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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ein langwieriges Werk! Denn den ganzen Sommer hindurch mußte von jeder duftenden Blumenart ein Theil in den Topf gesammelt werden, damit man dann im Winter durch Lüften des Deckels die feinsten Wohlgerüche im Zimmer verbreiten konnte. Mit den Veilchen wollte Lida heute den Anfang machen.

Am Spargelbeet schürzte Lotte sorgfältig den strohgelben Rock, zog die Bänder der weiten hellen Schürze fest um das dunkelgrüne mit großen Stahlknöpfen besetzte Kamisol und begann so emsig die weißen Köpfchen in der dunklen Erde zu suchen und heraus zu graben, daß ihr das blonde, gepuderte und zu hohem Toupet gethürmte Haar in die Stirn rutschte.

„Nichts lustigeres giebt es als Spargel stechen und Eier abnehmen, immer hat man eine Ueberraschung!“ sagte sie.

„Soll ich Dir helfen?“ fragte Lida.

„Ach, das bringst Du mit Deinen Fingerchen doch nicht fertig,“ meinte lachend die Schwester. „Pflücke Du nur Deine Veilchen!“

Lida ließ die großen Augen, die, so dunkel sie waren, doch eitel Licht auszustrahlen schienen, über die Beete gleiten. Sie war schlanker, zarter als ihre Schwester, und so erschien auch ihre Tracht feiner, obgleich das blaßblaue Miederchen, der Rock von geblümtem Kattun nicht kostbarer waren. Auf dem schwarzen hochfrisierten Haar lag der Puder wie ein zarter Reif, und die zwei dadurch versilberten langen Locken, die auf das fein gefältelte Halstuch herabfielen, stachen wundersam ab gegen das nur leise gefärbte jugendliche Gesichtchen.

„Ach! alles ist umgegraben und mit Kohl bepflanzt, mit Erbsen und Bohnen besteckt!“ seufzte sie.

Lotte richtete sich auf. „Wie es in einer ordentlichen Wirthschaft vonnöthen ist.“ „Hüh! Hott!“ – Peitschenknallen schallte über die altersgraue Mauer. Sie horchte. „Da kommt der Herr Nachbar vom Markt zurück,“ fuhr sie dann fort. „Wie wohl sein Geschäft mit dem Roggen ausgefallen ist? Er hatte eine große Geldkatze umgeschnallt, als er wegritt.“

Lida lächelte. „Hast Du auch das gesehen? Natürlich, was den Herrn Domäneninspektor angeht, das muß Amtmanns Lotte wissen.“

Die Schwester antwortete nicht. Einen raschen Blick warf sie in die Runde, dann sprang sie nach der Leiter, die der Vater beim Anbinden der Weinstöcke gebraucht hatte und die noch an der Mauer lehnte. Im Vorbeilaufen pflückte sie von einem Beet ein rothes Tulipänchen und ein gelbes Himmelschlüsselchen und steckte sie auf die höchste Spitze ihrer Frisur, so daß beide keck herabnickten. Jetzt klommen die Stöckelschuhe die Leitersprossen hinauf, und ihr frisches Apfelgesicht erschien über der Mauer.

„Zu Ihren Diensten, Demoiselle,“ ertönte im selben Augenblick drüben eine kräftige Männerstimme; der Besitzer derselben mußte die Mauer scharf im Auge gehabt haben, während er vorüber ritt.

„Sehr obligiert, Herr Nachbar!“ antwortete sie und musterte die geleerten Wagen, welche nebenan in den Wirthschaftshof der herrschaftlichen Domäne einfuhren. „Nun, ist der Handel gut gegangen?“

„Wie die Demoiselle sieht. Der Proviantmeister drüben“ – er deutete nach der am Horizont aufsteigenden Festung – „hat alles aufgekauft. Es soll viel Soldatenbrot gebacken werden.“ Er zuckte die Achseln. „Na meinetwegen! Es ist ja nicht bei uns. Und die herzogliche Kammer wird zufrieden sein, wenn sie den Erlös einstreicht.“ Er schlug auf die umgeschnallte Geldkatze, daß es klirrte.

„Da springt wohl auch für den Herrn Inspektor ein Vortheil heraus?“ fragte Lotte gespannt.

„Wie sich’s gebührt!“

„Vielleicht bewilligt der Herr Kammerpräsident als Recompense für das klug ausgeführte Geschäft ein Stück Weizenland zur Nutznießung?“ meinte Lotte.

„Als Recompense,“ entgegnete der junge Landwirth bedächtig, „werde ich mir etwas anderes ausbitten: das Stück sandigen Boden droben vor dem Wald.“

Dem Mädchen blieb der kleine hübsche Mund mit dem Grübchen auf der Unterlippe offen stehen. „Ehrhardt!“ stieß sie endlich heraus.

„Ja, ja!“ bekräftigte er gelassen. „Dort würde die neue Frucht aus Amerika, der Erdapfel, gut gedeihen; und auf den setze ich ein großes Vertrauen. Die Demoiselle versteht das nicht. Die Erdäpfel tragen reichlich Frucht, nehmen mit schlechtem Boden fürlieb und reifen zur rechten Zeit. Wie oft fällt in den Waldbergen der Schnee auf den Hafer und verdirbt die liebe Feldfrucht! Die Erdäpfel könnten wohl den ewigen Hungersnöthen steuern.“

„Für arme Leute will der Herr Inspektor das seltene Gartengewächs ziehen?“ fragte Lotte und lachte unmuthig auf. „Für dieses Geschäft bedanke ich mich, wie für die ganzen Erdtoffeln.“ Sie kletterte so rasch herab wie ein Eichhorn.

„Dazu hat die Demoiselle auch Ursache,“ war die ruhig gegebene Antwort von jenseit der Mauer; dann trabte der schwere Gaul draußen weiter.

Lida hatte lächelnd zugehört. „Wenn Ihr Euch immer so zankt, wird es lange dauern, ehe ich Dir von meinem Myrthenbäumchen den Brautkranz schneiden darf. Mir wäre es zwar schon recht, wenn Du immer bei uns bliebest.“

Lottes große blaue Augen hefteten sich mit unendlicher Zärtlichkeit auf die jüngere Schwester. „Ich gehe ja nur ein paar Schritte weit von Dir weg,“ tröstete sie. „Aber sieh!“ fuhr sie in belehrendem Tone fort, „einmal will jede heirathen, und der Inspektor Ehrhardt ist ein Mann in Amt und, wenn nicht gerade in Würden, so doch in Brot, in vorzüglichem Brot. O, er kann’s auch weiter bringen! Er kann Domänenrath werden! Wenn ich ihm nur erst die verrückten Erdtoffeln ausgeredet hätte!“

Lida lachte, aber Lotte fuhr eifrig fort: „Zu nächstem Quatember kommt der Herr Kammerpräsident hierher; da denkt Ehrhardt, daß er sich verbessern wird, und dann können wir dem Vater unser Vorhaben kundthun und um seinen Segen bitten.“

Lida sah sie erstaunt an. „Wann habt Ihr das beredet?“

„Gestern,“ murmelte Lotte und bückte sich tief auf ihr grabendes Messer. „Ich holte die Milch selbst, und dann sah ich mir den Kuhstall an – weißt Du, ich habe die vielen bunten Kühe so gern – und da kam er und erzählte mir die Geschichte. Aber sage kein Wort zu Hause! Sonst spricht der Vater von allem, was möglich sein könnte, und sucht unter jedem Versprechen eine Fallthür und in jedem Wort einen Haken, an dem man vielleicht hängen bleibt. Ach, die Justiz ist ein schreckliches Ding. Ich lobe mir den Landbau.“ Das Spargelbeet war abgesucht und nun witterte Lotte förmlich mit ihrem Stumpfnäschen in die Luft. „Ich möchte doch noch einmal sehen, was Ehrhardt thut – ob er böse ist.“ Und sie kletterte abermals die Leiter hinauf.

„Lotte, was ist das für eine Aufführung! Gehört ein Mädchen auf eine Leiter?“ Die Mutter war unbemerkt herangekommen.

„Ich – ich wollte,“ stotterte die Ueberraschte verlegen. „Da drüben von der Festung kommt nämlich eine Chaise herüber. Es ist der hochräderige Rumpelkasten des Platzmajors, und er ist voller Hüte mit Plumagen.“

„Es werden Offiziere sein, die auf der Gutskegelbahn Kaffee trinken wollen. Steig herab! Das Soldatenvolk braucht Dich nicht anzugucken.“

„Ach, Sie können ruhig sein, Mama,“ meinte Lotte, „die Lieutenants, die zuweilen herüberkommen, haben anderes zu thun, als mich anzugaffen. Den einen plagen seine sechs Kinder, den andern zwickt das Zipperlein in seinen sechzigjährigen Beinen.“

„Solche Leute sind gar nicht der Rede werth,“ entschied die Mutter. „Ich wollte Dir sagen, Lotte, daß der Herr Inspektor einen Korb voll Erdäpfel geschickt hat. Es wären die letzten vom vorigen Jahr. Wir wollen sie zum Abendbrot verspeisen.“

„Erdäpfel?“ rief Lotte. „Da muß ich gleich in die Küche; die kann niemand kochen als ich, das sind eigensinnige Gewächse. Gießt man das Wasser zu früh ab, so bleiben sie hart wie Seifenstückchen, sieden sie zu lange, so zerfallen sie.“ Und sie eilte der Mutter voraus zu ihren Erdtoffeln, den gefüllten Spargelkorb am Arm. Ihr Geschäft war gethan; die Schwester hatte noch nicht ein einziges Veilchen gepflückt.

Lida ging dem großen Grasgarten zu, dessen blühender Weißdornzaun sich an die zerfallende Mauer anschloß. Dort waren vielleicht die bescheidenen Blümchen zu finden, allein sie entdeckte nur wenige kaum erschlossene Knospen, während sie über die Hecke weg am Rain draußen Blüthe an Blüthe bemerkte. Rasch entschlossen schlüpfte sie durch eine Lücke des Geheges, und als sie erst im Freien war, wandelte sie die Lust an, am Garten entlang ein bißchen zu promenieren. Sie kam bis ans große geschlossene Gartenthor, da hielt sie plötzlich an. Auf dem Pfade, der von der Kegelbahn heraufführte, schritt leichten Ganges ein junger schlanker Mann. Sah der nicht aus wie ein Märchenprinz? Sein pfirsischblüthenfarbener Rock mit Silberstickerei und veilchenblauen Aufschlägen zeigte militärischen Schnitt; für diesen Stand sprachen auch die hohen weißen Gamaschen, und die Schärpe bezeichnete ihn als Offizier. Auch sein Degen war eine ernsthaftere Waffe als die Galadegen der anderen Standespersonen, welche von diesen selber spöttisch

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