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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

zu nichts gekommen sein, denn man hat seit all den Jahren kein Wort von ihm gehört; wohl aber kam Brühl, der immer mehr Glück wie Verstand gehabt hat, zu etwas, und zwar durch einen großen Lotteriegewinn, der ihm kurze Zeit nach dem Weggang Winzers zufiel. Nun war er wieder obenauf, allein jetzt kommt das Komische von der Geschichte. Jedermann glaubte, nun werde die Firma den wahren Aufschwung nehmen, denn Brühl und Grimm hatten miteinander auf der Schulbank gesessen und galten für geschworene Freunde, obschon der eine klug und der andere etwas einfältig war. Da mußte also wohl Brühls frisch gespickter Geldbeutel und Grimms anschlägiger Kopf etwas Ausgezeichnetes zusammen abgeben. Aber nein! An dem Tage, da Brühl den riesigen Gewinn einheimst, sagt Grimm sich von der Theilnahme am Geschäft los, ist durch kein Bitten, kein Zureden zu bewegen, Compagnon zu bleiben, erklärt rund heraus, es gebe nichts Gutes ab, wenn einer mit einem großen Kapital wirthschafte und der andere mit nichts, und zieht seine Einlage ohne weiteres aus dem Geschäft heraus. Nicht einmal stiller Theilhaber will er bleiben, und nur mit Mühe und Noth kann Brühl ihn bewegen, seine Wohnung zu behalten, im oberen linken Flügel des Brühlschen Hauses, wo er sich ein kostbares Glashaus für seine Blumen hatte einrichten lassen. Er blieb denn in der Wohnung, zahlte pünktlich seine Miethe, war aber von Stund’ an nur noch ein seltener Gast in der Brühlschen Familie, nur bei feierlichen Gelegenheiten. Er hat für sich selbst in Getreide und Oel weiter spekuliert, wie man meint, mit großem Glück, und sein guter Rath soll Brühl oft in schwierigen Geschäftslagen über Wasser gehalten haben. Kurioser Kauz, nicht wahr? Nimmt es seinem Freunde buchstäblich übel, daß er reich geworden ist, und zieht sich deshalb von ihm zurück! – Aber sei so gut und laß mich nicht alle Austern allein aufessen, sondern halt’ auch mit!“

„Ich danke, iß nur – freut mich, wenn Dir’s schmeckt! Ich habe keinen Appetit.“

Andree saß, den Kopf in die Hand gestützt, am Tische und sah zu, wie Hilt die Austern aß. Etwas in der eben gehörten Erzählung berührte ihn nicht angenehm, so leicht hingeplaudert auch das Ganze war.

Die leeren Austerschalen thürmten sich wie ein kleines Gebirge übereinander, Hilt schlürfte und schluckte und sprach dem Yquem fleißig zu.

„Und Brühl ist ein reicher Mann geblieben seit jener Zeit, nicht wahr?“

„Wie man’s nimmt! Die Frau und die Kronprinzessin kosten ihn gewaltig, er muß ganz ungeheure Summen verdienen, wenn er das aus dem Geschäft herausziehen kann. Jetzt angelt er nach einem Schwiegersohn von Rang und Stand, das kostet noch extra. Hier lebt seit einiger Zeit ein moldauischer Fürst Riantzew mit Familie. Dessen jüngerer Bruder, Prinz Riantzew also, hat sich stark in die schöne Stella Brühl verliebt, höchst wahrscheinlich ohne Erlaubniß seines fürstlichen Herrn Bruders, und der biedere Senator hätte nichts dagegen, Vater einer Prinzessin Riantzew zu werden. Nach Geld fragt er nicht soviel, ihn prickelt der Ehrgeiz. Du wirst übrigens wohl alle, von denen ich gesprochen habe, Senator und Gemahlin, Grimm und Prinzen, in Bälde kennenlernen; Brühls werden in den nächsten Tagen ein großes Zauberfest veranstalten, vermuthlich, um den Prinzen etwas fester zu schmieden! Und da Du dort Deinen Besuch gemacht und Deine Karte zurückgelassen hast, da ich zudem mit der anspruchsvollen Frau Mama von Dir gesprochen habe, so hoffe ich, daß die Leute den guten Einfall haben werden, Dich einzuladen. Wir würden dann dort zusammentreffen, man kann da über Hamburger Feste in großem Stile Studien betreiben! – Beiläufig, mein Guter: könntest Du mir vielleicht mit dreihundert Mark unter die sogenannten Arme greifen? ’s ist bloß, damit das halbe Tausend voll wird! Ja? Du bist wirklich ein nobler Kerl, und ich freue mich aufrichtig, daß Du nach Hamburg gekommen bist. Willst Du einen Schuldschein? Nicht? Nun, eigentlich ist’s auch Unsinn, ich schreibe mir alles genau auf, jeden Jahrgang für sich, Du hast’s ja gesehen! – Die Austern sind zu Ende – nein, nein, Du brauchst nicht zu läuten, ich esse nichts weiter. Machen wir ein Ende mit dem Wein! So, adieu! Auf Wiedersehen im Hause Brühl!“

Damit knöpfte sich Hilt kaltblütig den Ueberrock zu, klopfte sich schmunzelnd auf die Tasche, in die er die Kassenscheine geschoben hatte, und reichte Andree die Hand zum Abschied. Dieser gab ihm nur bis zu seiner Zimmerthür das Geleit, konnte daher nicht sehen, daß Hilt im Hausflur vom Zimmerkellner Adolf erwartet und alsbald in eine eifrige, mit vorsichtig gedämpfter Stimme geführte Unterredung verwickelt wurde.

Am nächsten Morgen lud eine große, steife, goldgeränderte Karte Herrn Waldemar Andree zu einem Souper mit nachfolgendem Tanz auf den achtundzwanzigsten April abends neun Uhr in das Haus des Senator Brühl auf dem Alsterdamme! –




7.

Fürst Emmerik Riantzew hatte seine Güter in der Moldau verlassen, wo er sich einen ganzen Hofstaat von Haushofmeistern, Erziehern, Gouvernanten, Bonnen, Kammerdienern und Jägern hielt, und hatte mit seiner Gemahlin, einer georgischen Prinzessin, und seinen fünf Kindern, sowie einem Theil des eben erwähnten Hofstaates eine „Tour durch Europa“ unternommen. Das war ein weiter Begriff, aber Fürst Emmerik war der Mann dazu und besaß die Mittel, sich diesen Begriff nach seiner Neigung auszugestalten.

Er hatte einen Kurier aus Brüssel in seinen Dienst genommen, ein Juwel von einem Kurier, der fünf Sprachen redete und schon rund um den ganzen Erdball gewesen war. Diesen bezahlte er mit fürstlicher Freigebigkeit, und das wußte der Mann zu schätzen. Er führte seine aristokratische halbasiatische Gesellschaft so gewandt, daß sich das Reisen glatt wie am Fädchen abrollte. Man hatte den ganzen Spätherbst und Winter im Süden zugebracht, Taormina gefiel dem Fürsten besonders gut, und seine Gemahlin hatte wiederum eine Vorliebe für die Riviera, insbesondere für Bordighera, das ihren etwas abgespannten Nerven mehr wohlthat als San Remo und Nizza.

Allmählich, durch einen ungewöhnlich warmen Vorfrühling in Italien verführt, war man weiter nach Norden gegangen, trotzdem der Kurier sehr höfliche Warnungen ausgesprochen hatte. In Venedig war des Fürsten einziger jüngerer Bruder, Prinz Alexander Riantzew, in Oesterreich erzogen und augenblicklich beschäftigungsloser Legationssekretär, zu der Familie gestoßen, um sich ihr fortan anzuschließen und sich von den Anstrengungen des römischen Karnevals zu erholen.

Eine Zeit lang vergnügte man sich in Wien, dann ging es nach Berlin. Hier aber erlaubte sich der deutsche Frühling die Ungezogenheit, einen Rückfall in den Winter zu bekommen. Es fror über Nacht, es schneite, es regnete, es gab schneidenden Nordostwind und milchweiße feuchkalte Nebel; die jungen Triebe und Sprossen, die im Thiergarten an Busch und Baum hervorgekommen waren, verkümmerten beinahe und wagten sich nicht weiter.

Die Gesellschaft aus der Moldau war empört; man hatte eine ganze Flucht der schönsten Zimmer im Central-Hotel gemiethet und in diesen entfachten geschäftige Hände unaufhörlich knatternde Kaminfeuer – umsonst! Die Fürstin war verzweifelt und der Fürst entrüstet: man hatte doch Frühling im Kalender, wie wonnig war’s im Süden gewesen, und in diesem barbarischen Lande schneite man nun wie im Winter ein und fror förmlich an. Dazu die überlegen spöttische Miene des Kuriers, der beständig mit einem Gesicht herumging, das ziemlich deutlich sagte: „Ich habe das alles im voraus gewußt, aber man wollte sich ja nicht rathen lassen! – Wer nicht hören will, muß fühlen!“

Ohne weiteres würden die beleidigten Halbasiaten diesem schrecklichen Deutschland den Rücken gekehrt haben und wieder nach dem Süden gegangen sein, wenn nicht des Fürsten Lieblingstöchterchen, die kleine fünfjährige Mascha, eine gefährliche innere Entzündung bekommen hätte, die ein längeres Krankenlager im Gefolge hatte. Unmöglich, mit dem schwerkranken Kinde eine weite Fahrt zu machen! Als die Kleine endlich außer Lebensgefahr war, stellte es sich heraus. daß ein innerer Absceß eingetreten war, der die sorgsame Behandlung eines Spezialisten erforderte. Ein guter Bekannter des Fürsten, der zufällig in Berlin war, rühmte einen bedeutenden Hamburger Arzt, der in solchem Fall ein Sachverständiger ersten Ranges sei; sobald daher das kranke Kind die Reise ertragen konnte, siedelte die fürstliche Familie nach

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