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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Sprossen verachten oder bemitleiden, denn etwas aus ihm zu machen, das hat er längst aufgegeben. Sein einziges Dichten und Trachten geht nun dahin, dem Ritter Kuno von der traurigen Gestalt eine schöne und kluge Frau zu verschaffen, und zu diesem Posten ist dem klugen Rechner die schöne Stella Brühl gerade gut genug!"

Andree, der mit manchem Kopfschütteln zugehört hatte, fuhr empört zurück.

„Was?“ rief er laut – dann, da der Andere ihm die Hand auf den Arm legte, mäßigte er seine Stimme. „Ich denke, Du erlaubst Dir einen schlechten Witz mit mir!“

„Gar nicht!“ erwiderte Hilt kaltblütig. „Ich bitte Dich: zehn Millionen bedeuten eine schöne Ziffer, und wenn der geschäftskundige Ritter p. p. einmal seine Augen schließt, werden’s fünfzehn bis zwanzig sein.“

„Und wenn es hundert wären,“ sagte Andree hart, „so dürfte von solch einer Nichtswürdigkeit noch immer keine Rede sein!“

„Hm! Du sprichst die große Zahl gelassen aus, aber ihre Tragweite überlegst Du Dir entschieden nicht. Sie wäre doch die erste Titania nicht, die ihrem Zettel die langen Eselsohren zupfte. Und ob unser freundlicher Wirth, der brave Herr Senator, auf so festen vergoldeten Füßen steht, wie’s den Anschein hat, das kann auch niemand sagen – gemunkelt wird allerlei, ganz gelogen wird’s nicht sein, denn was treibt der Mann für einen Aufwand! Wieviel, meinst Du wohl, kostet solch ein Brokatkleid und solch ein Halbmond von Brillanten, wie sie heute die Prinzessin trägt? Glaub’ Du es mir dreist, so etwas könnte eine wirkliche Kronprinzessin unbeschadet bei einem Hoffest tragen – nur hätte sie dann noch lange nicht das Aussehen unserer Brühlschen Haustochter. – Wie ist mir denn: hat Dich der Senator schon seinem früheren Socius und Intimus Grimm vorgestellt?“

„Nein – er hat mich nur seiner Frau und Tochter zugeführt!“

„Tochter! Mit welchem Gesicht er das sagt! So unschuldig, so gut und tugendreich! O, diese stillen Wasser! Nun, dann verlaß Dich darauf, Grimm kommt bald an die Reihe, der Senator macht ihm ja förmlich den Hof und versäumt es nie, ihm jeden neuen Gast zu präsentieren, als wäre sein einstiger Kompagnon das seltenste Schaustück des Hauses. Wart’ – kommt er da nicht? Ich wette, daß er Dich sucht!“

In der That spähte der Hausherr, der sich soeben von einer Gruppe von Offizieren losgemacht hatte, das Sperberhaupt hoch erhoben, aufmerksam durch den Saal, und als sein Auge endlich die Fensternische traf, kam er mit lebhaften Schritten darauf zu.

„Hierher haben sich die Herren zurückgezogen! Rechter Beobachterposten – wie? Lieber Hilt, Sie entschuldigen, wenn ich Ihnen Ihren Freund entführe – ich muß Sie, mein bester Herr Andree, durchaus meinem Hausfreund Grimm vorstellen, habe es bereits unverantwortlich lange hinausgeschoben, wurde von zu vielen Gästen in Anspruch genommen. Mein Freund Grimm hat schon nach Ihnen gefragt – er weiß von Ihnen – interessiert sich enorm für die Kunst – ist selbst bedeutender Kenner – passionierter Sammler – ich lege großen Werth auf sein Urtheil – sehr großen –“

Die letzte Bemerkung, die so klang, als wenn Herr Senator Brühl gleichfalls Maler wäre, stand etwas außer dem Zusammenhang. Der eifrig redende Herr hatte den Arm in den seines hochgewachsenen Begleiters geschoben und dirigierte ihn rasch vorwärts. Andree ließ ihn reden und ließ sich auch willenlos führen. Seine Augen flogen über die besternten Herren, die bunten Uniformen, die schön frisierten Damenköpfe weg und suchten Stella. Dort stand sie, den Prinzen neben sich, ein paar andere dienstthuende Kavaliere um sich herum, unter ihnen Ritter Kuno. Ein widerliches Gefühl überkam den Maler. Nein – es war doch nicht möglich! Dieser Vater, an dessen Arm er jetzt ging – am liebsten hätte Andree seine Hand fortgezogen – er konnte doch nicht gemein und niedrig genug denken, um sein schönes liebreizendes Kind an diesen Halbidioten zu verkaufen!

Herrn Grimm vorgestellt zu werden, war dem Maler ganz gleichgültig – was ging ihn dieser fremde Mann an?

Aber als er nun seiner ansichtig wurde und mit raschem Blick die anziehende Erscheinung mit dem weißen Haar und dem fast jugendlichen Gesicht musterte, da hielt seine Gleichgültigkeit nicht stand, und er nahm die hübsche schmale Hand, die Herr Grimm ihm wie einem guten Freunde entgegenstreckte, und schüttelte sie ganz gemüthlich.

„Also das sind Sie!“ sagte der weißlockige Herr lächelnd, ohne auf des Senators vorstellende Worte zu warten. „Sehr erfreut, Sie kennenzulernen – diesmal ist das wörtlich zu nehmen, nicht etwa als höfliche Redensart. Sie müssen nämlich wissen, wir sind eigentlich alte Bekannte, Herr Andree; seit zwei Jahren hängt da oben in meiner kleinen Sammlung ein ‚fischender Knabe‘ der Ihnen merkwürdig vertraut sein dürfte. Wollen Sie mir einmal die Ehre Ihres Besuches anthun und sehen, wie der ‚kleine Fischer‘ bei mir aufgehoben ist und in welcher Gesellschaft er sich befindet?“

„Wie, Bernhard, Du bist im Besitz eines Gemäldes von Herrn Andree?“ rief der Senator rasch dazwischen, ehe noch der Künstler Zeit fand, zu antworten. „Davon hast Du mir ja kein Wort gesagt, alter Freund!“

„Warum hätte ich das denn sollen?“ lautete die kühl verwunderte Gegenfrage, und die gemessene Art Grimms stach seltsam ab von der eifrigen Vertraulichkeit, die der Senator zur Schau trug. „Wir besuchen einander ja doch nur bei feierlichen Gelegenheiten!“

Brühl biß sich etwas verlegen auf die Lippe und schwieg.

„Also Sie waren es, der meinen ‚kleinen Fischer‘ gekauft hat!“ rief Andree während dessen lebhaft aus. „Ein Kommissionär hat mir’s damals vermittelt, und ich wußte nichts weiter, als daß das Bild nach Hambnrg gekommen sei. Wenn Ihre freundliche Einladung ebenso ehrlich gemeint ist wie Ihr Vergnügen, mich kennenzulernen, verehrter Herr, dann stelle ich mich gern und bald einmal bei Ihnen ein, denn ich möchte meinen pescatore wohl wiedersehen und ein wenig Umschau bei Ihnen halten, was Sie sonst noch haben!“

„Kommen Sie nur!“ rief Grimm vergnügt. „Und kommen Sie um fünf Uhr – da werden Sie doch zu Mittag gegessen haben, wie? Ich speise um zwei Uhr und halte dann gewöhnlich ein behagliches Schläfchen. Sie finden bei mir Blumen, Katzen und Bilder – eine gute Tasse Hamburger Mokka nicht zu vergessen, den meine alte Müller nach meiner Angabe brauen gelernt hat.“

„Vor allem finde ich doch Sie selbst!“ gab Andree zurück, dem Herr Grimm immer besser gefiel.

„Auf diese Einladung können Sie sich etwas einbilden, Herr Andree!“ warf Senator Brühl mit bittersüßem Lächeln dazwischen. „Es giebt wenig Leute, die zu dieser Ehre gelangen, und ich kenne manchen guten Mann in Hamburg, der sie für sich umsonst erstrebt!“

„Dann gefällt mir eben ‚der gute Mann in Hamburg‘ nicht, oder ich habe sonst meine Gründe, ihn nicht einzuladen. Im übrigen ist ja nicht viel bei mir zu holen für Leute, die nicht ihren ganz besondern Geschmack an Bildern, Katzen und Sonderlingen haben!“ Grimm sah bei diesen Worten den Senator mit einem ausdrucksvollen Blick seiner dunklen Augen an, der deutlich sagte: „Warum gehst Du denn nicht? Wir beide können Deine Gesellschaft ganz gut entbehren!“

Der Senator wäre entschieden nicht von selbst gegangen, wenn man ihn nicht geholt hätte. Aber ein Bedienter erschien im Auftrage seiner Gebieterin – Konsul White sei gekommen; so mußte sich der folgsame Gatte verabschieden.

„Konsul White? Ein bekannter Name!“ meinte Waldemar Andree nachdenklich. „Könnte es wohl derselbe sein, den ich mehrfach in Rom beim deutschen Botschafter getroffen habe? Damals hatte er Anwartschaft auf einen Konsulatsposten und besaß eine hübsche brünette Frau, die ich malte!“

„Die ist inzwischen gestorben, und er sieht sich nach der zweiten um!“ bemerkte Grimm trocken. „Diesmal soll sie nicht brünett sein! Immer vorausgesetzt, daß es derselbe Konsul White ist, den Sie meinen. Dieser hier ist lang und hager gerathen, trägt englische Bartkoleletten und einen Zwicker mit blaßblauen Gläsern, sieht aber vornehm aus.“

„Dann ist’s derselbe! Die Beschreibung paßt genau! Also Frau White ist gestorben? Das thut mir leid – ein so lebensfrisches junges Wesen! Was mag aus seinem kleinen Töchterchen geworden sein?“

„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Hier im Hause interessiert sich niemand für kleine Töchterchen, es wird ihn daher auch keiner danach fragen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_691.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)