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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Neue Trompeterlieder.

Von
J. V. v. Scheffel.
(Aus des Dichters Nachlaß.[1])


     Lied jung Werners.

Der Wächter rief die Mitternacht
Im Städtlein unten am Rheine,
Da stand ich auf des Eggbergs Höh’,
Auf moosigem Gesteine.

5
Kienfackel, die als Leuchte mir

Den finstern Pfad erhellet,
Die hab’ ich dort mit starker Faust
Hoch in die Luft geschnellet.

Der Wächter unten schlug ein Kreuz,

10
Er sah die Funken zischen:

„Behüt’ uns, heil’ger Fridolin,
Vor Geistern und Irrwischen!“

Mein Lieb im Thal, erbange nicht,
Die flammenden Gespenster,

15
Sie sind aus keckem Herz ein Gruß

Nach deinem Erkerfenster.


     Lied Margaretas.

Er sah mich an so fragend,
So treu, so stumm, so still,
Er sah mich an – ich weiß nicht,
Was er nur von mir will.

5
Ich werd’s ihm jetzt verbieten.

Die Welt ist groß und schön,
Und drin ist außer mir noch
Viel andres anzusehn.

Und doch – ’s möcht’ ihn betrüben,

10
Das ginge ja nicht an;

Ich glaub’, ich muß ihn lieben,
Den schlanken, fremden Mann.


     Aus Welschland.

Es ist ein Schnee gefallen,
Ein Schnee im welschen Land,
Hell glänzen rings die Berge
Im weißen Festgewand.

5
Den Kindern auf der Gasse

Solch’ Freude lang nicht ward.
Es fliegt dem Kapuziner
Der Schneeball in den Bart.

In Sommersgluthen lag ich

10
Beengt, bedrängt, versengt,

Verschmachtend wie die Blume,
Die lang kein Thau getränkt.

Und fruchtlos wollt’ dem Auge
Des Heimwehs Thrän’ entfliehn,

15
Sie trocknet auf der Wimper,

Eh’ sie zum Trost gediehn.

Drum heiß’ ich, scharfer Winter,
Dich tausendmal willkomm,
Vom Schnee umstöbert athmet

20
Sich’s leicht im alten Rom.


Durchweh’ mit deinem Hauche
Mir Lockenhaar und Kleid,
Und sing’ mir ’was von Tannen
Und deutscher Weihnachtsfreud’.




Polizei und Verbrecherthum der Reichshauptstadt.

Von Paul Lindenberg. Mit Abbildungen von L. Manzel.
III.
Das Verbrecheralbum und andere Register. – Vigilanten. – Eigenschaften, Abzeichen und Bewaffnung der Kriminalbeamten.

Die Hilfsmittel, welche der Kriminalpolizei bei der Jagd auf den Verbrecher zu Gebote stehen, sind ebenso mannigfach wie sinnreich und versetzen den, der zum ersten Mal einen Einblick in dieselben erhält, in das lebhafteste Erstaunen. Obenan steht das Verbrecheralbum.

Ja, die Photographie ist ein getreuer Bundesgenosse bei der Ueberführung eines Schuldigen und der Vertheidigung eines Unschuldigen geworden. Mehr und mehr wird daher die photographische Wissenschaft von der Polizei zu Hilfe gezogen. Nicht nur, daß man Verbrecher und Verdächtige photographiert und ihre Bilder in Hunderten von Exemplaren an die auswärtigen Polizeibehörden versendet, damit diese erforderlichenfalls den Betreffenden bei „Gastreisen“ die nöthige Aufmerksamkeit schenken oder die Flüchtigen ergreifen; auch andere Dinge, die für die Aufklärung eines Verbrechens von Wichtigkeit sind, werden durch die Platte festgehalten und tragen durch ihre photographische Verbreitung zur Entdeckung bei.

Vor mehreren Jahren war in Berlin eine alleinstehende Frau ermordet und beraubt worden. Man hatte keinerlei Anhaltspunkte, wer der Mörder sein könnte, außer einem Zettel, welcher in der Wohnung unter den Sachen der Ermordeten gefunden wurde und zwei Zeilen Schrift von einer männlichen Hand enthielt, natürlich ohne daß ein Name genannt war. Diesen Zettel ließ die Polizei photographieren und den Berliner Zeitungen in Abzügen zustellen mit der Bitte um Veröffentlichung. Es geschah, der Schreiber eines Rechtsanwalts sah in einer Zeitung die Handschrift, sie kam ihm bekannt vor, er blätterte die Akten durch und traf wirklich bei einer Zeugenaussage auf dieselbe Schrift. Sofort benachrichtigte er die Polizei, diese verhaftete jenen Zeugen und stellte nach kürzester Zeit in ihm den Mörder fest.

In einem anderen Fall wirkte die Photographie als Retter eines Unschuldigen: ein junges Mädchen war ermordet und ein Mann als muthmaßlicher Thäter eingezogen worden; an der Schulter des Mädchens hatte man ein Haar gefunden, welches man für ein Barthaar des Angeklagten hielt. Die durch Photographie erzielte sechzehnhundertfache Vergrößerung des Haares zeigte aber, daß dasselbe von einem Hunde stamme, und zwar von einem älteren, gelben, kurzhaarigen, und in dem Besitzer eines solchen Hundes wurde denn auch später der Mörder ermittelt.

Kriminal-Polizeiinspektor v. Meerscheidt-Hüllessem,
der Gründer des Verbrecheralbums.

Namentlich bei der Untersuchung, ob Blutspuren von Menschen oder Thieren herrühren, ist die Photographie von größter Wichtigkeit. Ein eines Mordes Verdächtiger, an dessen Kleidung sich Blutflecken befanden, behauptete, daß diese von einer Ziege herrührten, die er geschlachtet habe, und er konnte auch die Wahrheit seiner Aussage nachweisen. Die Photographie aber zeigte bei zehntausendfacher Vergrößerung, daß außer dem Ziegenblut noch Menschenblut an dem Rock klebte, und der Verhaftete wurde seiner Schuld überführt.


  1. Mit freundlicher Erlaubniß der Verlagshandlung (A. Bonz & Comp. in Stuttgart) der demnächst erscheinenden Sammlung nachgelassener Scheffelscher Gedichte „Aus Heimath und Ferne“ entnommen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_704.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2023)