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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

rasch verlorenen Freund ohne ein Lebewohl ziehen zu lassen, dem Einsamen nicht noch einmal zu sagen, daß eine Stätte bleibe, wo er nie würde vergessen werden. Als schon die Trommeln Lärm schlugen, übergab ihm Heinrich das schlichte Geschenk. Er hatte das Lied, dessen wehmüthige Melodie seine und Lidas Liebe begleitete, darauf geschrieben, und jenen kleinen Vers hinzugedichtet.

Ehrhardt sah ihn dann ausmarschieren. Still und gefaßt führte der Lieutenant seinen Zug hinweg.

Auf dem Balkon von Monbijou beugte sich das schöne Weib heraus; schwarzer Trauerflor mit bleichen Perlen war zu hohen Puffen auf das Haupt gethürmt, die Watteaufalte des dunkelvioletten Kleides flog wie ein Trauermantel hinter ihr her. Sie lehnte sich weit über das vergoldete Gitter, sie warf ein Papier herab, das, an einem kleinen vergoldeten Pfeil befestigt, gerade auf die Hand des jungen Offiziers fiel, die den gezogenen Degen hielt. Ohne aufzusehen, schüttelte der es ab, als sei es ein widriger unreiner Gegenstand.

Der Offizier mit den wüsten Augen, der mitging, um in der neuen Welt Fortune zu machen, hob das Zettelchen auf.

„Noch ist es Zeit,“ las er und sah höhnisch nach dem Balkon zurück, wo eben die Gräfin halb ohnmächtig in die Arme ihrer Kammerzofe glitt. Sein rauhes Lachen verklang in dem Rasseln der großen Trommeln.

Heinrich aber ging mit dem leichten eleganten Schritt, welcher den Offizieren der Leibgarde eigen war, davon, auf Nimmerwiederkehr. – –

Es ist keine Nachricht von ihm zurückgekommen. Doch wenn von Spiritismus und Geisteroffenbarungen die Rede ist, dann wird eine alte Familiengeschichte erwähnt, wonach einst ein nach Amerika verkaufter Offizier seiner Braut Anzeige gethan habe, als er starb. Im Mondschein saß sie am Fenster und gedachte seiner. Da flog es plötzlich wie eine Geisterhand über die Saiten des Spinetts, in langer Skala die Töne streifend, gleich einem Hauch verwehend. Von jener Stunde an war sie überzeugt, daß er von dieser Erde geschieden sei, und auch ihre minder gläubigen Angehörigen kamen zu demselben Schluß, als nach Monaten die Zeitungen über eine große Schlacht berichteten, welche in jenen Tagen die verkauften Soldaten für die Engländer geschlagen hatten.

Auch für Lida war das Leben kurz bemessen; sie hatte das traurig schöne Schicksal derer, die früh sterben, sie lebte in der Erinnerung ihrer Angehörigen als jugendliche Gestalt fort, der einzige wehmüthige Schatten in dem glücklich aufblühenden Familienkreis Lottens, die es wirklich infolge der Erdtoffeln ihres Eheherrn bis zur Frau Domänenräthin brachte. –

Eine letzte Spur von Lidas Dasein zeigt die alte Ausgabe des „Messias“, die ihren Namen als den der Eigenthümerin trägt. Mit nun vergilbter Tinte sind die Verse der sterbenden Maria, der Schwester der geschäftigen Martha, angezeichnet:

„Traum, der mit Weinen begann und endet mit dem Weinen des Todes,
Traum des Lebens, du bist ausgeträumt.“


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Der Mond ist am Himmel höher gestiegen, sein Strahl aus dem Zimmer verschwunden. Der Fächer mit seinem verblichenen Verslein ist zurückgesunken in die Dunkelheit wie das arme junge Paar, von dessen Liebe er nach einem Jahrhundert noch Zeugniß ablegt. Aber auch jener Herrscherstamm ist von der deutschen Erde verschwunden, der einst seine Wasserkünste mit dem Schweiß der Unterthanen, mit ihren Thränen bezahlte. An der Grenze, welche die an England verhandelten Deutschen passierten, hält jetzt der Reichsadler Wacht, daß nicht die Knochen eines einzigen Musketiers fremdem Vortheil geopfert werden.


Blätter und Blüthen.

Die fünfundsiebzigjährige Jubelfeier des ältesten deutschen Turnvereins. (Mit Abbildungen auf S. 669 und 687.) Die freie Hansestadt Hamburg beging den diesjährigen Sedantag außer durch ein allgemeines vaterländisches Erinnerungsfest noch in besonderer Art, unter lebhafter Betheiligung der Bevölkerung wurde das fünfundsiebzigjährige Jubiläum der „Hamburger Turnerschaft von 1816“ gefeiert. Auch an einem bleibenden sichtbaren Zeichen dieser Theilnahme fehlte es nicht: unsere Abbilduug auf der folgenden Seite stellt das Gruppenstandbild dar, das Angehörige und Freunde der Turnerschaft spendeten und das jetzt die Außenseite der großen Turnhalle auf der Kaiserwiese in der ehemaligen Vorstadt St. Georg schmückt.

Das durch den Meißel des hamburgischen Bildhauers Engelbert Peiffer aus rothem Sandstein geschaffene Standbild wurde schon am Sonntag den 30. August in festlicher Weise enthüllt. Es verkörpert die kräftige Gestalt des Altmeisters Jahn; ihm zur Rechten und Linken erheben sich zwei jugendliche Turner, der eine, von Hanteln, Sandsack des Springtaues und anderem Turngeräth umgeben, schwingt den Ger empor, der andere ist dargestellt als zur Wanderschaft gerüstet, sei es zur fröhlichen Turnfahrt, sei es, nur hinauszuziehen in die Welt und die vom Vater Jahn neu verkündete Lehre weiter zu tragen in andere deutsche Gaue.

Ein glücklicher Gedanke ist hier vom Künstler zum Ausdruck gebracht worden. Denn in dem Denkmal spiegelt sich gerade die Geschichte der hamburgischen Turnerschaft von 1816. Einmal haben die Hamburger Turner das Vermächtniß des Alten im Bart allezeit hochgehalten; sie haben sich stets vaterländische Gesinnung bewahrt, und welche Musterriegen sie zu stellen vermögen, das hat manches deutsche Turnfest bewiesen. Und dann war der Gründer dieser Turnerschaft eben ein Jüngling, der auf der Hasenheide bei Berlin vom Vater Jahn selbst die Unterweisung in der edlen Turnkunst erhielt und darauf, kaum 18 Jahre alt, in die Ferne wanderte, um den mitgebrachten Keim weiter zu verpflanzen, wohl kaum ahnend, daß das zarte Pflänzchen dereinst zu so stattlichem Baume emporwachsen werde.

Wilhelm Benecke hieß dieser junge Mann, der am Tage der Schlacht bei Waterloo, am 18. Juni 1815, in Hamburg ankam und in das kaufmännische Geschäft eines Senators eintrat. Er ließ sich auf eigene Kosten das nothwendigste Turngeräth anfertigen, um bald darauf im Garten einer befreundeten Familie mit seinem Landsmann Karl Krutisch, der ebenfalls Jahns Schüler gewesen war und in den Befreiungskämpfen mitgefochten hatte, sowie mit etwa 30 sonstigen Genossen in frischem Turnen Muskeln und Sehnen zu stärken.

Durch Anschluß an die Turnanstalt eines Fechtlehrers Nicolai gelangte die lose Vereinigung zu einem Turnboden, und als Nicolai bald einem anderen Erwerbe nachging, ward das Turnen in Hamburg zu einer rein gemeinnützigen Sache, der jede Absicht auf Geldgewinn fern lag. Sehr zu statten kam es der jungen Genossenschaft, daß am 21. September 1816 Blücher, der gefeierte Marschall „Vorwärts“, bei einem Besuche Hamburgs auch auf dem Turnplatze erschien. Der Alte zollte dem munteren Treiben seine Anerkennung und fügte das Mahnwort hinzu: „Glauben Sie mir, es giebt Augenblicke, wo der Mensch sich auf niemand als auf sich selbst verlassen kann, und wehe dann dem, der nicht zur rechten Zeit seinen Körper brauchen gelernt hat!“ –

In welch erfreulicher Weise schon nach Jahresfrist der schnell emporblühende Verein in der ihm von den Behörden bereitwillig eingeräumten ehemaligen St. Johanniskirche seine Uebungen fortsetzen konnte, das schildert lebenswahr ein Abschnitt des zur Jubelfeier erschienenen trefflichen Werkes: „Die Hamburger Turnerschaft von 1816, von ihrer Begründung bis zur Gegenwart“, im Auftrage des Turnrathes verfaßt von Karl Schneider (Kommissionsverlag von Otto Meißner in Hamburg). Das Buch bietet ein anschauliches Bild der Schicksale des Vereins, dem in wechselnder Fluth und Ebbe mancherlei Freud’ und Leid beschert ward, je nach den Zeitverhältnissen. Wohl gereicht es dem Hamburger Gemeinwesen zu hoher Ehre, daß es selbst in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts, wo alle preußischen Turnplätze als Nester staatsfeindlicher Bestrebungen geschlossen wurden, seinen Turnvereinen eine Freistatt bewahrte, aber damals wie in späteren bewegten Tagen hielten viele sorgende Eltern ihre Söhne vom Besuche des Turnplatzes zurück, so gab es 1831 ein Vierteljahr, in dem nur sieben Mitglieder der Turnerschaft Beiträge zahlten.

Trotz aller einzelnen Rückschläge stieg indessen im Lauf der Jahre die Zahl der Mitglieder beständig, selbst als nach dem Vorbilde dieser ältesten Turnerschaft sich noch manche andere Vereine mit dem gleichen Zweck bildeten. 1891 zählte die Turnerschaft von 1816 1243 erwachsene Mitglieder, 835 Knaben, 301 Damen, 544 Mädchen, zusammen 2923 Theilnehmende, eine stattliche Schar!

Die Betheiligung der Damen und Mädchen am Turnen, die seit 1889 eingeführt ist, gab auch dem Jubiläum am 2. September ein besonderes Gepräge. Die Damen- und Mädchenabtheilungen traten beim öffentlichen Hauptturnen unter freiem Himmel mit in die Reihe und führten Freiübungen und Reigen mit Gesangbegleitung vor. Der Erfolg war ein überraschend günstiger, er wird dazu beitragen, die noch vielfach vorhandenen Vorurtheile gegen das ungemein nützliche Turnen des weiblichen Geschlechtes zu besiegen.

Hamburgs Turnerschaft von 1816 blickt auf eine lange ehrenvolle Vergangenheit zurück, und viele Ehrenbezeigungen wurden ihr am Jubelfeste von nah und fern erwiesen. Ihr Stolz und ihre Freude wird sein, es auch ferner zu Ehren zu bringen, das Werk des Vaters der deutschen Turnerei, des Altmeisters Jahn! G. K.     

Zur Frauenfrage. „Und ihre Zahl ist Legion,“ wird man bald sagen können beim Anblick der steigenden Fluth von Schriften für und gegen das Frauenstudium. Auf der einen Seite die Vertreter der „guten alten Zeit“, welche alle Schuld in der modernen Erziehung suchen und alles Heil von der Rückkehr zu stiller bescheidener Weiblichkeit erwarten, auf der andern die Vorkämpfer und Vorkämpferinnen der Emanzipation

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_686.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2023)