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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

nicht mehr, und es soll mir ein Plaisier sein, den Aerger der schönen Personage mit anzusehen.“

Er versenkte das Medaillon in die mit Silber bordierte Westentasche und ging.

Altendorn athmete auf. „Wie will ich Gott danken, wenn all dieses unwürdige Treiben hinter mir liegt!“

Dem Inspektor schnürte eine unbestimmte Angst die Brust zusammen. Würde sein armer junger Freund je dahin gelangen? Welche unheimliche Fäden waren es, die ihn zu umspinnen drohten?

Heinrich kämpfte sichtlich mit sich, er wollte wohl erklären – da knarrte abermals die Treppe. Ein spitzes Klopfen ertönte und hereintrat in goldgesticktem Rock und langer Bratenweste ein älterer Herr mit feinem Gesicht.

„Herr Hofrath!“ rief Heinrich, überrascht dem alten Herrn entgegentretend und sich tief verneigend.

Ehrhardt erwartete, daß der Besuch sich aus seiner gebückten Stellung erheben werde, aber dieser behielt sie bei; der Rücken bildete eine horizontale Linie, nur das Gesicht trug er steil emporgerichtet. Es war die Stellung, in welcher der Hofrath seinem gnädigsten Herrn Vortrag zu halten hatte, und sie war ihm zur andern Natur geworden.

Kühl fragend fiel sein Blick auf Ehrhardt. Als dieser sich zurückziehen wollte, sagte Altendorn: „Wenn des Herrn Hofrathes gütiger Besuch meiner Angelegenheit gilt, so bitte ich, Sie wollen sich nicht abhalten lassen von dero Geschäft. Dieser Herr wird, wenn das Glück mir hold ist, mein Schwager.“

Aus dem kleinen faltigen Gesicht zuckte ein rascher Blick zu Ehrhardt hinüber. „So bitte ich, mich zu pardonnieren und, wenn meine Rede peinlich sein sollte, bedenken zu wollen, daß dieselbe treu gemeint ist. Lieutenant von Altendorn,“ fuhr er sehr ernst fort, „ich komme nicht als Hofrath, der einfach nach Befehl seines Herrn die Supplikanten zu bescheiden hat, sondern als Freund Ihres verstorbenen Vaters. Lassen Sie ab von Ihrem Vorhaben, es führt Sie ins Verderben!“

Heinrich stand ebenso ernst ihm gegenüber. „Ich danke Ihnen von Herzen dafür,“ entgegnete er ehrerbietig, „daß Sie sich der alten Freundschaft erinnern. Aber ich kann die Warnung nicht für mich nutzbar machen. Ich habe gewußt, daß man meinem Entschluß Widerstand entgegensetzen werde, nicht nur von Seiten meiner Vorgesetzten und Kameraden, sondern auch von Seiten der Familie, welcher ein armer Lieutenant ein unwillkommener Schwiegersohn ist. Jedoch es gilt mein ganzes Lebensglück, und so muß ich hier auf meinem Gesuch bestehen, wie ich dort mich bemühen muß, mir Liebe und Anerkennung zu erwerben.“

Die Finger des alten Herrn bewegten sich krampfhaft in den fein gefältelten Manschetten. Er drückte den Degengriff nieder, daß die Spitze hoch empor schnellte. „Hören Sie mich, Heinrich! Ich kann und darf nichts weiter sagen – aber von Lebensglück wird für Sie nach diesem Schritt nicht mehr die Rede sein.“

Ein finsterer Zug trat in Altendorns Gesicht, er schüttelte entschieden den Kopf. „Ich muß auf meinem Gesuch beharren.“

Es arbeitete verzweiflungsvoll in dem Gesicht des alten Herrn. „Und schweigen zu müssen! Nun denn! Erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen sagte,“ sprach er dann mit gepreßter Stimme. „Ich wasche meine Hände in Unschuld. – Er aber, Monsieur,“ wandte er sich an Ehrhardt, „sage Er Seinem Schwiegervater, er soll die Hochzeit nicht beeilen. – Wozu noch mehr Unglückliche machen?“ murmelte er schon im Gehen. Altendorn gab ihm ehrfurchtsvoll das Geleite.

„Es ist so weit gekommen,“ sagte dieser, als er wieder allein mit Ehrhardt war, „daß alles vor einer schönen Schlange zittert. Vergiß die unwürdigen Erörterungen!“

Ehrhardt jedoch blieb nachdenklich. „Die Worte des alten Herrn schienen mir auf etwas Wichtigeres zu deuten als auf die abgewiesenen Zudringlichkeiten eines Frauenzimmers,“ antwortete er kopfschüttelnd.

„O, Du glaubst nicht, wie wichtig gerade solche Dinge von den Hofleuten genommen werden,“ erwiderte Heinrich. „In kurzer Zeit wird diese Wichtigkeit verschwunden und der Altendorn vergessen sein – und das ist alles, was ich wünsche.“

Trotz dieser beruhigenden Worte lastete auf Ehrhardt ein Druck, den er nicht überwinden konnte. Er dankte für die Aufforderung, sich die Residenz zu besehen, schützte die weite Rückreise vor und nahm nur wenige Bissen von dem kleinen Frühstück, das ihm der junge Offizier anbot. Er war froh, als er auf dem Heimweg wieder lostraben konnte. Was lag denn nur Beängstigendes in der Luft dort in der Stadt? –

Auch zu Haus wußte er nicht klar zu sagen, was ihm eigentlich Sorge mache. Selbst unter vier Augen konnte er es seiner Braut nicht begreiflich machen, daß dem Lieutenant eine Gefahr zu drohen scheine. Sie lachte ihn aus. Die Attacke der schönen Frau, die der junge Offizier so mannhaft abgewiesen hatte, machte ihr Spaß. Mit Gewalt konnte diese galante Dame ihn doch nicht in ihr Monbijou schleppen. Der alte Hofrath mit seiner unterthänigen Figur erregte nicht weniger ihre gute Laune. Der würde wohl eine Gänsehaut bekommen haben bei dem bürgerlichen Namen der Braut! Und dann hatte Lotte einiges über ihre Ausstattung mit Ehrhardt zu sprechen, was natürlich auch ihn auf heitere Gedanken brachte.

Und Lida vollends ahnte nichts von Unheil. Sie sammelte Rosenblätter in ihren „Potpourri“ und malte sich aus, wie lieblich der Wohlgeruch sein werde in ihrem zukünftigen engen Stübchen dort drüben hinter dem alten Pulverthurm. –

Endlich kam der entscheidende Brief. Altendorn hatte einen Expreßboten drangewendet, um die Nachricht schnell und sicher an Lida gelangen zu lassen. Er war zu dem Regiment in die Festung versetzt und hatte die Erlaubniß erhalten, sich zu verheirathen.

Wenn der Oberst auch höhnisch gelacht hatte, als er ihm die Eröffnung machte – was kümmerte es ihn, den Glücklichen? Er wollte dem Boten auf dem Fuße folgen, nur vorerst noch die nöthigen Dienstgeschäfte abwickeln und sich in die neue schlichte Uniform kleiden.

Die beiden Mädchen eilten in ihre Kammer. Lida hatte ja noch einen Brief allein für sich zu lesen, und Lotte mußte die Seligkeit mitgenießen.

Die Mutter seufzte und rieb sich die Stirn mit Lavendelwasser. Der Justizamtmann erklärte, er müsse ein Gläschen Aquavit nehmen. Er begab sich hinab in die Apotheke, wo um diese Zeit immer ein Kreis von Honoratioren sich einfand, vor allem der Arzt, der alte „Ueberall und Nirgends“. Und eine Magenstärkung sowohl als eine Zerstreuung konnte er brauchen.

Als er nach einer Stunde zurückkehrte, sah er wunderlich betroffen aus. An der Grabenbrücke des Amtshauses begegnete er dem Inspektor, der eben vom Markt nach Hause ritt. Auch dieser war verstört, und die Hand, welche er dem Schwiegervater vom Pferd herunter bot, zitterte. Die beiden Männer sahen sich in die Augen und nickten dann wie im stillen Einverständniß.

„Ich kann’s da droben nicht sagen,“ begann Ehrhardt und wandte das Gesicht ab.

„Das ist Sache der Mutter,“ erwiderte der Amtmann mit gepreßter Stimme.

Droben schloß er sich mit seiner Frau ein, und bald tönte Schluchzen aus der Studierstube. Aber es sänftigte sich nach nicht zu langer Zeit. Der Zusprache ihres Eheliebsten kam bei der Amtmännin ein Gefühl zu Hilfe, das tief in ihrem Herzen lag.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_684.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)