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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Du auch mal wieder gehen!“ An diesem Abend war es dann, wo das „Käthchen von Heilbronn“ ihm zur rettenden Muse wurde, die ihn wieder zurück in die Gärten der Poesie lockte. Die Aufführung wie das Stück waren von mächtiger Wirkung – ein Erlebniß, das sein geistiges Wesen im Innersten packte. Daran gedenkend, sagte Laube im Alter: „Die Vorhänge waren plötzlich in meinem Innern aufgezogen, die Vorhänge aus der Sprottauer Reitbahn; die Aussichten lagen wieder vor mir in reizende Gegenden, unklar gemacht durch farbige Nebel. Und diese nebelhafte Unklarheit gehörte zum Reize.“

Der litterarische und künstlerische Sinn in dem Studenten war aus seinem Schlummer erwacht.

Und nun begann auf einmal für ihn ein frisches fröhliches Treiben rein litterarischer Art. Als er unter seinen Genossen vom Theater zu reden begann, zeigte es sich, daß mehrere von ihnen dieses Interesse theilten; nur waren über den Mensurgeschichten, dem Kartenspielen und Kommersieren derlei Fragen zwischen ihnen nie zur Sprache gekommen. Da war einer unter ihnen, der im Anklang an die Falstaffscenen in Shakespeares „Heinrich IV.“ auf der Kneipe Fähnrich Pistol genannt ward und mit Vorliebe die drastischen Reden Falstaffs im Munde führte. Der Zufall, daß die Stammkneipe der durstigen Brüder „Zum wilden Schweinskopf“ hieß, also gerade wie die Herberge in Eastcheap, in welcher des Prinzen Heinz verwegene Tafelrunde bei Shakespeare ihre Gelage abhält, hatte vielleicht die Anregung zu diesen und anderen Spitznamen des Kreises gegeben; jetzt zeigte sich, daß dieser Fähnrich Pistol nicht bloß für Falstaff, sondern überhaupt für Shakespeares herrliche Dramenwelt schwärmte. Diese Bestrebungen befriedigte derselbe – sein bürgerlicher Name war Adolf Mühlbach – in einem anderen Freundeskreis, der sich an bestimmten Abenden in seiner behaglichen Wohnung zusammenfand. In diesen Kreis gerieth jetzt Laube auch. Es war ein poetischer Verein; man sprach in ihm nicht nur über Shakespeare, Schiller und Goethe, über Tieck und Uhland, über die neuesten Musenalmanache; man zog auch abwechselnd dicke Manuskripte aus der Tasche und las sich selbstgefertigte Dramen vor. Romantische Stoffe und Stimmungen herrschten vor; Tiecks „Genoveva“ und „Kaiser Oktavian“ waren bevorzugte Muster. Laube fühlte bald die Ueberlegenheit der andern an litterarischem Wissen, was ihn anspornte, die Lücken der eigenen Bildung zu füllen. Statt der Karten handhabte er jetzt des Abends und Nachts litterargeschichtliche Bücher, ästhetische Abhandlungen, die Werke der modernen Dichter. Aber was er mit Recht als Mangel empfand, war zugleich ein Vorzug. Er trat mit reiferen Lebensansichten und reicher Lebenserfahrung, frei von Vorurtheilen, an diese Fragen heran, in denen die andern meist mit fertigen, überkommenen Urtheilen ihre Entscheidung trafen. Ihnen entging auch dieser Vorzug nicht, so wenig wie die Anregung, die seine Ursprünglichkeit, sein ehrliches Fragen ihren Unterhaltungen brachte. Den träumenden Romantikern gegenüber war er sogleich der Mann der derberen Wirklichkeit, die bestimmte Ausdrucksweise seiner späteren Kritiken entfaltete er bereits hier. Ihrem einseitigen Kultus, den sie Goethe und Shakespeare gerade wegen der romantischen Elemente in deren Dramen widmeten, setzte er seine Schillerverehrung entgegen. Daß Schiller bei allen Schwächen der seelischen Schilderung und trotz seiner Neigung zum schönrednerischen Pathos doch im eigentlich Dramatischen, in der Kraft, treibende Leidenschaft und wachsende Handlung zu geben, Goethe überrage, fühlte er damals schon. Bald war er in vielen Dingen den anderen gegenüber der Ueberlegene. Bei den Besprechungen, welche der Vorlesung eigener Dichtungen – auch Balladen wurden gepflegt – häufig folgten, fand sein Urtheil bald die meiste Beachtung. Sein Ansehen wuchs, als er die Begabtesten des Kreises auf ihrem eigensten Gebiete schlug. Die „Schlesischen Provinzialblätter“, eine Monatsschrift, hatten einen Preis ausgeschrieben für das beste Gedicht. Sie alle bewarben sich, und Laube erhielt den Preis für eine „spanische Romanze“. Er machte sich wenig daraus, denn gerade dies Gedicht war ein Versuch ohne inneren Antheil gewesen, aber den Kameraden imponierte dieser Erfolg höchlich, und als dann gar ein zweiter auf der Bühne folgte, als Laube im Breslauer Stadttheater mit einer eigenen Tragödie den Beifall eines dichtbesetzten Hauses entfesselte, da faßte der Verein den Entschluß, für seine Bestrebungen eine eigene Zeitschrift zu gründen, und übertrug Laube deren Leitung.

Diese aufgeführte Tragödie war der schon erwähnte „Gustav Adolf – historisches Trauerspiel in 5 Akten“; die Zeitschrift führte den Titel „Aurora“ und erschien vom 5. Juli bis zum 30. Dezember 1829. Wie von dem Drama das bisher verschollene Manuskript, so liegt mir von der Zeitschrift eines der wenigen vollständigen Exemplare vor, welche der Zufall uns erhalten hat.

Ist nicht die Folgerichtigkeit merkwürdig, daß der junge Dichter nach den maßgebenden Eindrücken seiner Knabenzeit, nach den patriotischen Schwärmereien des Burschenschafters, unter den Anregungen des Poetenvereins und des jetzt oft besuchten Theaters, nach der erneuten Einwirkung Schillers und dem mächtigen Eindruck des Kleistschen Ritterstücks nun an die Ausarbeitung gerade eines Dramas ging, das mit Schillers „Wallenstein“ den geschichtlichen Hintergrund und eine der Hauptgestalten theilte, einen kriegerischen Führer der Reformationszeit zum Helden, einen nationalpolitischen Untergrund für seine Tragik, ein großes lärmendes Schlachtenbild zum Abschluß hatte und zur Heldin ein holdselig Bürgerkind, das zu König Gustav mit derselben magdlich demüthigen Liebe aufsieht wie das Käthchen von Heilbronn zu ihrem „hohen Herrn“, dem Grafen Wetter von Strahl?

So naiv aber der Dichter in der Anlehnung an „berühmte Muster“ war, so schülerhaft er noch in Bezug auf tiefere Begründung der Handlung und hinsichtlich einer eigenartigen Sprache blieb, so zeigte er doch schon hier in der Anwendung der dramatischen Grundgesetze, in der klaren Exposition und dem straffen Aufbau der Handlung, in der Beschränkung auf das Nothwendige, im Freibleiben von Schwulst und leeren Worten, von Ballast jeder Art ein künstlerisches Maßhalten, wie es gerade die Jugenddramen der meisten unserer Dichter vermissen lassen.

Eine weit größere Reife der Einsicht in das Wesen des Dramatischen bekundete er dann als Theaterkritiker an Karl Schalls „Breslauer Zeitung“ und der eigenen Zeitschrift „Aurora“. Der Eindruck eines Gastspiels von Karl Seydelmann, dem Stuttgarter Hofschauspieler, im besondern dessen Spiel als Carlos in Goethes „Clavigo“, trug viel dazu bei, seine vom Zauber romantischer Gefühlsschwärmerei noch vielfach befangenen Ansichten zu Grundsätzen eines gesunden, dichterischen Wirklichkeitssinnes zu klären.

In derselben Richtung bewegen sich die Xenien, von denen Laube im Wetteifer mit Heinrich Wenzel in dem halben Jahrgang der „Aurora“ gar manches Dutzend gegen Moderichtungen des Tags, gegen Raupach, Hell, Clauren, gegen das romantische Drama veröffentlicht hat. Die Gedichte, die der damals dreiundzwanzigjährige Kandidat der Theologie in der „Aurora“ mittheilte, „Der Student von Salamanca“, „Herr Ebbelin und die Nürnberger“, „Der lustige Jägersmann“, „Albano in Rom“, ermangeln bei aller Frische der Gesinnung und bei aller Lust am fröhlichen Wagen doch der rechten Kraft und Farbe und bewegen sich in der gleichen romantischen Art, welcher auch die Freunde Laubes, Max von Oer, Leopold Bornitz, Adolf Mühlbach, Freiherr von Oelsnitz, Freiherr von Biedenfeld, Otto Hanisch u. a. mit mehr oder weniger Begabung in Gedichten und Geschichten gehuldigt haben. Daß diese „literärische Zeitschrift“ keinen großen Abnehmerkreis fand und Ende 1829 wieder eingehen mußte, ist nach dem Gesammteindrucke nicht unverständlich.

Wie dann Laube als Hauslehrer auf dem Rittergut Jäschkowitz bei dem schlesischen Landesältesten Herrn von Niemptsch unter den Eindrücken der polnischen Revolution zur litterarischen Theilnahme an der Zeitgeschichte und zur politischen Schriftstellerei im Dienst freiheitlicher Ideale überging, wie er durch seine Werke „Das neue Jahrhundert“ und „Das junge Europa, 1. Theil: Die Poeten“ sich Verfolgung und Kerkerstrafe zuzog, ist schon öfter dargestellt worden. Als er sich später gemäßigteren Anschauungen und einer minder revolutionären Dichtungsart zuwandte, lieber Künstler als Politiker sein wollte, hat man ihn einen Abtrünnigen genannt. Man sollte bei seiner Beurtheilung aber nicht vergessen, daß er sich in jenen Jahren der inneren Sammlung und bürgerlichen Einordnung doch eigentlich nur zurückwandte zu dem, was seine erste Liebe im litterarischen Sinne war, zum Theater und zum Kampf für die Werthschätzung des wirklichen Lebens in den Darstellungen der Kunst. Das Urtheil wird gerechter, wenn man seine poetischen Anfänge zu Breslau in Betracht zieht, wie wir es gethan haben, und so entdeckt, daß darin sowohl diejenige Richtung seines Talents bereits zum Ausdruck kam, welche ihn später zum gefeierten Dramatiker und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_680.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)