853 in Warschau. W. 2931, A. G. (Aktennummern der Warschauer Polizei). 1883 wegen bandenmäßigen Taschendiebstahls zu Saarlouis – 2 Jahre Zuchthaus. 10. April 1884 Taschendiebstahl (Constanz) – 2 Monate Gefängniß. 13. Juli 1888 Bandendiebstahl (Bonn) – 2 Jahre 9 Monate Zuchthaus.“ Mit Leichtigkeit kann der Kriminalkommissar oder Untersuchungsrichter sich nun weitere Aufschlüsse über diesen Dieb verschaffen.

Taschendiebin.

Die Merkmalverzeichnisse, welche gleichfalls einen sehr starken Großfolioband füllen, sind eingetheilt nach Haaren, Augen, Nasen. Ohren, Händen, Füßen, Narben, Buckel, Tätowierungen und Stottern. Schlagen wir einmal das Kapitel der Nasen auf, so finden wir beispielsweise: „Thiele, Ernst, 2201 (dies ist wieder die Nummer der Registerblätter, folglich auch die des Verbrecheralbums), Nasenrücken nach links gebogen“; bei den Füßen etwa: „Werktag, Friedrich, 751, das linke Bein kürzer als das rechte,“ oder bei den Tätowierungen, die man häufig bei den Verbrechern antrifft: „Schmidt, Ernst, 6610, auf der Brust einen Adler, auf dem rechten Arm zwei gekreuzte Schwerter, einen Engel und eine Frau, auf dem linken Arm ein Schlächterwappen und eine Schlange.“ –

Ganz merkwürdig ist die alphabetische Zusammenstellung der Verbrecherspitznamen, theils mit den Vornamen, theils mit dem Geburtsort oder den ehemaligen Gewerben oder endlich mit dem Aeußern ihres Trägers in Verbindung stehen. Diese Aufzeichnungen lauten etwa: „Kellner-Emil. – Emil Bäcker, Kellner; 21. Mai 1862 geb. in Berlin. – Einbrecher.“ Oder: „Stralsunder Albert. – Albert Brutz, Schlächter; 18. Juni 1856 geb. in Stralsund. – Bauernfänger.“ Oder: „Karambolagen-August. – Karl Friedrich Ernst Schneider, gen. Schulze; 4. Januar 1859 geb. in Berlin. – Einbrecher.“ – Um nur noch einige Namen zu nennen, erwähnen wir, daß die Berliner Verbrecherwelt einen „Totenkopf“, „Ulanen-Otto“, „Bäcker-Ede“, „Grauen Anton“, „Matrosen-Albert“, „Kameruner-Fritze“, „Glatzköpfigen Adolf“, „Schwarzen-Richard“, „Kühnen Oswald“, „Maler-Gustav“, „Sammetkäppchen“, „Blonden August“, „Studenten-Oswald“, „Kuchen-Otto“ etc. kennt.

Alter Einbrecher und Totschläger.

Auch diese Zusammenstellung von Spitznamen hat schon manchen Vortheil gebracht. Einst war in der Mauerstraße ein verwegener Einbruchsdiebstabl verübt worden und man fahndete vergeblich auf die Thäter; da meldete sich eines Tages ein in derselben Straße wohnender Handwerker bei der Kriminalpolizei und theilte mit, sein zwölfjähriger Sohn habe mehrere Abende hindurch zwei Männer vor der Hausthür getroffen, von denen er zufällig zweimal den Namen „Rother Otto“ gehört habe. Die Kriminalpolizei ließ von nun an den „Rothen Otto“, auf den sie bis dahin keinerlei Verdacht gehabt hatte, scharf beobachten, dann Haussuchungen bei ihm halten und entlarvte ihn richtig als einen der bei jenem Einbruch betheiligten Verbrecher.

Sehr umfangreich ist ferner das Material, um jener Betrüger habhaft zu werden, die in Handschriftenfälschungen und Stempelnachahmungen „arbeiten“. Ein vielumfassender Kasten ist ganz mit derartigen Fälschungen gefüllt, und auf jedem Blatt steht der Name des Fälschers. Nehmen wir an, auf Grund eines gefälschten Briefes oder Firmastempels sei bei einem Kaufmann ein Posten Waren entnommen worden und der Geschädigte setze unter Vorlegung des gefälschten Schriftstücks die Kriminalpolizei davon in Kenntniß. Ist der Betrüger nicht ein „Neuling“, so darf man mit ziemlicher Sicherheit darauf rechnen, daß sich unter den vorhandenen Papieren schon eine Fälschung von ihm befindet und er durch den mit dieser Aufgabe

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: em
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_706.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2023)