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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ihn schon bei seinen ersten akustischen Forschungen interessiert. Ueber die Bewegungsgesetze der Wirbel hat er bereits im Jahre 1858 theoretische Untersuchungen angestellt und deren Resultate in einigen einfacheren Fällen durch den Versuch bestätigt.

Der Naturforscher Dove hatte nachgewiesen, daß der ewige Wechsel unserer Witterungsverhältnisse auf dem gegenseitigen Verdrängen kühler trockener Polarwinde und warmer feuchter Aequatorialwinde beruht. In einem Vortrage über Wirbelstürme und Gewitter (1875) setzte nun Helmholtz die mechanischen Verhältnisse der Windbewegungen näher auseinander. Später zergliedert er mathematisch die atmosphärischen Bewegungen und kommt zu der Ansicht, daß die wesentlichste Hemmung der Cirkulation der Atmosphäre nicht sowohl in der Reibung an der Erdoberfläche, sondern vielmehr in der Vermischung verschieden bewegter Luftschichten unter Bildung von Wirbeln zu suchen ist. Am Cap d’Antibes hat er noch 1889 Beobachtungen über „die Energie der Wogen und des Windes“ angestellt, woraus sich ergiebt, daß erst bei länger andauerndem Winde dieser nach und nach einen Theil der Energie seiner unteren Schichten an das Wasser abgiebt. Es entstehen dabei Wellensysteme von verschiedener Länge, durch deren Zusammenwirken (wie bei Entstehung der Kombinationstöne) stationäre Wellen von großer Länge und Fortpflanzungsgeschwindigkeit gebildet werden. Dabei kann der Wind so lange neue Energie an die Wasserwellen abgeben, als seine Fortpflanzungsgeschwindigkeit diejenige der Wellen übertrifft.

Die Blitze erklärt er in dem obenerwähnten Vortrage etwa so: Die Erde ist dauernd mit (vermuthlich negativer) Elektricität geladen. Luft und Wasserdampf (nicht Nebel) sind Isolatoren (Nichtleiter) für die Elektricität. Erst wenn die Wassermassen der Wolken, zu herabstürzendem Regen vereinigt, einander so nahe kommen, daß Funkenentladung von Tropfen zu Tropfen möglich wird, bilden sie einen gewaltigen Sammler, in den nunmehr aus dem Erdboden mächtige Funken, die Blitze, überschlagen können. Der Regen folgt für die Erdbewohner dem Blitze, weil er viel mehr Zeit zum Fallen braucht als die Elektricität zur Entladung. Es ist durchaus nicht unglaublich, daß eine Feuersbrunst, oder der Kanonendonner einer Schlacht ein Gewitter herbeiziehen kann. Wenn der Zustand unsicheren Gleichgewichts in der Atmosphäre nur erst vorbereitet ist, kann jeder Umstand, der einen ersten kleinen Theil der feuchtwarmen Luftmasse zum Aufsteigen bringt, wie der Funken im Pulverfasse wirken und die Hauptentladung nach der Stelle dieser ersten Störung hinlenken. Es ist nicht zu hoffen, daß wir das Wetter zu berechnen imstande sein werden. Denn hier können kleine Fehler im Ansatze sehr große Fehler im Endergebnisse bewirken, weil bewegliches Gleichgewicht der Atmosphäre sich einmischt.

Kein Gebiet der Naturbeobachtung ist dem Meister fremd, und „wo er’s packt, da ist’s interessant“. Noch vor kurzer Zeit hat er seinem inneren Auge Aufmerksamkeit gewidmet und gefunden, daß die Netzhaut seines Auges im Dunkeln genug Licht aussendet, um ihn bewegte Gegenstände (seine Arme) bemerken zu lassen. Welch schönes Gleichniß für den Mann, der im Lichte seines Innern die dunkle Außenwelt erkennt!

Es hat diesem reichen Gelehrtenleben nicht an äußerer Auszeichnung gefehlt. Der deutsche Kaiser verlieh dem Forscher im Jahre 1883 den erblichen Adel. Das Deutsche Reich rief im Herbste 1887 eine physikalisch-technische Anstalt für exakte Naturforschung ins Leben, nachdem Dr. Werner von Siemens, der weltbekannte Gelehrte und Elektrotechniker, zu diesem Behufe eine Schenkung von einer halben Million Mark in Kapital oder Grundwerth zu Charlottenburg gemacht hatte. Diese Anstalt besteht aus zwei Abtheilungen, einer rein wissenschaftlichen und einer wissenschaftlich technischen. Die erstere ist eine Arbeitsstätte zur Förderung der Wissenschaft selbst. Hier sollen namentlich solche für den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt nothwendige Arbeiten ausgeführt werden, welche besonders geeigneter Räume, kostbarer Apparate und hervorragender Arbeitskräfte bedürfen. Die zweite Abtheilung soll der Technik stetig wissenschaftliche Methoden und Hilfsmittel zuführen und sie auf der Höhe der naturwissenschaftlichen Kenntniß erhalten. Zum Präsidenten der Anstalt wurde seitens des Reichs Professar Helmholtz berufen, welchem zugleich die spezielle Leitung der ersten Abtheilung vorbehalten blieb.

Seither hat Helmholtz den Lehrstuhl der Physik und die Leitung des physikalischen Instituts der Universität Berlin abgegeben, und seinen Wohnsitz nach Charlottenburg bei Berlin verlegt, ist jedoch als ordentlicher Professor im Universitätsverbande geblieben und hält Vorlesungen über Kapitel der theoretischen Physik.

Ein Leben, ernstester Arbeit gewidmet, und darum ein köstliches Leben liegt hinter dem Jubilar. Aber neben strenger Wissenschaft hatten stets auch die Künste und die Naturfreunde Raum in seiner großen Seele. Zumal der Musik ist er ein verständnißvoller und hingebender Freund. Seit er mit seiner geistvollen Gemahlin, der Tochter des berühmten Heidelberger Staatsrechtslehrers Robert von Mohl, sein neues Amthaus in der Wilhelmstraße zu Berlin bezogen hat, versammelt sich dort an den Empfangsabenden ein Kreis von bedeutenden Männern und Frauen; hervorragende Musiker entzücken daselbst oft die auserwählte Zuhörerschaft.

Im Herbste wendet der große Naturforscher als Naturgenießender seine Schritte am liebsten zur großen Alpenwelt im Engadin. So fest und nüchtern sein Geist im Zergliedern der Vorgänge und Gedanken ist, so weitet sich ihm sein Gemüth beim Anblicke der Naturschönheiten. Das hat er selbst bekannt in dem Trinkspruche, welchen er bei der fünften Säkularfeier der Universität Heidelberg zu Ehren der Stadt ausbrachte. Als Naturforscher, sagte er, wolle er die Schönheit der Stadt betrachten, und dann fuhr er fort: „Ist es ein Zufall, daß von diesen grünen Hügeln aus der geistige Blick des Menschen zum ersten Male in die unermeßlichen Welträume gedrungen ist, mit der Einsicht, wie die chemische Natur der Weltkörper zu entziffern ist, ein Unterfangen, welches unmittelbar vorher noch als die abenteuerlichste Unmöglichkeit hätte erscheinen müssen? Ich glaube das Gegentheil. Etwas vom Schauen des Dichters muß auch der Forscher in sich tragen. Freilich ist letzterem wirksame und geduldige Arbeit nöthig, um das Material zu sichten und bereit zu machen. Aber Arbeit allein kann die lichtgebenden Ideen nicht herbeizwingen. Diese springen wie die Minerva aus dem Kopfe des Jupiter, unvermuthet, ungeahnt; wir wissen nicht, von wannen sie kommen. Nur das ist sicher: dem, der das Leben nur zwischen Büchern und Papier kennengelernt hat, und dem, der durch einförmige Arbeit ermüdet und verdrossen ist, dem kommen sie nicht. Die Empfindung von Lebensfülle und Kraft muß da sein, wie sie vor allem das Wandern in der reinen Luft der Höhen giebt. Und wenn der stille Frieden des Waldes den Wanderer von der Unruhe der Welt scheidet, wenn er zu seinen Füßen die reiche üppige Ebene mit ihren Feldern und Dörfern in einem Blicke umfaßt und die sinkende Sonne goldene Fäden über die fernen Berge spinnt, dann regen sich wohl auch sympathisch im dunklen Hintergrund seiner Seele die Keime neuer Ideen, die geeignet sind, Licht und Ordnung in der inneren Welt der Vorstellung aufleuchten zu machen, wo vorher Chaos und Dunkel war.“ – –

Um das Lebenswerk des Jubilars voll zu würdigen, um seinen allgemein menschlichen Seiten und ihren Beziehungen zu seiner wissenschaftlichen Bedeutung gerecht zu werden, dazu müßte man ein ansehnliches Buch schreiben; uns war es nur vergönnt, andeutend einiges Hauptsächliche hervorzuheben. Die Naturforscher beider Hemisphären feiern in diesen Tagen den Gelehrten; eine goldene Medaille ist zu seinen Ehren gestiftet worden, welche alljährlich dem Würdigsten unter den ihm Nachstrebenden verliehen werden soll. Als offizieller Festtag ist von dem Komitee, das sich zur würdigen Begehung desselben gebildet hat, der 2. November festgesetzt worden. Auf diesen Tag sind noch fernere Ehrenbezeigungen dem Gefeierten zugedacht.

Mögen dann alle Freunde echter Geistesbildung, namentlich im deutschen Volke, dem großen Wohlthäter desselben den Lorbeer reichen mit dem innigen Wunsche, daß uns sein Geist noch lange erleuchte in thatkräftigem Leben!



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_595.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)