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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Bei dem Inspektor der großen Domäne an der Grenze hielt er Nachtrast und besprach mit ihm die Angelegenheit des Wollhandels. Der aber schüttelte den Kopf, meinte, die da drüben seien nicht geeignet zu Geschäftsverbindungen, wußte viel zu erzählen von unsinniger Verschwendung des Hofes, die den Seckel geleert habe, von Bedrückung des Volkes, von Spionage und Willkür, die dort Hand in Hand gingen. Das waren keine guten Nachrichten. Doch Ehrhardt mußte zugestehen, daß Lotte recht gehabt habe, wenn sie rieth, man solle sich die Verhältnisse einmal mit eigenen Augen ansehen.

Nachdenklich ritt er am andern Morgen von dem Schlagbaum des Herzogthums zu dem Grenzpfahl hinüber, der die Farben des Vaterländchens trug, dem sein vermuthlicher Schwager angehörte. Sofort erkannte er, daß die Aecker in der Bearbeitung sehr zurück waren. Aber eine Frage an einen Bauern, der mit seinem elenden Kuhgespann des Weges zog, wurde nur mit einem mißtrauischen Blick beantwortet. Der nächste sagte finster: „Die Frohnden!“

Bei guter Zeit langte er in der von dem Freund empfohlenen Ausspanne an, die vor den Mauern der Residenz für seinen Zweck bequem gelegen war, da er dort, wenn er nicht Nachtherberge nehmen wollte, von Paßscherereien verschont blieb.

Als er seine Pferde versorgt hatte, ging er durch das mit Wachen stark besetzte Thor in die Residenz hinein. Die große Hauptstraße führte in mannigfachen Windungen nach dem weiten Schloßplatz. Es fiel ihm auf, daß die Leute so gedrückt aussahen, daß sie ihn scheu anblickten, als er ein neuerbautes Palais bewunderte. Marmorstufen führten zu der Eingangspforte, über der ein zierlich geschweifter Balkon schwebte; Amoretten mit Bogen und Pfeil und lodernden Fackeln schmückten, in Stuck ausgeführt, die Fassade.

„Wem gehört dieses Schlößchen?“ fragte er einen Arbeiter, der die Straße vor dem kleinen Prachtbau aus einer großen Gießkanne sprengte.

„Das ist Monbijou,“ antwortete der Mann, „und gehört der Gräfin Wildern.“

Ehrhardt schnalzte mit den Fingern. Landbekannt war der Ruf der Gräfin Wildern, die mit dem verstorbenen Prinzen Klothar auf sehr innigem Fuße gestanden hatte und trotz der durch den Tod ihres Verehrers gelockerten Fühlung noch immer für allmächtig bei Hofe galt. Er wandte sich zum Gehen.

Da blieben plötzlich die Leute mit abgezogenen Kappen und Hüten stehen. Ein glänzender Aufzug nahte vom Schloßplatz her. Zwei riesige Lakaien trugen eine ganz vergoldete Porte–chaise. Hinter den Scheiben zeigte sich ein wundervolles Frauenbild. Aus dem tiefen Ausschnitt eines mit Spitzengekräusel überrieselten aurorafarbenen Seidenkleides hob sich die üppige Büste; eine Schnur von Perlen schmückte den schlanken Hals. Eine Agraffe von großen Brillanten im Haar verursachte zusammen mit dem Ohrgehänge ein solches Gefunkel, daß man geblendet fast das schön geformte Gesicht übersah. Nur die kleine schwarze Fliege, das Schönheitspflästerchen, fiel ins Auge; sie war dicht an die vollen Lippen gesetzt, als nasche sie von dem erdbeerrothen Mund.

Ehrhardt erwachte aus seinem Staunen, als ein zur Begleitung nebenherschreitender Lakai ihm den Hut vom Kopfe schlug.

Er wollte auffahren, dem Kerl nach. Aber der Arbeiter hielt ihn am Rock fest und warnte in einem Ton, der die Berechtigung des Bedienten anerkannte: „Es ist ja die Gräfin Wildern,“ Ehe Ehrhardt antworten konnte, ließen sich von der andern Seite Trommelwirbel hören, glänzende Uniformen blitzten auf: die Wachtparade der Leibgarde marschierte nach dem Schloßplatz.

Der Inspektor unterdrückte seine Empörung und ging hinter der Porte-chaise her, dem militärischen Aufzug entgegen. Vielleicht war das Glück ihm hold, und er begegnete Altendorn, konnte ihm einen Wink geben, daß er nach der Parade ihn sprechen wolle.

Wahrhaftig, der junge Offizier, der die Soldaten führte, war der Gesuchte. Indeß, welch sonderbaren Ausdruck trug das sonst so sanfte Gesicht! Täuschte er sich, oder verschärften sich wirklich die Züge, je näher er kam, bis zur schroffsten steinernen Unnahbarkeit? Und welches Leben erhob sich in dem vergoldeten Gehäuse! Ein Hin- und Herbiegen, daß der leicht umhüllende Flor wie ein Nebelwölkchen von den Schultern sank, ein Fächerwedeln, als sei der goldene Schrein ein feuriger Ofen.

Jetzt schritt der junge Lieutenant an der Porte-chaise vorüber. Er grüßte mit der Grazie, die jede seiner Bewegungen auszeichnete, aber seine Augen waren niedergeschlagen, so daß nur der Schatten der dunklen Wimpern auf den Wangen zu schauen war. Mit verzehrender Glut hingen die Blicke des schönen Weibes an der Jünglingsgestalt.

Was war das? Und warum lachte der zweite Offizier so eigenthümlich und häßlich vor sich hin?

Ehrhardt konnte nicht weiter darüber grübeln.

Altendorn schritt eben an ihm vorbei. Jetzt erblickte er ihn, und plötzlich war der finstere Ausdruck verschwunden; eine helle Röthe flog über sein Gesicht, voll gespannter Erwartung heftete sich sein Blick auf den Freund.

Und als Ehrhardt beruhigend ihm zuwinkte, ach, wie dankbar schauten da die eben noch so strengen Augen darein!

„In einer Stunde bin ich zu Haus,“ rief Altendorn dem Inspektor halblaut zu.

Lotte hatte doch recht! Mochten die Verhältnisse so verzwickt sein, wie sie wollten, den armen Menschen durfte man nicht auf die Folter spannen. In diesem Gedanken fragte Ehrhardt einen der Umstehenden nach der Wohnung des Lieutenants und suchte dann nach einer Stunde, die ihm überlang vorkam, das ihm bezeichnete Haus auf. Es war ein ärmliches Stübchen, in welches er gewiesen wurde. In der Thür kam ihm Altendorn schon entgegen.

Ehrhardt drückte ihm herzlich die Hand und übergab ihm zuerst des Amtmanns Schreiben. Der Offizier wechselte beim Lesen die Farbe, allein er sagte gefaßt: „Ich durfte keine andere Antwort erwarten.“

Trotz aller früheren Bedenken war der Inspektor jetzt herzlich froh, daß er ihm als Balsam das Briefchen von Lida geben konnte. Altendorn wandte sich ab und trat damit zum Fenster. Natürlich, er küßte den kleinen Ring, den Ehrhardt durch das Papier hindurch gefühlt hatte!

Inzwischen warf der junge Landwirth einen prüfenden Blick auf das Stübchen. Ringsum kahle Wände, auf dem Tisch, noch in Papier gewickelt, ein kleiner Imbiß, den der glänzende Offizier sich wohl selbst mitgebracht hatte.

„Und ich habe Lida nichts zu geben,“ vollendete Altendorns Stimme traurig das Zeugniß von Armuth. das seine Umgebung ausstellte, während sein Blick an dem schlichten Reif haftete, den er an den kleinen Finger gesteckt hatte. Ehrhardt wollte schon ein tröstendes Wort sagen, als plötzlich ein blitzender Strahl von der Fensterbank her ihm ins Auge fiel. Er kam von einem funkelnden Schmuckstück, das dort lag im grellsten Gegensatz zu der ärmlichen Umgebung.

Altendorn war dem Blick Ehrhardts gefolgt; eine dunkle Röthe schoß in sein Gesicht. „Um Gotteswillenl“ rief er. „Nicht einmal in Gedanken darf dieser Schmuck mit Lida in Verbindung gebracht werden. Er muß auch sofort wieder aus dem Haus. Ich habe nur noch keinen Boten gefunden.“

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_667.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2023)