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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

kannst gleich Schauspielerin werden. Und ich – ich gehe zur See!“

„Aber die höhere Karriere. Marine! Das bitte ich mir aus!“

Er seufzte.

„Man muß so scheußlich viel dazu lernen!“

„Dummer Junge, das muß man überall! Willst Du eine Rolle spielen wie Kuno, Ritter von Tillenbach?“

Die Erinnerung an die eben genannte Persönlichkeit mußte etwas sehr Erheiterndes haben, denn beide Geschwister brachen zugleich in ein lärmendes Lachen aus, wollten reden, konnten es nicht und lachten von neuem bis zu Thränen.

„Der kommt doch heute auch?“ fragte Wolfgang endlich.

„Aber gewiß. Das Zehnmillionen-Männchen kommt!“

„Zeig’, wie er aussieht, Gerda! Hörst Du?“ Wolf kniff sie ermunternd in den Arm.

Sie zwang sich mühsam zum Ernst und zerrte ihre dichten Stirnhaare so tief in die Augen, wie sie nur konnte, dann zog sie mit dem Taschenkamm einen Scheitel durch die Mitte, kniff die Augen so schmal zusammen, daß sie zwei Gedankenstrichen glichen, und öffnete den Mund erstaunlich weit. Die Füße einwärts gestellt, die Arme lose und ungeschickt herunterhängend, verbeugte sie sich drei-, viermal hintereinander vor Wolfgang und lispelte mit albernem Lächeln:

„Ich bin so glücklich, liebste S-tella – nein – Sie sind so frei – vielmehr ich bin so frei – Sie – ich –“

„Hurrah!“ schrie Wolf und packte seine begabte Schwester bei beiden Schultern, um sie derb zu schütteln. „Es ist einfach großartig! Man sieht den Kerl! Nein, daß Stella den heirathet, das ist doch unmöglich!“

„Hm! Weiß nicht! Bei der ist nichts unmöglich!“ meinte Gerda philosophisch. „Wenn sie der Prinz nicht nimmt –“

„Ob der auch eingeladen ist, der neulich hier Besuch machte? So ein schwarzbärtiger Großer – ich haute mich gerade mit Heinz Oehmke.“

„Ja, der ist auch gebeten! Maler Andree meinst Du!“

„So, der ist Maler? Weißt Du, mir hat der gut gefallen!“

„Ja, mir gefiel er auch! Jetzt komm aber nach unten, wir haben noch zu lernen!“

Wolfgang setzte sich quer auf das breite glatte Treppengeländer, Gerda packte ihn bei einem Fuß und lief im Galopp neben dem „Schlitten Fahrenden“ die Stufen hinunter.

Indessen ging in Stellas Zimmer das wichtige Werk der Toilette vor sich, schweigsam fürs erste, denn ein Blick in das Antlitz ihrer Herrin hatte die Alte überzeugt, daß der Liebling bei schlechter Laune war. Natürlich, warum hatte man seinen Schlaf gestört! Geräuschlos und flink hantierte die Holsteinerin um ihre Prinzessin herum. Sie hatte auch frisieren gelernt und behandelte jetzt das köstliche Haar, das in seidener Pracht über die Schultern floß, kunstgerecht mit einer sammetweichen Bürste, ehe sie es in den anscheinend so einfachen Lockenknoten zusammenfaßte, der dem feinen Köpfchen entzückend stand und den Stella Brühls Freundinnen sich vergeblich nachzuahmen bemühten, weil, wie die alte Willmers höhnisch bemerkte, „das Material dazu fehlte“, denn diese Frisur ließ sich nur aus so leichtem natürlich gewellten Haar herstellen.

Endlich – die Willmers kniete gerade vor der jungen Dame und streifte die blaßblauen, golddurchwirkten Seidenstrümpfe über die rosigen Füßchen – endlich that Stella den Mund auf, und die Unterhaltung entspann sich.

„Willmers!“

„Prinzeßchen!“

„Das war doch wieder Gerda, nicht wahr?“

„Natürlich, wer sonst?“

„Hast Du sie ausgescholten?“

„Tüchtig!“

„Nun – und sie?“

„Ungezogen, wie immer. Böse, daß sie heute nicht erscheinen und nicht mittanzen soll.“

„Das kann ich mir denken!“ Fräulein Stella lachte melodisch leise vor sich hin. Nach einer kurzen Pause:

„Sind Blumen für mich angekommen?“

„Selbstverständlich! Drei Bouquets: von Hauptmann Sternow, Konsul White und Herrn von Tillenbach!“

Das junge Mädchen hatte bei Nennung der beiden ersten Namen gleichgültig ausgesehen, beim letzten zuckte sie geringschätzig die Schultern.

„Aber das ist gerade das schönste!“ schmunzelte Frau Willmers. „Der Kuno kam vor drei Tagen eigens zu mir und erkundigte sich nach Ihrer Toilette!“

„So! Wenn das Bouquet sehr schön paßt, werde ich’s am Ende nehmen müssen! Also der Prinz hat sich nicht gemeldet?“

„Nein! Sie sind nicht ärgerlich darüber, Liebchen, nein?“

„Gar nicht! Ich habe ihn zu schlecht behandelt, als daß er es wagen dürfte, mir Blumen zu schicken.“

„Aber ich dachte, mein Prinzeßchen –“, die Alte stockte ein wenig.

„Du dachtest, Dein Phantasie-Prinzeßchen möchte gar nicht so ungern ein wirkliches Prinzeßchen werden, nicht wahr? Ja sieh, Willmers, dazu gehört etwas mehr als bloßes Courmachen! Die Art, wie dieser moldauische Prinz sich um mich herumbewegt, gefällt mir nicht; da ist viel zuviel vom großen Herrn dabei! Warten wir es in Ruhe ab, bis er sich selbst klein findet und mich großartig – dann wollen wir uns wieder sprechen. Warten wir es ab!“

Sie trat plötzlich vor den Spiegel und sah aufmerksam hinein, als habe sie noch nie ihr eigenes Bild erblickt. Die Alte stand hinter ihr und hielt mit ausgebreiteten Armen das Kleid hoch, um es ihr überzuwerfen. Das Fräulein duckte sich ein wenig, und mit einem leise rauschenden Ton glitt ihr das Kleid über den Kopf, der gleich darauf aus den bläulichen Wogen emportauchte wie der einer reizenden Nereïde.

„Was machst Du für ein unzufriedenes finsteres Gesicht, Willmers?“ fragte Stella in den Spiegel hinein. „Gefalle ich Dir heute nicht?“

„Was für ein Gedanke! Nein, mir geht die Geschichte mit Rom im Kopf herum, der Brief, den Sie dorthin geschrieben haben! Er war ein so leidenschaftlicher heißblütiger Mensch und so zum Sterben verliebt! Wenn er nun außer sich geräth und herkommt!“

„Hoffentlich nicht! Außer sich geraten – ja! Herkommen – nein! Ich hab’ es außerdem unbestimmt gelassen, ob ich jetzt daheim bin, hab’ ihm gesagt, ich gehe vielleicht nach dem Haag zu einer Freuudin, vielleicht mit Papa nach Paris –“

„Wenn auch, ihm traue ich alles zu!“

„Ja, verliebt war er rasend in mich – und ich hatte mich dazumal ebenfalls in ihn verliebt – kurios!“

Sie beugte sich vor und nahm mit vorsichtigen Händen aus einem hohen Koffer von schöner japanischer Arbeit einen Halbmond aus Brillanten, den sie hin und her drehte. Bunte feurige Blitze zuckten über die weißen Hände, die den Halbmond hielten.

„Er ist wirklich schön! Kostet Papa ein schweres Stück Geld, aber ist’s auch werth! Ja, was ihn anbetrifft – Werner Troost meine ich! – so wär’s noch nicht das schlimmste, wenn er herkäme! Habe ich ihn hier, dann kann ich mit ihm machen, was ich will! Ich sage ihm: so und so, ich sei ja noch ein Kind gewesen, als ich mir eingebildet hätte, ihn zu lieben, was denn ein Kind davon wissen könne, und übrigens – wo ist denn der große Name, die Berühmtheit, die er mir versprach? Von diesem Maler Andree hab’ ich schon allerlei gehört, er ist bekannt in der Kunstwelt. Wer aber weiß von einem Bildhauer Troost? – Nein, nicht so hoch, Du mußt ihn tiefer nach rechts stecken, daß er nicht so prahlerisch funkelt. Man muß seine Brillanten diskret zu tragen verstehen.“

Die Alte that ihr den Willen und nestelte dann das Kleid mit Goldspangen zu.

„Ist nicht dieser Maler Andree auch aus Rom?“ fragte sie dabei.

„Ja, gewiß! Vielleicht kennt er Werner – es ist sogar wahrscheinlich – und wird mir von ihm erzählen. Aber Werner hat nichts ausgeplaudert, selbst wenn er dort einen vertrauten Freund gefunden haben sollte, dessen bin ich sicher. Ich habe ihm gesagt: ‚Du schweigst gegen jedermann!‘ und er hat es mir versprochen!“

„Ich wundere mich nur –“, fing die Willmers an.

„Worüber? Ums Himmelswillen, doch nicht das Perlenhalsband! Welcher Mensch trägt denn Perlen zu Brillanten? Nun also – worüber wolltest Du Dich denn wundern?“

„Daß Ihre Eltern die ganze Zeit über von der Sache nichts bemerkt haben.“

„Wenn man eigenes Fuhrwerk besitzt und selbst fährt, in

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