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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Blätter und Blüthen.

Eine elsässische Bauernhochzeit. (Zu dem Bilde S. 601.) So verschiedenartig unter unseren deutschen Volksgenossen die Sitten und Gebräuche bei Hochzeiten sind, gewisse Züge, solche, die weniger auf Aeußerlichkeiten, als auf dem rein menschlich-natürlichen Empfinden beruhen, die kehren überall wieder. Den glückstrahlenden Bräutigam, die sittig verschämte Braut, die herzlich sich mitfreuenden Verwandten und Freunde, die jubelnde Jugend, die zwischen Trennungsschmerz und Mutterstolz schwankende Brautmutter, den behäbig ernsten Brautvater, sie finden wir auf allen deutschen Hochzeiten und überall da, wo der Kern der Bevölkerung ein dentscher ist. So auch auf unserem Bilde, das uns eine elsässische Bauernhochzeit aus den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts darstellt. Schon sind sie alle bei einander, die Freunde und Gevattern, und harren in heiterer Unterhaltung unter der mächtigen Holzgalerie des Hofes der Dinge, die da kommen sollen. Jetzt tritt er heran an die Treppe, der festlich geputzte Bräutigam, und die zierliche Braut legt, die Augen schüchtern niederschlagend, ihre Linke in seine dargebotene Rechte, damit er sie zur Kirche führe. Die Mutter hält zwar noch ihr Sacktüchlein in der Hand, mit dem sie sich an diesem Tage wohl schon mehr als einmal über die Augen gefahren ist, aber aus diesen Augen blitzt jetzt doch ein befriedigter Blick über das Töchterlein hin, welches sie heute hinausgiebt aus ihrem mütterlichen Schutze. Der junge Bruder unter dem Fenster erhebt ein solch tosendes Jubelgeschrei, daß die Schwester drinnen sich die Ohren zuhalten muß, draußen im Hofe aber ruht, offenbar in sachverständiger Verwaltung, ein stattliches Stückfaß Wein, den Hahn im Spundloch, Gläser, Becher und Krüge daneben – also auch an diesem „deutschen Zug“ fehlt es nicht.

Der Spion. (Zu dem Bilde S. 608 u. 609.) Der Krieg ist furchtbar grausam! Wohl hat das Völkerrecht der Gegenwart ihm allmählich manche Milderung aufgezwungen, die vordringenden Heeressäulen sind keine Banden von Räubern und Mordbrennern mehr, der friedliche unbewaffnete Bewohner ist vor Gewaltthat sicher, Plünderung wird nach Kriegsrecht strenge bestraft. Der uniformierte Soldat, der mit List und Gewandtheit sich an die feindliche Linie heranschleicht, ihre Stellung erforscht, ihre Pläne erlauscht, er ist, wenn entdeckt, einfacher Kriegsgefangener und wird als solcher mit allen Ehren behandelt.

Aber der Krieg kennt noch eine andere Klasse von Kundschaftern als diese. Unter tausenderlei unverdächtigen Vorwänden, in immer wechselnder bürgerlicher Verkleidung treiben sie sich zwischen den kämpfenden Gegnern hin und her, um werthvolle Nachrichten zu erhaschen und sie ihrem Auftraggeber zu hinterbringen. Nicht immer ist schnöder Eigennutz die Triebfeder ihres Gewerbes. Oft sind es glühende Patrioten, die auf diesem gefährlichen Wege ihrem Vaterlande Dienste zu leisten suchen. Ja, es ist ein gefährlicher Weg. Denn ihnen bietet das Völkerrecht keinen Schutz, rechtlos und vogelfrei sind sie, wenn sie dem Gegner in die Hände fallen, auf ihrem Gewerbe steht der Tod – und es wird ihnen noch ein gutes Ende, wenn mitleidige Kugeln ihn vollstrecken und nicht der Strick.

Und das weiß auch der Mann auf unserem Bilde, das eine Episode aus dem letzten Deutsch-französischen Krieg darstellt. Als ein bedauernswerthes Opfer seiner Vaterlandsliebe ist er den deutschen Truppen in die Hände gefallen. Fröstelnd sitzt er da, während der Schein der Laterne seinen Schatten gespenstisch groß an die Wand des kalten Kellergewölbes wirft, in das man ihn verbracht hat und an dessen einziger Thür zwei deutsche Ulanen ihn bewachen. Starr blicken seine Augen gerade aus. Hinter seiner gefurchten Stirn stürmen und toben die trüben Gedanken, die Bilder von Heimath, von Weib und Kind, die er verlassen muß, vom Vaterlande, dem nun auch sein Tod nichts helfen soll.

Und draußen in der Stube sitzen die Offiziere und prüfen mit Spannung die Papiere des Gefangenen: oft ist ja schon durch abgefaßte feindliche Spione der eigenen Heeresleitung wichtige Kunde zugekommen. Dann aber wird ein Kommando von ein paar Mann den Unglückseligen nach dem nahen Hauptquartier verbringen – ein Kriegsgericht tritt zusammen, um das Urtheil zu sprechen über den Spion.

Das Scheffel-Denkmal in Heidelberg.
Nach einer photogr. Aufnahme aus der Kollektion Edm. von König in Heidelberg.

Das Scheffel-Denkmal in Heidelberg. Fünf Jahre sind es her, seit Scheffel dahingegangen ist, der feinsinnige Dichter, welcher es verstand, den Ernst wie den Humor deutschen Gemüthes in seinen Werken wiederzuspiegeln und einen feuchtfröhlichen Klang bei gutem Trunke dreinzugeben. Seinen Tagen war keine allzulange Dauer beschieden, aber im „Ekkehard“ und im „Trompeter“, in seinen Liedern lebt er fort; in den dankbaren Herzen derer, die ihm so manche Stunde poetischen Behagens und gehobener Jugendlust verdanken, erneut sich seine Muse.

Es war keine leichte Aufgabe, diesen Mann mit der ausgeprägten Eigenart des Wesens und Schaffens in einem Denkmal treffend darzustellen: da durfte nichts von jener steifsinnigen Art zu bemerken sein, in der nicht wenige Dichterdenkmäler gehalten sind; frisch wie tiefes Jugendempfinden und frei wie tüchtige Manneskraft, so mußte Scheffel in seinem Standbild uns entgegentreten, wenn wir in ihm den wiedererkennen sollten, dessen geistige Gestalt uns vor der Seele schwebt. Das am 11. Juli dieses Jahres auf der Schloßterrasse zu Heidelberg enthüllte Denkmal überzeugt uns, daß die Lösung jener Aufgabe der künstlerischen Hand von Professor Heer in Karlsruhe auf wohlthuende, charakteristische Weise gelungen ist. Als Wanderer hat Scheffel so gern das Land durchzogen, da sind vor ihm die poetischen Pläne und Gestalten aufgestiegen, da hat er gefühlt, was er im Lied der fahrenden Schüler zu übermüthigem Ausdruck brachte – die deutsche Lust an sonniger Pirsch durch Berg und Wald. Als Wanderer ist er darum auch vom Künstler dargestellt worden: kraftvoll steht er vor uns in der derben Tracht, und doch gemahnt die ganze Haltung, daß dichterische Träume mit dem Wanderer ziehen.

Die Stadt, deren Bild und Zauber Scheffel so gerne genoß und dankbar durch seine Dichtung verklärte, hat in diesem Denkmal sein Andenken aufs anziehendste verkörpert. Und wenn in lauer Frühlingsnacht die Geister aus ihrem Schlaf erwachen, wenn Perkeo im Schloßkeller drunten seine tiefe Weisheit hören läßt und der Trompeter seine kecke Huldigung singt zu Ehren der Markgräfin, der „schönsten der Frauen“, wenn von unten her aus studentischem Mund das Lied erklingt:

„Alt Heidelberg, du feine –“,

dann geht wohl auch ein Hauch vom Geiste des Dichters durch das noch in der Zerstörung stolze Schloß, wo sein Standbild ragt.

Der Gartenlaube-Kalender für das Jahr 1892 erscheint demnächst, Bestellungen darauf werden schon jetzt in den meisten Buchhandlungen angenommen. Dieser neue, siebente Jahrgang des Kalenders wird sich den früheren würdig anreihen. Die beliebten Erzählerinnen der „Gartenlanbe“, W. Heimburg und Stefanie Keyser, zu denen sich A. G. v. Suttner gesellt, sorgen für anmuthige und spannende Unterhaltung. Belehrende Beiträge aus der Feder anerkannter Autoritäten sollen die Aufmerksamkeit des Lesers fesseln, dessen Auge überdies durch zahlreiche Illustrationen von hervorragenden Künstlern erfreut wird. Die vielen als werthvoll erprobten Tabellen zum Nachschlagen für das praktische Leben fehlen ebenfalls nicht und auch dem Humor ist es vergönnt, sein närrisches Scepter zu schwingen. Nach außen hin zeigt sich der Kalender wiederum in dem bekannten hübschen rothen Röcklein, in dem er sich die Jahre her so viele treue Freunde erworben hat.




Inhalt: Ein Götzenbild. Roman von Marie Bernhard. S. 597. – Verheißungsvolle Sprößlinge. Bild. S. 597. – Eine elsässische Bauernhochzeit. Bild. S. 601. – Gut verwendete Millionen. Eine Mahnung zur Linderung sozialer Noth. Von Schmidt-Weißenfels. S. 603. – Das Los des Schönen. Erzählung aus dem achtzehnten Jahrhundert. Von Stefanie Keyser. S. 605. Mit Abbildungen S. 605 und 607. – Tragödien und Komödien des Aberglaubens. 607. – Der Spion. Bild. S. 608 und 609. – Blätter und Blüthen: Eine elsässische Bauernhochzeit. S. 612. (Zu dem Bilde S. 601.) – Der Spion. S. 612. (Zu dem Bilde S. 608 und 609.) – Das Scheffel-Denkmal in Heidelberg. Mit Abbildung. S. 612. – Der Gartenlaube-Kalender für das Jahr 1892. S. 612.




manicula 0 Hierzu Kunstbeilage X: „Traumverloren“. Nach dem Gemälde von K. von Bodenhausen.




Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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