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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Bratspieße“ genannt wurden. Und wie er das Haupt hob, so leicht und trotzdem nicht übermüthig! Und welch ein liebes schönes Gesicht er hatte! Sie war stehen geblieben und blickte ihm entgegen wie einer Erscheinung aus einer anderen Welt.

Dann aber erröthete sie tief über diese Bewunderung des Fremden, sie drehte sich wie der Wind und war auf dem alten Weg schon wieder jenseit der Hecke, als der junge Mann in ihre Nähe kam. Allein dieser hatte die lichte Erscheinung schon bemerkt. Er zog den dreieckigen Hut von dem gepuderten Haar, das in einen langen Zopf endigte, und sprach: „Wollen Mademoiselle verzeihen, wenn ich sie anrede? Und darf ich helfen den ‚Potpourri‘ füllen? Der Rasen hier außen erscheint gleich einem blauen Tuch, so dicht stehen die Veilchen!“

„Wenn Monsieur so gütig sein will,“ flüsterte sie mit einer Verneigung.

Er blickte sie noch einmal an, als könne er sein Auge nicht abwenden von der reizenden Gestalt, die auf dem mit Maßliebchen bedeckten Rasenteppich stand wie eine Dryade so zart, so schön. Dann zog er den Stulphandschuh aus und pflückte Veilchen. Zuerst sammelte er sie in seinen kleinen Hut und reichte diesen über den mit Blüthenschnee bedeckten Weißdorn hinüber, und während sie die Blumenköpfchen herauslas, um sie in den Glaskrug zu streuen, sah er sie unverwandt an. Dann pflückte er ein Sträußchen und, den Hut unter dem Arm, bot er dasselbe ihr mit lächelnder Verbeugung an. Sie nahm es aus seinen Fingern, die Spitzen berührten sich und beide wurden roth, beide schauten zugleich auf und in die Augen ihres Gegenübers.

Wie sanft waren seine Augen! Das schwarze kecke Schnurrbärtchen, die hochgeschwungenen dunklen Brauen, die dem Gesicht ein so vornehmes Gepräge gaben, konnten den Eindruck nicht aufheben von einer tiefen fast wehmüthigen Herzenswärme, die aus den großen blauen Sternen strahlte.

„Nun, was beliebt dem Monsieur?“ ertönte eine frische Stimme, und Lotte kam eilig aus dem Spalier von Quitten heraus, das den Weg nach dem Amtshaus einfaßte.

„Ich erlaubte mir, Mademoiselle Veilchen zu sammeln, da sie hier außen häufiger blühen als im Garten,“ sagte der Fremde, sich abermals verbeugend.

Lotte faßte ihr Kleid an beiden Seiten, setzte einen Knix in das junge Gras und erwiderte: „Natürlich; dort ist mehr Sonne. Aber woher kommt der Monsieur?“

„Aus der Festung.“

Sie schüttelte den Kopf. „Die Offiziers dort haben doch andere Röcke?“

„Excusez, Mademoiselle,“ sagte er. „Ich bin Lieutenant bei der Leibgarde des Herrn Landgrafen und nur für einige Zeit aus Hochdesselben Residenz mit meinem Obersten nach der Festung kommandiert, um das dortige Regiment zu inspizieren und zu kompletieren.“

„Gehört zu dem Regiment auch unser Amt?“ lachte Lotte.

Eine Röthe stieg in sein Gesicht. „Um Vergebung, ich bin wohl lästig gefallen,“ sagte er betreten. Und mit einem letzten halb schüchternen, halb sehnsüchtigen Blick auf Lida und einer höflichen Verbeugung wollte er zurücktreten.

Lida hatte unbewußt die Hand ausgestreckt, als wolle sie ihn halten. Sie blickte ihre Schwester vorwurfsvoll an.

„So war es nicht gemeint,“ lenkte diese ein, da sie nun einmal daran gewöhnt war, der schwachen zarten Schwester jeden Wunsch an den Augen abzusehen. „Ich fragte nur: ‚Woher? Wieso?‘ Das ist in Amtshäusern Brauch.“

„O, Mademoiselle sind ganz in Ihrem Recht,“ entgegnete er rasch, wenn auch immer noch eine Röthe auf seinen Wangen lag. „Ich bin sehr dreist gewesen. Allein es war staubig und öde auf der Kegelbahn, wohin die Kameraden gingen. Ich rauche nicht gern Tabak und goutiere das Bier nicht; der Weg am Garten hin erschien in der Abendsonne so verlockend. Dann sah ich Mademoiselle und glaubte, ihr einen kleinen Dienst leisten zu können. Noch einmal: ich bitte um Vergebung!“

„Da ist nichts zu vergeben,“ entschied Lotte. „Ja, in der inneren Wirthschaft da drüben ist nicht alles, wie es sein sollte, man spürt, daß keine Frau da ist. Na, die bekommt etwas aufzuräumen! Aber da Monsieur nicht bis dahin warten kann, so lade ich ihn ein“ – sie machte nochmals ein Knixchen – „zu einem Gericht Erdäpfeln. Haben Sie schon die neue Frucht aus Amerika gespeist?“

Der Offizier zögerte einen Augenblick; doch als Lida ihn gespannt ansah, nahm er mit einem, wie Lotte sich gestand, sehr feinen „très humle“ die Einladung an. Er schaute sich nach einem Eingang um, indessen das große Thor war fest geschlossen. Lida bekam schon Angst, daß bei einem Umweg nach dem Eingang die Kegelbahngesellschaft den Offizier abfangen könne; doch Lotte half.

„Dort ist ja das Loch im Weißdorn, wo ein Mann schon durchkriechen kann,“ sagte sie und wurde dunkelroth. Sofort schlüpfte der Fremde wie ein Aal herein.

„Du kannst ja den Monsieur einstweilen an Dein Lieblingsplätzchen führen,“ fuhr Lotte fort, „während ich die Eltern benachrichtige, daß wir heut einen Gast haben – und“, setzte sie in Gedanken hinzu, „wenn es Schelte giebt, sie auf mich nehme.“ Sie eilte zurück.

(Fortsetzung folgt.)




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Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Mittel, Regen zu erhalten. – Hexenprobe. – Scheintot. – Die Jalwallahs.

Es giebt kein fruchtbareres Feld für den Aberglauben als die Gebiete, auf denen die menschliche Abhängigkeit von den unwandelbaren Gesetzen der Natur so recht eindringlich zum Ausdruck kommt. Was vermag der Landmann, der für seine Ernte bangt, über Wind und Wetter, über Regen und Sonnenschein? Nichts! Was vermag der geschickteste Arzt gegen die tödliche Krankheit? Wenn es viel ist, eine kurze Fristverlängerung für das kämpfende Leben. So alt aber die Sorge um das Gedeihen des Ackers, des Fruchtbaums, so alt das Bangen vor dem Tode, so alt ist das Suchen nach übernatürlichen, abergläubischen Mitteln, um auf die Geister des Regens und des Sonnenscheins Einfluß zu gewinnen, das bleiche Gespenst des Todes von der Schwelle des Hauses zu bannen. Und hier wie überall gilt es: je größer die Noth, je unbedingter die Ohnmacht des Menschen, desto krasser die Mittel, desto toller das Aufbäumen gegen den unfaßbaren, unheimlichen Gegner; und hier wie überall gilt es: je tiefer der

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