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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

nur gebeugte Rücken von Herren und gleichsam in die Erde sinkende Damen. Und schon hoben die Geigen ihre lockende Weise an.

„Meine Lida hat den Herrn von Altendorn auf einem Spaziergang kennengelernt,“ ließ sich die Frau Amtmännin vernehmen, um zu entschuldigen, daß ihre Tochter mit einem Offizier tanze; denn man wußte damals bei einem solchen nie genau, ob er aus Abenteuerlust, um schiffbrüchiger Verhältnisse willen oder wegen bodenloser Armuth in den wenig angesehenen Stand gerathen sei. „Er hat ihr dabei einen Dienst erwiesen.“

Vielleicht wäre durch die mütterliche Angst aus dem Veilchenpflücken noch eine Lebensrettung geworden, allein die Lust am Tanz verhinderte die fromme Lüge. Der Herr Kandidat forderte sie zu einem Ehrentänzchen auf. Der Doktor chassierte kreuzfidel, wenn auch die Beine etwas knickend unter der langen Bratenweste hervorkamen, mit der Frau Pastorin davon, die auf der hohen Frisur noch einen Federputz trug, der in drei Stockwerken emporstieg.

Alt und jung, groß und klein traten zur Menuett auf dem Rondell an. Selbst des Pfarrers achtjähriges Lieschen breitete ihr safranfarbenes Röckchen zierlich gegen Schulmeisters kleinen Fritz aus, der im Besitz des ersten Haarbeutels feierlich auf sie zu stolzierte.

Wenn der Tanz eine Darstellung der Liebe in Fliehen und Nahen, in Schäkern und Schmollen und in endlicher zärtlicher Vereinigung ist, so war es eine gesunde frische Art der Liebe, welche das Brautpaar vorführte.

„Wenn ich nur nach dem alten Bücklingstanz noch ein ganzes Rückgrat habe,“ meinte Ehrhardt und verbeugte sich. „Was hat die Jungfer Naseweis zu lachen?“

Lotte machte mit impertinent gehobenem Kinn einen tiefen Knix. Es ist mir immer lächerlich, wenn ich vor dem Herrn Inspektor mich so tief verneigen soll.“ Und sie schwenkte sich an seiner Hand, daß ihr amaranthfarbiger Rock die Frau Subkonrektorin fast aus der Reihe fegte.

Anders faßte das junge Paar die Menuett auf. Schon die Art, wie der Lieutenant seine Tänzerin mit hochgehobener Hand auf ihren Platz führte, schien anzudeuten, daß er ihre Partnerschaft als hohes Glück angesehen haben wolle. Und wie er nun in leichtem Schritt vorging, an ihr vorüberglitt, wie ihre Augen festgehalten wurden durch seinen Blick, während sie auseinanderschwebten, darin sprach sich etwas aus, das über das lustige Heute hinausging. Immer in gemessenem Tempo, steigerte sich doch der Tanz des jungen Paares, zu dem die Herzen den Takt schlugen. Jetzt gingen sie auseinander; Lida versank, den Fächer entfaltend und in langer Verneigung von der schelmischen Anmuth zu tiefer Demuth übergehend, während er rückwärts schreitend die Hand mit leicht zusammengelegtem Daumen und Zeigefinger hoch hob, als richte er sich in zierlichem Uebermuth empor. Heiß glühten beider Wangen auf, als sie jetzt gehobenen Schrittes sich wieder nahten, um doch nur die Fingerspißen zusammenzufügen und sich in wohlabgemessener Entfernung zu umkreisen.

Mit scharfem Geigenstrich schloß der Tanz. Die Paare zerstreuten sich. Man nahm ein Schälchen Kaffee; die Herren schenkten mitgebrachten Malaga ein, die Frauen packten aus Körben handhohe Kuchenscheiben aus, die an die kleinen Mündchen der Töchter schwierige Aufgaben stellten, und die jungen Leute vergnügten sich in hergebrachter Weise.

Lotte machte einen abschreckenden Rundgang bei dem Dienstpersonal ihres Bräutigams, und dieser führte die Geistlichkeit an seine Erdäpfelbeete, um die neue Frucht ihrer Fürsprache zu empfehlen.

Auch Altendorn und Lida verließen das Rondell. Ohne Verabredung suchten sie die stilleren Wege auf. Sie hielt den Fächer schützend gegen die Strahlen der Abendsonne, welche durch die Zweige fielen. Von Zeit zu Zeit tauschten sie ein Wort über den weichen Zephyr, der an ihnen vorüber säuselte, über eine Goldammer, die auf der höchsten Spitze einer Hagebuche ihr letztes Liedchen sang.

So waren sie aus dem Garten des Gutes in den menschenleeren des Schlosses gelangt und, wie durch geheimen Zauber gezogen, sahen sie sich plötzlich wieder an dem Lieblingsplätzchen Lidas unter der Hängeweide. Wie sie dort von flüsternden, abgebrochenen Worten, leisen Seufzern, innigen Blicken zu den zusammengefügten Händen gekommen waren, wie Lida endlich, von Altendorns Arm umschlungen, an seiner Brust lag, wie sich zitternd, schüchtern die jungen Lippen zu einander fanden das hätte keines von ihnen zu sagen gewußt.

„Mein süßes Mädchen!“ flüsterte er. „Mein geliebtes Herz – ach, mein einziges Eigenthum! Aber wenn diese Hände auch arm sind, sie sollen Dich dennoch durch das Leben tragen.“

„Ich gehe mit Dir durch Noth und Tod.“

„Du glaubst an mich?“

„Wie an meinen Gott.“

In tiefer Rührung beugte er das Knie vor ihr. Und wie sie sich dann lange und tief in die strahlenden Augen sahen, da ging von Seele zu Seele das feierliche Gelöbniß, sich Liebe und Treue zu halten nicht nur für diese kurze Spanne Erdenzeit – nein für die ganze selige Ewigkeit.

Dann richtete er sich auf und sagte: „Es wird freilich nur ein einfaches Los sein, das ich Dir zu bieten vermag. In meiner jetzigen Charge kann ich nicht bleiben,“ fügte er hinzu, plötzlich sehr ernst werdend, „das verbieten gewichtige Gründe. Allein ich will mich zu dem Regiment versetzen lassen, das drüben in der Festung steht. Ein paar Lieutenants sind dienstuntauglich, man braucht Ersatz. Und an Anwärtern auf meinen Platz in der Leibgarde fehlt es nicht. Werde ich meinem lieben Mädchen auch noch gefallen, wenn ich aus dem schönen Rock in den schlichten dunklen geschlüpft bin?“

„Wird sich der Kavalier nicht sehnen nach dem Hof, den glänzenden Sälen, dem Lichtmeer der Feste?“

Ein langer Kuß machte das Nein, das auf jeder Lippe schwebte, überflüssig.

„Lida! Lida!“ klang es von fernher.

„Das ist Lottchen,“ sagte Lida, sich von der Bank erhebend. „O, sie muß zuerst unser Glück erfahren.“

Das junge Paar ging zurück. Es wurde wieder still auf der Stätte, wo eben zwei heiße Herzen sich für ewig gefunden hatten; nur die langen Zweige der Weide säuselten schwermüthig weiter, als hafte an ihnen eine Erinnerung an die Thränen, die nach des Psalmisten Worten vor Jahrtausenden ein seiner Heimath entführtes Volk vergoß, als es an den Wassern von Babylon saß und weinte und seine Harfen an die Weiden hing, die darinnen sind.

(Fortsetzung folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_646.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2023)