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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

hohen Stimmen wie athemlos, nur Lotte fuhr tapfer mit ihrem kräftigen Alt fort:

„Traurig folgen meine Blicke
Deiner stillen heitern Bahn –“

und ebenso kräftig stimmte plötzlich eine tiefe Baßstimme ein:

„O, wie hart ist das Geschicke!“

Es war der eintretende Herr Inspektor, der in dem zimmetbraunen, mit zierlichen Nesteln besetzten Rock, dem fein gefältelten Jabot und den Manschetten sich sehr „honorig“ ausnahm, wie Lotte sich befriedigt gestand. Er grüßte mit geschwenktem Hut, und ohne Unterbrechung sangen die vier jungen Stimmen weiter:

„Daß ich Dir nicht folgen kann“

mit allen den weichen schwungvollen Schnörkeln, welche jene Zeit in der Musik wie in allen Gegenständen liebte. Allmählich schob sich dabei der neue Ankömmling so ein, daß er eine Wand zwischen Lotte und dem Lieutenant bildete. Dieser merkte es nicht. Aber Lotte hatte Mühe, zu Ende zu singen vor heimlichem Lachen.

„Also hier sind der Herr Lieutenant?“ fragte Ehrhardt. „Sie waren schnell von der Kegelbahn verschwunden.“

Lotte hörte die heimliche Gereiztheit heraus. „Der Herr hat uns das Vergnügen gemacht,“ unterbrach sie ihn und zog ihren Charmanten am Aermel. Ehe der junge Offizier ein Wort zu sprechen vermochte, war der Inspektor in Lottes Fensternische verschwunden.

„Die Demoiselle hat ja gesungen wie eine Nachtigall,“ brummte er, „ich hab’s bis in den Garten gehört; da konnte sie freilich nicht am Quittenspalier sein.“

„Wie hätte ich zum Quittenspalier gehen können,“ erwiderte Lotte muthwillig, „da ich doch die Erdtoffeln kochen mußte, die der Herr Inspektor schickten und mit denen wir den Gast traktiert haben? Sie waren deliciös.“

Er zog die Stirn kraus. Seine Erdäpfel hatte der fremde Kriegsknecht in Gesellschaft seiner Herzallerliebsten verzehrt, für den hatte sie gekocht und war deshalb nicht zum Stelldichein gekommen. „Lotte!“ drohte er.

Sie kicherte vergnügt. „Ich glaube, der Herr Inspektor ist jaloux. Das kommt nur von den Erdäpfeln, das sind eigentlich Zankäpfel. – Nein, es wird nicht nach dem Rohrstock gegriffen und fortgestapft! Hier still gestanden und mir in die Augen gesehen!“ Die Ausführung dieses Befehls zog sich in die Länge. Es wurde still in der Nische bei dem Arbeitskorbe und dem Kochbuch.

Drüben an dem andern Fenster stand das zweite Paar und sah in den Abendhimmel hinein. In dem lichten Glanz, den die untergegangene Sonne hinterlassen hatte, schwamm die Mondsichel wie ein silberner Kahn, der einem glückseligen Hafen zusteuert.

„Mademoiselle lieben also auch Musik,“ sagte er, „und Sie haben dasselbe Lieblingslied wie ich; ich blase es auf der Flöte.“

„Das muß himmlisch sein,“ flüsterte sie.

„Wenn ich doch Mademaiselle Lida einmal begleiten dürfte!“ Er sprach den Namen schüchtern, aber zugleich mit unendlicher Zärtlichkeit aus. „Darf ich wiederkommen?“ fragte er kaum hörbar.

„Ja,“ antwortete sie und blickte ihm in die Augen.

Da beugte er zum Dank das Knie und küßte ihre zitternden Finger.

„Es ist ja ganz dunkel in der Stube!“ Die Frau Amtmännin trat mit dem guten Zinnleuchter ein, von dem aus die Unschlitkerze einen kleinen Lichtkreis verbreitete. Aus der einen Nische kam der Inspektor ganz verlegen zum Vorschein; aus der andern trat geräuschlos der Lieutenant. Sie stand verwundert in der hohen Dormeuse vor ihnen.

Die beiden jungen Männer entschuldigten ihr langes Verweilen und empfahlen sich.

„A revoir!“ flüsterte der Offizier, als er sich vor Lida tief verneigte. Der Amtsbote verschloß das mit Eisen beschlagene Thor hinter den scheidenden Gästen.

„Lotte, ein andermal zündest Du Licht an, wenn Herren zum Besuch da sind,“ befahl die Mutter, als die jungen Mädchen ihr „Gute Nacht“ boten. Die Schwestern eilten, daß sie über die winkelige Wendeltreppe hinauf in ihre Schlafkammer kamen. Lotte bereitete alles zur Nachttoilette vor. Während sie von dem Scheitel das Polster hob, über das die blonden Haare empor gethürmt waren, zog sie die Augenbrauen bedenklich zusammen. „Ich glaube, ich habe einen dummen Streich gemacht.“

„Wann?“ fragte Lida erstaunt.

„Eben, heut!“ war die ungeduldige Entgegnung. „Ich hätte den Offizier nicht einladen sollen.“

„O, Lottchen!“

„Und ich hätte mich auch mehr zurückhalten sollen gegen Ehrhardt,“ fuhr sie fort und bürstete den Puder mit Macht aus ihrem Haar.

„Aber Lottchen, Ihr habt Euch doch Liebe und Treue geschworen!“

„Nun ja, das mag noch sein,“ meinte die Schwester niedergeschlagen. „Einen Kuß in Ehren kann niemand wehren. Dein Lieutenant jedoch ist mir hinterher schwer aufs Herz gefallen.“

„Mir nicht,“ entgegnete Lida heiter. „Er ist der edelste beste Mensch von der Welt.“

„Wer hat Dir denn das gesagt?“

„Die innere Stimme, die mir immer auch sagt, wenn ich mir nicht zu helfen weiß: Lottchen wird schon Rath schaffen!“

Lotte drückte sie gerührt auf den Schemel vor dem kleinen, mit Musselin umkräuselten Toilettentisch und begann, ihr die langen Locken auf Papilloten zu wickeln. „Sieh! Ehrhardt gehört dem Nährstande an, der kann einen häuslichen Herd gründen. Aber die Soldaten – das ist nur der Verzehrstand, die können keine Frau erhalten.“

Lida schüttelte den Kopf. „Würdest Du Deinen Ehrhardt weniger lieben, wenn er nicht dem Nährstand angehörte?“

Die Schwester stand verdutzt. „Das weiß ich wahrhaftig nicht. Ich kann mir ihn nur denken zwischen Wagen mit Getreidesäcken und Bottichen voll Butter und Käse. – Ach!“ fuhr sie unmuthig auf, „welche überflüssigen Fragen Du immer thust, die einen nur ängstigen! Gute Nacht!“ Ein leichtes Schnarchen wie das gemüthliche Schnurren der Hauskatze tönte bald von ihrem hohen Federbett her.

Lida lag schlaflos mit weit geöffneten Augen auf den weichen Kissen. Sie wiederholte sich jedes Wort, das der junge Offizier gesprochen hatte, rief sich den Klang seiner Stimme zurück, sein schönes Gesicht mit den zärtlichen Augen. – So sah sie in die Nacht hinaus, wo längst der rosige Schein verglommen, das Mondschifflein untergegangen war und nun Stern um Stern hinter den schwarzen Festungsthürmen hinabsank.

(Fortsetzung folgt.)



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