Seite:Die Gartenlaube (1891) 637.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Zu Theodor Körners hundertjährigem Geburtstag.

 „Wahrlich, Dich liebten die Götter, Geschiedener! Freundlich mit Liedern
      Kränzt’ in der Jugend schon liebend die Muse Dein Haupt.
 Und da Du nun auszogst begeisterungskühn zu dem Kampfe,
      Ward in der Stunde des Tods Dir noch ein gnädig Geschick;
 Denn Du stiegst in der Fülle der Kraft, in heiligem Muthe
      Schnell von dem tödlichen Blei schmerzlos zum Orkus hinab.“

Es waren gewaltige Zeiten, jene stürmischen Anfänge unseres Jahrhunderts. Europa wankte in seinen alten staatlichen Grundlagen; Deutschland vor allem ward durch den eisernen Druck des französischen Welteroberers bis in seine Tiefen erregt. Aber mitten in diesem Umsturz, in dem nichts mehr zu beharren schien, bereitete sich eine innere Neugeburt des deutschen Volkes vor. Der literarische Aufschwung, der nach der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts angebrochen war und in Lessing, Schiller und Goethe rasch die führenden klassischen Geister erhalten hatte – er fand im Zusammenhang mit jener Neubelebung des Volksbewußtseins gegenüber der Fremdherrschaft und dem nationalen Unglück patriotische Klänge, vaterländische Weisen. Das Morgenroth deutscher Einheit und deutschen Fühlens, das jetzt für uns zum lichten Tag geworden ist, war verheißungsvoll heraufgezogen, und Männer wie Arndt, Schenkendorf und Rückert begrüßten den werdenden Tag mit begeisterten Tönen. Keiner unter den vaterländischen Dichtern aber hat seine Muse feuriger und tapferer in den Dienst dieser großen Zeit gestellt als der Sänger von „Leyer und Schwert“, als Theodor Körner.

Für ihn, der am 23. September 1791 geboren wurde, verlief gleich die frühe Jugend unter dem Zeichen jener Erschütterungen, welche im Gefolge der französischen Revolution und der sich anschließenden Kämpfe auftraten; und als der poetische Genius des Jünglings eben die Flügel geregt hatte, da erklang auch schon am 3. Februar 1813 jener Aufruf Friedrich Wilhelms III., welcher Deutschlands Söhne zum entscheidenden Ringen gegen Napoleon aufforderte und den emporstrebenden Dichter in die Reihen der Lützowschen Freischar führte. So mußten für Theodor Körner die Kinder seiner Muse zugleich zu Kindern des Krieges werden, und es ist nicht zu verwundern, daß seine besten Lieder dem heißen Kampf für das Vaterland galten. Gefecht und Feldwache, einsame Stunden unter dem gestirnten Himmel, kühne Ritte durchs Land im hellen Sonnenschein – das alles ward ihm zum Gedicht in diesem mächtigen Spiel der Waffen, wo nicht nur in seiner eigenen Seele, sondern in jedem seiner Genossen jene echte Begeisterung lebendig war, welche das Letzte an die Freiheit des Volkes setzt. Karl Immermann, der Dichter des „Oberhofs“, welcher 1815 gleichfalls in den Kampf gegen Frankreich zog, schildert diesen Geist, der in Körner und in den Lützowschen Scharen lebendig war, bei Gelegenheit des Kölner Freiwilligenfestes am 8. Februar 1838 mit folgenden treffenden Worten:

0Körners Geburtshaus0
zu Dresden im Jahre 1791.

„Die Jugend und Frische des deutschen Gesammtlebens war in seinen zartesten Nerven von der Fremden-Ueberziehung angetastet worden; deutsches Denken, Sinnen und Dichten stand in Gefahr, mit der heimischen Sprache den fremden Lauten und dargeliehenen oder aufgedrungenen Geistesformen weichen zu müssen. Deshalb kämpfte die Blüthe der Jugend aus dem Hörsaal, der Kirche, dem Lehrstuhl, der Gerichtshalle so begeistert mit. Diese Jugend fühlte, daß das ganze Erbe unserer großen geistigen Ahnen und die Zukunft des Geistes, welche ihr anheim fallen sollte, auf dem Spiele stehe. Der Athem dieser Jugend durchdrang erfrischend das Heer, überallhin waren ihre Sprossen gepflanzt, nirgends aber stand der junge, grüne Hain so dicht, als in den Lützowschen Freischaren. Hier war der Student der Nebenmann des jungen Geistlichen; Aerzte, Künstler, Lehrer, Naturforscher, ausgezeichnete, zum Theil schon hochgestellte Beamte von besonderem Schwunge des Wirkens waren an die wenigen Kompagnien und Schwadronen vertheilt, welche zum Zeichen, daß alle Farben des deutschen Lebens erst wieder aufwachen sollten, das farblose Schwarz trugen. Unsere Sinnes- und Geistesart war gewissermaßen dort in einer gedrängten und übersichtlichen Gruppe nach ihren verschiedensten Formen sichtbar. Ein kühner, freisinniger Führer hielt diese eigenartigen Persönlichkeiten, diese wundersame Genossenschaft unter den schwierigsten Umständen in Sieg und Niederlage zusammen.

Die Freischar war die Poesie des Heeres, und so hat sie denn auch den Dichter des Kampfes in ihrem Schoße ausgetragen: Theodor Körner. Ein schönes, beneidenswerthes Leben! Indem er den Kriegsrock anzieht, streift er alles Schwache, Nachgeahmte seiner ersten Versuche ab; er ist ein Anderer geworden. Von Feldwache zu Feldwache, von Gefecht zu Gefecht quellen ihm Lieder zu, eigene, unnachgeahmte, unnachahmbare, welche die Nation zu ihren Schätzen zählt, er dichtet sein ‚Schwertlied‘, einen der höchsten Laute unserer Sprache. Da werben schon die Trompeten. Er wirft den Stift weg und ergreift sein Schwert, die Braut, welche er eben besungen: in der Fülle dieser Wonne, auf dem Gipfel solchen Glücks tritt ihn der Tod an, rasch, ohne daß er sein Antlitz gesehen hat, und die Brüder geben ihm den Feuergruß in die erkämpfte Gruft. Er fehlt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_637.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2023)