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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Theodor Körner.

Als schmachgebeugt das deutsche Land
Der Knechtschaft Kette trug,
Da war dein Lied der Feuerbrand,
Der in die Herzen schlug,

5
Der Flamme gleich, die sturmgejagt

Empor zum Himmel loht:
Frisch auf, mein Volk, im Norden tagt
Der Freiheit Morgenroth!

Und von der eig’nen Töne Gluth

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Das junge Herz berauscht,

Hast mit dem Schwerte kühngemuth
Die Leier du vertauscht,
Den Kranz, den um die Stirne dir
Schon früh die Muse wand,

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Mit einer blut’gen Lorbeerzier

Im Tod fürs Vaterland.

O Heldenblut, du edle Saat,
Aus der die Freiheit sprießt,
Wenn es in freier Opferthat

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Aus freiem Herzen fließt,

Du bahntest uns den Weg zum Sieg
In mancher heißen Schlacht,
Und deinem heil’gen Quell entstieg
Des Deutschen Reiches Macht!

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Und ruft uns der Trompete Schall

Auf neue Kriegesbahn,
Dann schwebt ihr theuren Schatten all
Dem kühnen Zug voran!
Ob dich auch drohend rings umschleicht

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Der Feinde List und Trug,

Frisch auf, mein Volk, die Hölle weicht
Vor solcher Geister Flug!
 Carl Hecker.




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Ein Götzenbild.

Roman von Marie Bernhard.

      (2. Fortsetzung.)

5.

Die table d’hôte, welche mit aller Gewandtheit großstädtischer Verhältnisse von statten ging und eine Reihe vortrefflich bereiteter Speisen aufwies, gewährte Andree eine wohlthuende Zerstreuung. Er war einer guten Tafel nicht abgeneigt, war in diesem Punkt in Rom durchaus nicht verwöhnt worden, und die berühmte Hamburger Küche sagte ihm ausnehmend zu. An viele Ausländer war er von Rom her freilich gewöhnt, doch hatte er sie nur gesehen, kaum gelegentlich einmal mit ihnen gesprochen, da er im ganzen sehr eingezogen lebte und sich auf den Verkehr mit seinen Freunden und ein paar römischen Familien beschränkte. Hier nun saß er mitten in einem Gemisch von Vertretern der verschiedensten Nationalitäten, ein angeregtes Gespräch kam in Gang, und Andree unterhielt sich vortrefflich. Als er nach aufgehobener Tafel in bester Stimmung die Treppe emporstieg, beschloß er, diese gute Laune zu benutzen, und sogleich Hilt aufzusuchen. Die Marmorbüste hatte er sorgfältig in seinen Kleiderschrank eingeschlossen, und er hoffte, der Zimmerkellner werde sie sich nicht gar zu genau betrachtet haben.

Als der Maler vor die Thür seines Gasthofs trat, hatte der Regen nachgelassen, und eine weiche, feuchte Lenzluft wehte ihn an. Er hatte gar keine Lust, sich wieder in einen dumpfigen Wagen zu setzen, und beschloß, den Weg zu Hilt, dessen Wohnung er aus dem Adreßbuch erfahren hatte, zu Fuß zurückzulegen.

Dies sollte ihm nicht so ganz leicht gemacht werden, denn es war ein ziemlich verwickelter Weg, der zur Katharinenstraße führte, und Andree hatte das Vergnügen, an jeder Straßenecke still zu stehen und sich nach seiner Marschrichtung zu erkundigen. Es fing inzwischen an zu dämmern, und mit erstaunten Augen blickte der Suchende jetzt um sich. Bisher war ihm Hamburg ungefähr wie jede andere Großstadt erschienen, nun aber, da er sich dem Gebiet des Hafens näherte, mußte er sich gestehen, daß diese Stadt denn doch ihr ganz eigenartiges und höchst anziehendes Gepräge habe. Welch ein buntes Drängen und Treiben! Als hätte ein gewaltiger Würfelbecher alle Völker der Welt durcheinandergerüttelt, so wechselten in verblüffender Schnelligkeit die Trachten, die Gesichter und die Sprachen. Neger, Spanier, Franzosen, Amerikaner, Russen, Deutsche – alles bei einander! Und Matrosen … Matrosen, wohin das Auge sah! Vierschrötige Holländer, den Kautabak im Munde, lange Schweden mit breiten, blonden Gesichtern, phlegmatische Engländer und kleine dunkle Spanier – sie alle schlenderten mit ihrem wiegenden Gang, meist die Hände in den Hosentaschen und das Pfeifchen zwischen den Lippen haltend, durch das Gewühl, und beinah jeder hatte denselben sichern selbstbewußten Ausdruck, der sagen wollte: hier bin ich der Herr! Hier ist der Seemann zu Hause und die andern sind nur geduldet!

Staunend hatte Andree sich treiben lassen und fand sich plötzlich am Kehrwieder-Quai, ziemlich weit von seinem Ziel entfernt. Doch kümmerte es ihn wenig, er ließ sich von einem Hafenpolizisten genau den Weg nach der Katharinenstraße beschreiben und war nach einer geraumen Weile an Ort und Stelle.

Man hatte mittlerweile die Gasflammen, da und dort auch elektrisches Licht, entzündet; das Haus, vor welchem der Maler jetzt stand, ein hohes etwas engbrüstig aussehendes Gebäude von vier Stockwerken, war ebenfalls fast durchweg hell erleuchtet. Im dritten Stock war neben einer dichtverhängten Glasthür ein kleines Porzellanschild angebracht: „F. Hilt.“ Weiter nichts.

Andree besann sich, während er die Glocke zog, ob Hilt und er sich damals in München – fünf oder sechs Jahre mochten seitdem vergangen sein! – mit Du oder Sie angeredet hätten, allein er konnte zu keinem Ergebniß kommen und beschloß, Hilts Anrede abzuwarten und sich danach zu richten.

Er hätte noch viel mehr beschließen können, man ließ ihm reichlich Zeit dazu! Die Glocke hatte schrill und vernehmlich angeschlagen, dennoch mußte er ein zweites und drittes Mal läuten, ehe ihm endlich aufgethan wurde.

Ein junger Mensch mit hoch emporstrebendem Haarwuchs erschien endlich und führte den Besucher in ein kleines, spärlich möbliertes Vorzimmer, in dem eine helle Lampe brannte. An der dem Eintretenden gegenüberliegenden Wand hing nur ein einziges Bild: der Kopf eines Mannes, fast in Lebensgröße, der dem Beschauer mit höhnischem Blick die Zunge entgegenstreckte. Dem Maler schien es, als sehe der Kopf Hilt ähnlich; jedenfalls entsprach diese höfliche Art der Begrüßung seinem früheren Wesen, er schien sich also nicht sehr geändert zu haben.

Nach ein paar Minuten that sich die Thür des Nebenzimmers auf, und Hilt zeigte sich auf der Schwelle. Ganz der Alte! Dieselbe kleine unansehnliche Figur, der ruhelose kluge Blick, die beweglichen Lippen unter einem dürftigen Bärtchen. Das Haar war noch mehr gelichtet als vorher, und die frühen Runzeln um Augen und Wangen hatten sich vermehrt. Er trug ein fadenscheiniges Röckchen von dunklem Stoff und gelbe Lederschuhe an den Füßen.

„Wer ist denn dieser Riese Goliath?“ murmelte er leise vor sich hin und blinzelte zu Andree herüber, dann schlug er sich mit der Hand auf den Schenkel.

„Hallo! Nun hab’ ich’s! Der lange Andree, Waldemar mit dem Taufnamen, nicht wahr, Waldemar? Aber was ich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_630.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2023)