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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Der junge Mann dauert mich vom Grund der Seele,“ sagte er, „und es ist ein großer Schmerz für unsere Lida. Aber es ist – ich möchte sagen ein poetischer Schmerz, wohingegen das Nagen am Hungertuch als ein ganz erbärmliches Schicksal erscheint. Und das wäre doch das Los des armen Kindes gewesen. Theile Lida mit, wie Gott der Herr über ihren Herzenswunsch entschieden hat, und dann – hier liegt Dein Gesangbuch, mein Schatz!“ Er zog die Uhr aus der Tasche. „Es ist Zeit, ins Amt zu gehen; es stehet noch ein Versöhnungstermin. Wo ist meine Allongeperücke und mein Mantel?“




„Verkauft!“ Mit diesem Ausruf stürzte Altendorn am Nachmittag in Ehrhardts Stube. „Verkauft! Siebentausend Mann verhandelt an England, um in Amerika die aufständischen Kolonien niederwerfen zu helfen! Hohn des Schicksals! Gegen die sollen wir kämpfen, welche jedem Menschen das Recht auf sein armes Leben zusprechen.“

Ehrhardt drückte ihm die Hand, zu antworten vermochte er nicht.

Mit versagender Stimme erzählte Altendorn: „Zugleich mit mir traf bei dem Regiment in der Festung der Befehl ein, sich marschbereit zu machen. In der Residenz werden die verhandelten Truppen zusammengezogen. Nicht ganz tausend Thaler für den Mann ist der Preis.“ Er drückte die Faust vor die Stirn. „Giebt es denn kein Mittel, aus diesem Elend loszukommen?“

Man sah ihm an, wie er seinen Kopf zermarterte, um einen Ausweg für sein Herz zu finden. Er konnte doch nicht desertieren, der Fahne, dem Herrn, denen er Treue geschworen, den Eid brechen! Und dann wäre ihm auch kein anderes Schicksal gefallen als das, welches jetzt über ihn verhängt war: er hätte in fremdem Land seinen Degen verdingen müssen.

Dem Inspektor schnürte der Jammer die Brust zusammen. „So nimm Deinen Abschied, armer Freund,“ brach er aus. „Ich gebe Dir Unterkunft, bis Du ein Plätzchen gefunden hast, auf dem Du Fuß fassen kannst. Ich vermag das mit Hilfe der amerikanischen Frucht. Suche Dein tägliches Brot da, wo es aus der guten Mutter Erde heraus wächst!“

Heinrich wehrte verstört mit der Hand ab. „Halte mir nicht das Paradies Deiner Tagelöhner vor Augen. Ich kann meinen Abschied nicht nehmen, der Preis dafür ist zu hoch. Er ist mir bereits gestellt worden durch ein Billet, welches der Kurier zugleich mit dem Befehl zum Ausmarsch mir überbrachte. Ich soll zurückversetzt, verabschiedet werden, ganz nach meinem Belieben, wenn ich“ – Ekel verzerrte sein Gesicht – „wenn ich die Wildern heirathe. Du siehst, mir ist nicht zu helfen. Und es ist gut, daß ich in den Tod geschickt werde; denn Lida ist für mich verloren. Ich thörichter Knabe! Bin ich denn von Sinnen gewesen, als ich das Schicksal eines edlen Mädchens an das meine fesseln, Lida aus frohen glücklichen Verhältnissen in mein armseliges Dasein hineinziehen wollte?“ Er schlug sich vor die Stirn.

„Lieber Gott!“ rief Ehrhardt, „mache Dir doch aus der menschlichsten Empfindung keinen Vorwurf! Wenn man sich verliebt, will man heirathen.“

„Hat ein solcher Sklave wie ich ein Recht auf menschliches Empfinden?“ fragte Heinrich mit einem Ausdruck von Hohn, den Ehrhardt diesem sanften Gesicht nie zugetraut hätte. „Auf keinen der jungen Burschen hat der hohe Handelsherr ein so gutes Recht als auf mich. Er hat mich gefüttert von Kindheit auf und verschachert mich nun wie Du Dein –“

„Ich bitte Dich,“ wehrte Ehrhardt entsetzt ab.

„O!“ lachte Altendorn höhnisch, „der Kriegsheld unseres Jahrhunderts, der große König Friedrich von Preußen, hat es offen ausgesprochen, als man wegen unseres Durchzuges durch sein Land verhandelte. Voll Verachtung hat er gesagt, es sei billig, daß er von den durch sein Land ziehenden Soldaten des Fürsten den Viehzoll erhebe, da sie ja wie Vieh verkauft würden.“ Er stampfte mit dem Fuß auf.

Den Inspektor schüttelte ein Frost. „Trage es wie ein Mann!“ stieß er hervor.

Heinrich rang nach Fassung. „Es bleibt mir nichts weiter übrig,“ entgegnete er mit zuckenden Lippen. Er drückte die Hand vor die Augen und beugte das Haupt dem Schicksal.

„Wissen Sie es drüben?“ fragte er tonlos nach einer Weile.

Ehrhardt nickte.

Altendorn raffte sich auf. „Ich muß ein Ende machen, mich allen so schnell als möglich aus den Augen bringen. Es ist das Einzige, was ich noch für die von mir so unbesonnen in widrige Verhältnisse gestürzte Familie thun kann.“ Er hakte den Degen ein und nahm den schlichten, mit eisenbeschlagener Krempe versehenen Hut. –

Heute sah es anders aus in der Familienstube als damals, da Heinrich sie zum ersten Male betrat. Am Fensterplatz bei dem Spinett lag Lida zusammengesunken in dem Sessel, während Lotte mit rothgeweinten Augen neben ihr stand, ihr Haupt stützend und streichelnd. Die stattliche Frau Amtmännin trug noch die Morgenhaube und verhüllte beim Eintritt des Offiziers aufs neue das verweinte Gesicht. Der Hausherr, der an den Anblick von menschlichem Elend gewohnt war und auf seinem verantwortungsvollen Posten gelernt hatte, sich zu beherrschen, kämpfte doch sichtlich mit seiner Bewegung beim Anblick des unglücklichen jungen Mannes, den er vor kurzem noch in voller Jugendfreude gesehen hatte.

Und es war auch ein anderer, der eintrat, um ewigen Abschied zu nehmen. Die Sorgen der letzten Zeit, der schwere Schicksalsschluß, der über ihn ergangen war, hatten die weichen Züge geschärft, die jugendliche Gestalt gefestigt. Der Jüngling war zum Manne geworden. Wohl wurde sein Antlitz noch einen Schein bleicher, als er Lida erblickte. Sein ganzes Herz trat in seine Augen. Er hätte hinfliegen, niederknien, sie in seine Arme schließen mögen. Aber er bezwang sich. Er hatte kein Recht mehr auf sie. Gefaßt trat er zum Justizamtmann. „Vergeben Sie mir,“ sprach er in bebendem Tone, „daß ich in Ihr friedliches Heim das Unglück getragen habe. Gott weiß es, mein Herzblut würde ich gern darum geben, könnte ich damit das Gedenken an mich aus Ihrem glücklichen Familienleben verwischen.“

Lida hatte sich bei seinen Worten aufgerichtet; jetzt kam sie mit fliegenden Schritten heran.

„Heinrich, das könntest Du wollen?“ rief sie. „Du könntest mir das Höchste nehmen wollen, was ich besitze, die Erinnerung an Dich? – Und Du bittest um Verzeihung? Ich danke Dir, o, ich danke Dir für alles Glück, das Du mir gabst, das mein Dasein verklärte, mir den wahren Inhalt des Lebens erschloß. Wenn auch ewiger Verzicht das Ende ist, Deine Liebe bleibt doch die Krone meines Lebens.“

Da breitete er die Arme aus, sie sank an sein Herz und legte das Haupt an seine Brust. So standen sie still, kaum athmend, ein seliges Lächeln auf den Lippen. Hoch über den Erdenschmerz trug ihre Liebe sie empor.

Dann nahmen sie in einem langen, langen Kuß Abschied für – wie sie fest glaubten – nur für diese Zeitlichkeit. – –

Der Fächer war das letzte Erinnerungszeichen, welches sie von ihm erhielt. Er sandte ihn durch Ehrhardt, der es nicht hatte über das Herz bringen können, den rasch gewonnenen und ebenso

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_685.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)