Seite:Die Gartenlaube (1891) 666.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

bürgerliches Mädchen heirathen darf, auch das will ich nicht weiter in die Wagschale legen, obgleich dieser Umstand schon einen Stein des Anstoßes abgiebt für eine respektable Familie, wie wir sind. Für uns muß maßgebend sein, daß die Sache noch nicht spruchreif ist. Er will sich versetzen lassen, doch er ist noch nicht versetzt; er will um Erlaubniß bitten, heirathen zu dürfen, aber er hat sie noch nicht. Bevor seine Angelegenheiten so geordnet sind, wie er beabsichtigt, kann er billigerweise kein bindendes Wort von uns verlangen. Mit diesem Bescheid mußt Du Dich vertrösten, Lida, ich werde ihm denselben eröffnen. – Und nun, mein Schatz, schenke mir den Kaffee ein; ich habe ein schwieriges Urtheil[WS 1] zu fällen, ein Grenzstein soll auf dem Rain verrückt worden sein, und die Männer, welche als kleine Jungen bei dem Setzen desselben Ohrfeigen bekommen haben, damit sich die Stätte ihrem Gedächtniß einpräge, werden eidlich vernommen.“

Nach beendetem Frühstück begab sich jedes an sein Geschäft. Lotte ging in die Küche, um das Mittagessen vorzubereiten. Da knarrte die Thür hinter ihr, und Lida schlich herein, eine große Schürze vorgebunden. „Schicke die Magd in den Garten! Die Mutter will die Bohnenbeete gejätet haben. Ich will Dir helfen.“

Lotte stand wie versteinert. „Du wolltest ja Rosenblätter in Deinen ‚Potpourri‘ sammeln?“

„Das kann ich am Nachmittag thun,“ sagte Lida und sah die Schwester schüchtern an. „Ich möchte gern ordentlich kochen lernen. Aber nicht den Lammsbraten; den trägt’s für uns einmal nicht. Rüben sind wohl billig? Ich will sie putzen. Ist das zu viel Butter zum Schmoren?“ Sie maß das Stückchen bedenklich mit den Augen.

„Du armes Mäuschen,“ jammerte Lotte, „Du hungerst wohl gar auf Vorrath? Ich schicke Dir schon einen Lammsbraten und auch eine Büchse mit Butter.“

„Ach, das einfache Essen schmeckt ganz gut,“ lachte Lida; Du sollst sehen, welch schöne Bettelmannssuppen ich aus Wasser, Brot und Milch kochen lerne. Die Bauern essen sie auch und sind stark dabei.“

„Nein, Du schlägst Eier hinein,“ befahl Lotte nachdrücklich. „Ich schicke sie Dir durch die Botenfrau.“

So bereitete die eine sich freudig auf die Armuth vor, und die andere gab ebenso freudig alles weg, was sie hatte.

„Wie schnell die Jugend ihre Sorgen in den Wind schlägt!“ seufzte die Mutter schweren Herzens, als sie mit dem Schlüsselbund auf ihrem täglichen Rundgang vom Keller nach dem Boden hinaufstieg. Ist das nicht in der Küche ein Gezwitscher, als sei ein Nest lustiger Finken ausgeflogen?“

Allein das fröhliche Gezwitscher hielt nicht lange an. Am Abend hallte ein tiefer Seufzer durch die jetzt einsame Küche. Er kam von Lottens Mund, der des Seufzens gar nicht gewohnt war. Sie kauerte vor dem Herde und brachte das große Feuerzeug in Ordnung. Die Magd war wieder einmal nicht vorsorglich gewesen, sie war mit dem Vesperbrot zu den Arbeitern auf den Krautacker gelaufen und würde nachher eine Stunde mit Stahl und Stein kippen müssen, wenn die Abendsuppe gekocht werden sollte. Es war ja kein Zunder mehr da, und Lotte beschäftigte sich damit, neuen zu brennen.

„Ein elendes Geschäft!“ murmelte sie. Kaum züngelt das Flämmchen auf aus dem alten Linnengespinnst, so wird der Blechdeckel darauf gedrückt, daß es nur ein wenig schwelen darf und ausgehen muß. Gerade wie im Leben!“

„Das will ich mir doch verbeten haben!“ Ehrhardt, der durch die Thürspalte gelugt hatte, trat lachend herein. „Was philosophierst Du da für dummes Zeug zusammen?“

„Wäre es doch dummes Zeug!“ seufzte sie weiter und drückte abermals ein lustiges Flämmchen aus. Aber denke Dir, wie der Vater den armen Altendorn beschieden hat. In einem ganz steifen Brief sagt er ihm, es scheine allerdings, als habe Lida den Herrn in Affektion genommen. Da indessen der Herr noch nicht recht adjustiert sei, so erachte er es für geboten, daß jetzt nichts festgestellt werde, sondern erst des Herrn Lieutenants Angelegenheiten geordnet werden müssen, bevor der Vater sich zu expektorieren habe. Nun denk’ einmal, wenn Dir gesagt worden wäre: ‚Die Lotte hat den Herrn Inspektor in Affektion genommen.‘“

Ehrhardt zog nachdenklich die Stirne kraus. „Ich würde die Rede, in unser ehrliches Deutsch übersetzt, so verstanden haben: die Lotte ist in den Inspektor bis über beide Ohren verliebt.“

„Ehrhardt!“ fuhr sie auf. Er sah sie übermüthig an. „Hoffentlich will die Demoiselle nicht widersprechen.“

Sie hatte sich schon besonnen, senkte den Kopf und seufzte: „Ach, Ehrhardtchen!“

Er musterte sie prüfend: so nachgiebig und „Ehrhardtchen“! Da wollte sie etwas. „Nun heraus mit der Sprache! Wo soll ‚Ehrhardtchen‘ helfen?“

Jetzt war die Schleuse aufgezogen. „Ach, wenn Du das thun würdest! Sieh, der Vater will den Brief mit der Postkutsche schicken, die einmal dazu verordnet sei. Nun kommt die aber erst übermorgen hier durch, und der Schaffner ist immer betrunken, und die alte Karre fällt aus einem Loch ins andere. Wie leicht kann der Brief da mit in einem Loche stecken bleiben – was eigentlich nicht schade wäre,“ sezte sie mit echt weiblicher Logik hinzu. „Nein, lache nicht! Denke Dir nur, wie lange der arme Mensch auf Antwort warten soll, wenn er sie überhaupt jemals bekommt. Und kein tröstendes Wörtchen von Lida! Das ist zu arg! Komm’ mir nicht mit einer Vernunftpredigt, die habe ich Dir auch nicht gehalten, sondern ich bin ans Quittenspalier gelaufen, bis die Vorbehalte des Vaters und die Aengstlichkeiten der Mutter überwunden waren.“

Er blickte sie an. Ein Sonnenstrahl fiel durch das tiefe vergitterte Küchenfenster gerade auf den zu ihm emporgerichteten Mädchenkopf, daß das blonde Haar unter dem Puder förmlich glitzerte. Die Vernunft verzog sich. Er schlang seinen Arm um sie und sagte: „Nun weiter!“

„Wie war denn das mit den Wollpreisen?“ fragte sie listig. „Hattest Du nicht Lust, einmal drüben in der Residenz Erkundigungen einzuziehen? Wenn Du nun bald dazu thätest und das furchtbare Schreiben mitnähmest, dann könntest Du auch ein Briefchen von Lida als Trost beigeben. Nein, schüttle nicht den Kopf! Das Quittenspalier mit seinen Geheimnissen kann auch nicht vor dem Katechismus bestehen, und der liebe Gott hat dennoch seinen Segen dazu gegeben.“ Sie streichelte ihm die gebräunte Wange. „Du mit Deinem verständigen Blick könntest Dir die Verhältnisse auch einmal in der Nähe ansehen. Man bekäme doch eine richtige Einsicht.“

„Schmeichelkätzchen!“ drohte er, aber er ließ sich streicheln und schmeicheln und gab endlich ganz weich den Bescheid: „So melde dem Herrn Papa, daß ich morgen in die Residenz reise und seine Antwort mitnehmen will!“

„Ehrhardtchen!“ Sie flog ihm um den Hals.

Derweilen war der Zunderkasten ausgebrannt. „Das ist recht,“ rief sie lustig. Es hat doch einmal sich ausflackern dürfen. Drücke die Flämmchen aus, wer will, ich nicht!“




Am nächsten Tage ritt Ehrhardt nach der Residenz des Nachbarlandes ab, begleitet von einem Knecht; er ein Felleisen mit Wollenproben, der Knecht einen Hafersack hinter sich auf den breiten Rücken der starken Eisenschimmel.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Urthel
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_666.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2023)