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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Hm!“ Andree sah seinen Nachbar, dessen Stimme einen eigenthümlichen Tonfall angenommen hatte, von der Seite an. „Und Konsul White bewirbt sich um die Tochter dieses Hauses?“

„Ja – er bewirbt sich!“

„Und hat auch Aussicht?“

„Das weiß ich wirklich nicht!“ Herr Grimm schaute ausdruckslos vor sich hin, und seine Stimme klang noch eigenthümlicher als vorhin. Andree hatte das sichere Gefühl, daß dem alten Herrn dies Thema unangenehm sei – warum mochte es ihm aber unangenehm sein?

Ein heller, feiner Glockenton gab jetzt das Zeichen zum Beginn des Soupers. „Wir werden wahrscheinlich weltenfern voneinander zu sitzen kommen!“ versetzte Grimm hastig und reichte dem Maler die Hand. „Aber ich sage: auf Wiedersehen! Wenn nicht heute und hier, dann bald in meiner Behausung. Ich habe Ihr Wort – Sie kommen?“

„Ich komme bestimmt!“ entgegnete Andree und begab sich auf die Suche nach der jungen Hamburgerin, der er gleich bei seinem Erscheinen vorgestellt worden war und die seine Nachbarin bei Tisch werden sollte. Ein junges Dämchen wie hundert andere! Ganz niedlich anzusehen, ganz wohl gewachsen, nicht entstellt durch häßliche Uebertreibungen der Mode, ganz freundlich im Wesen, weder eigenartig noch unterhaltend, aber auch ohne weitgehende Ansprüche an ihren Kavalier – ein Persönchen, wie man es alle Tage treffen konnte.

Nicht alle Tage konnte man dagegen dem verschwenderischen Luxus begegnen, der in Genüssen aller Art entfaltet wurde und ganz dazu angethan war, den verwöhntesten Geschmack zu befriedigen. Es gab ein ausgezeichnetes Souper, dazu die auserlesensten Weine, und ein vortrefflich geschultes Orchester spielte Stücke aus unsern besten Opern.

Nicht gewöhnlich war ferner das Gegenüber, dessen der Maler sich erfreute. Mitten in dieser Atmosphäre von Pracht und Glanz hob sich die schöne Tochter des Hauses in so einzigartiger Weise ab, daß die vielen andern sehr hübschen weiblichen Gesichter neben ihr gar nicht in Betracht kamen. Sie war eben unvergleichlich! Andree sah, wenn er sich ein klein wenig vorbeugte – und er that das oft, er mußte es thun! – über einer bizarr geformten Silberschale, die mit vielfarbigen Rosen angefüllt war, das weiche helle süße Gesicht aus dem blendend weißen Nacken auftauchen, als sei es mitten aus den Blumen hervorgewachsen. Satter Goldton lag auf dem herrlichen Haar – am Nacken schimmerte es wie flüssige Bronze, um die Schläfen wob es sich mit röthlichem Schein. Bei jeder Wendung des Köpfchens trieb der Kerzenglanz ein neues Spiel mit diesen wunderbaren Farbentönen, und die von dichten schwarzen Wimpern und Brauen umschatteten Augen strahlten in reinstem Blau – groß und freudig leuchtend, wohin immer sie blickten. „Licht! Licht!“ rief es in Andrees Herzen stets von neuem – er schaute sein Bild, sein neues Werk, das sein bestes, sein schönstes werden sollte, deutlich, handgreiflich vor sich, und dort vor ihm, nur wenige Schritte von ihm entfernt, saß die Göttin, die den treibenden Gedanken in ihm entzündet hatte!

Sie hatte Konsul White zum Nachbar, auf ihrer andern Seite den Prinzen, dem eine Generalstochter als Dame gegeben worden war, die sich augenscheinlich in sein melancholisches Gesicht verliebte. Ihn rührte das wenig, er hatte nur Auge und Ohr für Stella Brühl.

War Stella kokett? Andree hatte sich vorgenommen, das festzustellen, sie scharf zu beobachten – sie hatte sich ja gebunden, sie konnte sich nicht für frei halten, er wollte ein strenger Richter sein, wenn sie die Probe nicht bestand, die er ihrer Treue gegen Werner Troost stellte. Aber es gelang ihm nicht. Der Künstler sprach in ihm und ließ den Beobachter und gar den Richter nicht zu Wort kommen. Umsonst mühte er sich ab, zu prüfen, zu erwägen; seine Augen tranken durstig diese Schönheit in sich, sein ganzes Sein war in Aufruhr, er hätte sich’s eingestehen müssen, wenn er mit sich selbst hätte ins Gericht gehen können, daß es um ihn geschehen sei.

Und die Wogen des Festes gingen höher, Tischreden und Tusch und Bravorufe erklangen; Andree feierte eine lustige Wiedererkennungsscene mit Konsul White und wurde in ein allgemeines Gespräch gezogen, da man allerlei aus Rom von ihm zu hören wünschte. Er gab dem bereitwilig Folge und hatte es nicht acht, daß der Prinz des öfteren die Stirn runzelte und in seinen Champagnerkelch starrte. Seine Durchlaucht verdroß es, daß dieser Maler, ein Mann ohne Amt und Titel, hier das große Wort führte und daß Stella ihm so gern zuzuhören schien. Ja, das that sie entschieden! Immer häufiger tauchte ihr Gesichtchen aus den Rosen heraus, sie lachte ein paarmal herzlich auf und bemerkte unbefangen, gegen den Prinzen gewendet: „Herr Andree weiß so hübsch zu erzählen, ich sehe und höre ihn heute zum ersten Mal in meinem Leben, und doch erscheint er mir wie ein guter Bekannter!“

Darauf antwortete der Prinz ein sehr ausdrucksvolles: „In der That, meine Gnädigste!“ und legte den bittend traurigen Ausdruck einer tief verwundeten Seele in seine Augen, dem sobald kein Frauenherz widerstand, wie er aus vielfacher Erfahrung wußte. Aber dies Mädchenherz mußte mit siebenfachem Erz gepanzert sein, Stella behandelte ihn um kein Gran anders als alle übrigen Herren – was war es nur mit ihr?

Andree bemerkte wohl, daß die junge Schönheit den Prinzen mit Seelenruhe schmachten ließ, und dies konnte ihm um Werner Troosts Andenken willen nur lieb sein. Allein er dachte schon kaum mehr an Werner Troost. Ohne daß er es wollte oder sich dessen klar bewußt war, hatte er sich selbst an dessen Stelle gesetzt und freute sich der Thatsachen, die ihm gefielen, um seines eigenen Ich willen.

Das Souper war beendet, man stand vom Tische auf. Mit der Ungezwungenheit, die das lange Beieinandersitzen und der Genuß guter Weine entschuldigt und begünstigt, schüttelte man einander kameradschaftlich die Hand, oder wenn es eine besonders schöne oder liebe Hand war, dann küßte man sie auch. Und Waldemar Andree ließ seine Dame, die er an ihren Platz zurückgeführt hatte, mit einer hübschen Verbeugung stehen, eilte auf Stella Brühl zu und hob diese schöne Hand zu seinen heißen Lippen empor.

Schmetternde Walzerklänge, unwiderstehlich mitfortreißend in ihrem wiegenden Rhythmus, riefen in den Tanzsaal, – und Andree, der sich mit einem tiefen Seufzer des Bedauerns gestand, daß er ja nicht tanzen könne, schlenderte langsam in den Nebensaal, dann in ein daranstoßendes Gemach und von dort bis zum Wintergarten, der jetzt gänzlich vereinsamt war. Ließ er den Blick nach rechts schweifen, so gewahrte er durch die bis zur Wand zurückgeschobenen Thüren den bunten Wirbel der tanzenden Paare, links aber eine grüne, von blühenden Blumen durchflochtene Mauer, die den Eingang zum Wintergarten verdeckte.

Andree stand im Begriff, die blühende Wand zu umgehen, als er plötzlich lauschend stehen blieb. Es war ein Laut an sein Ohr gedrungen, ein langgezogener Seufzer, dem ein leises Schluchzen folgte. Befremdet sah er sich um: wer weinte hier in diesem Haus festlicher Freude? Vorsichtig auf den Fußspitzen näher schleichend, bog er um die Ecke und erblickte nun den Wintergarten vor sich, einen reizenden, ziemlich großen Raum – zierlich sich schlängelnde, mit feinem Sand bestreute Wege, hohe Boskette blühender Pflanzen, zu gefälligen Gruppen zusammengestellt, ernste Lorbeerbäume, Palmen und Agaven, dazwischen kleine silberfunkelnde Springbrunnen, aus zierlichen Becken emporsteigend, während farbige Lampen, in Gestalt von Tulpen, Lilien und Rosen aus dem Grün hervorschimmernd, ein sanftes buntes Licht ausstrahlten. Hier und da war aus einem Baumstamme, aus weißen Birkenästen ein hübsches Sitzplätzchen hergestellt, und in den Bosketten steckten zahlreiche lose Blumen und feine Früchte, welche die aufmerksamen Kavaliere hier für ihre Damen pflücken konnten.

Inmitten dieses malerischen Bildes, neben einem der Springbrunnen, stand ein dunkel gekleidetes Madchen, dem ein mächtiger brauner Zopf lang über den Rücken herabhing; es hatte das Gesicht in beide Hände gedrückt und weinte. –

Waldemar Andree wußte sofort, wer es war, und sein ohnehin erregtes Herz empfand halb Mitleid ha1b lächelnden Spott beim Anblick dieses kindischen Schmerzes, dessen Ursache er ohne Mühe errieth. Ohne sich weiter zu besinnen, that er ein paar auf dem weichen Sandboden unhörbare Schritte, legte seine Hand leicht auf das dicke Haar und sagte mit seiner tiefen treuherzigen Stimme:

„Wer wird denn so bitterlich weinen, Fräulein Gerda? Nur hübsch Geduld, unsere Zeit wird auch kommen und zwar bald!“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_692.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)