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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Zum Gratulieren,“ wiederholte er feierlich. Die Sache war nämlich so: kurz vor dem Nachtisch hat der Herr Professor Eberhard einen kleinen Trinkspruch gehalten und gesagt, er freue sich, daß sein lieber Freund Claudius endlich doch noch unter die ‚Fröhlichen‘ gegangen sei, und er hoffe, die heutige, so überaus gelungene gesellige Vereinigung werde nicht die letzte im schönen, alten Claudiushause sein. Darauf nickte unser Doktor ihm zu – sie schienen ein bißchen im Einverstädniß – und erhob gleichfalls das Glas. Er meinte, es sei ihm eine große Freude, heute seine nächsten und besten Freunde um sich versammelt und mit der Umgestaltung seines äußeren Lebens einverstanden zu sehen. Ebenso sicher erhoffe er nun auch ihre Billigung hinsichtlich der Umwandlung seines inneren Menschen, welche der anderen vorangegangen sei und ihnen nun, im Vertrauen auf ihre freundschaftliche Antheilnahme, geoffenbart werden solle. Er habe sich nämlich, um nicht in die alte Duckmäuserei zurückzufallen, einen Schutzgeist, eine treue und verständnißvolle Lebensgefährtin ausgewählt. Hier that die Frau Professor Eberhard einen kleinen Schrei, doch der verhallte ziemlich ungehört unter dem allgemeinen Stuhlrutschen. Unser Doktor aber nahm das fremde Fräulein bei der Hand und stellte sie als seine Braut vor. Sie hatte Thränen in den Augen und lächelte dazu und stand ganz still, während die andern um sie herumliefen, durcheinander sprachen und mit ihr anstoßen wollten. Als endlich jedes wieder an seinem Platze saß, kam ich mit der Torte und stellte sie gerade vor das Brautpaar hin. Das Fräulein bemerkte den Amor zuerst. ‚Wie niedlich er ist!‘ sagte sie. ‚Hast Du den kleinen, geflügelten Schelm eigens für heute bestellt, lieber Ernst?‘

‚Nein, gnädiges Fräulein Braut,‘ antwortete ich statt unseres Doktors, der den Amor lächelnd betrachtete – ‚er ist, wenn Sie gütigst gestatten, eine kleine Huldigung von unserer Haushälterin!‘

‚Ja, aber wußte denn die –?‘

‚Nein, gnädiges Fräulein Braut,‘ antwortete ich mit dem gleichen, edlen Anstande – ‚sie wußte nichts, aber sie ahnte etwas. Frauen haben ja in solchen Sachen einen besondern Ahnimus! Und so wollte sie denn in dieser jedermann verständlichen Sprache ihren Glückwunsch darbringen, der aus aufrichtigem, wenn auch tiefbetrübtem Herzen kommt!‘“

„O, Herr Amadeus, wie himmlisch!“ schluchzte die Mertens.

Er lächelte geschmeichelt. Nun, himmlisch wohl gerade nicht, aber ganz gut muß ich gesprochen haben, denn sie lächelten beide. ,Warum betrübt?‘ fragte das Fräulein, sich nach mir umwendend. Dann schien sie sich zu erinnern, unser Doktor mußte ihr die Geschichte erzählt haben.

‚Möchtest Du nicht vergeben, Ernst?‘ fragte sie halblaut. ‚Es sollte heute in Deinem Hause nur fröhliche Herzen geben! Und schließlich –‘ hier sprach sie ganz leise, aber ich erlauschte es doch, freilich ohne den Sinn ihrer Worte zu verstehen – ‚schließlich war ja auch an der Klatschgeschichte nicht alles böswillige Erfindung. Die Kamerunerin hat’s ja doch ausgemacht.‘

Da lachte der Doktor sehr vergnügt. ,Sei es denn,‘ sagte er – und dann, zu mir gewendet: ‚Theilen Sie der Mertens mit, daß alles vergeben und vergessen sein soll.‘

‚Mit Freuden, Herr Doktor!‘ erwiderte ich, verneigte mich wie in meiner Glanzzeit auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, und ging stolz durch die Mitte ab.“

„Ach, Herr Amadeus, Herr Amadeus!“

„Wischen Sie sich das Gesicht ab und gehen Sie grad so wie Sie aussehen mit zum Gratulieren. Verweinte Augen machen sich bei Familienfesten niemals schlecht und gehören nach dem Vorangegangenen noch besonders zu Ihrer Rolle.“

„Verlobung! Verlobung in Hermannsthal! Wer hätte das gedacht!“ sagte die Mertens. Dann gingen sie miteinander hinauf.

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„Wer hätte das gedacht!“ sagte auch Frau Edith, als sie im Hermannsthaler Jagdwagen durch den sternenklaren Sommerabend heimfuhren. „Diese Martina – was für ein absonderlicher Name! – ist ja ein recht nettes Mädchen, aber … ja wunderst Du Dich denn wirklich gar nicht ein bißchen, Mann?“

„Nicht ein bißchen. Warum auch? Eine Verlobung ist doch das natürlichste Ding der Welt. Nur Ihr Frauen seid immer erstaunt, wenn Ihr’s nicht ein paar Monate vorher schon ausgetiftelt habt.“

„Unausstehlicher Mann! … Aber höre ’mal, Du bist doch auch der Ansicht, daß diese Geschichte schon lange spielt, nicht erst seit Wochen?“

„Das weiß ich wirklich nicht zu sagen, Mäuschen. Erinnere Dich, wie schnell wir einander fanden. Ein Tanzkränzchen, eine Landpartie und die Sache war fertig.“

„Ach ja, wir hatten damals ebenso schönes Sommerwetter wie heute! Ich trug noch lange Zöpfe und Du warst noch so hübsch schlank!“

Die Erinnerung stimmte Frau Edith ganz weich. „Möchten die Hermannsthaler so glücklich werden, als wir es sind,“ sagte sie, vergewisserte sich, daß der Kutscher sich nicht umblicke, und schnitt jede Gegenäußerung ihres Eheherrn durch einen unhörbaren, aber sehr nachdrücklichen Kuß ab. –

„Wer hätte das gedacht!“ sagte ganz Kronfurth, als mit der Abendpost die Verlobungskarten ankamen. Niemand hatte ja dasjenige, was hier unabänderlich gedruckt stand, auch nur im entferntesten geahnt, und einer lief zum andern, um sich Gewißheit zu holen, da er seinen eigenen Augen nicht traute. Als Sophie Adler die Neuigkeit erfuhr, schlich sie sich sachte davon, in den dunkelnden, einsamen Stadtpark. Dort weinte sie ungesehen und ungehört ihr Herzeleid aus. Nicht, daß sie sich ernstliche Hoffnungen gemacht oder auch nur allzukühne Träume geträumt hätte, aber – „daß es gerade so kommen, und daß es so bald, so plötzlich kommen würde, wer hätte das gedacht!“ –

Des Doktors „Lebensroman“ war mit der Verlobung nicht zu Ende. Das vermeintliche Schlußkapitel bildete vielmehr den Anfang zu einer neuen, ungeahnten Fülle von Lebensglück, zu einer neuen Lebensgeschichte, die auf jedem Blatt vom echten Frieden der Liebe zu erzählen wußte. Walter von Grollmann machte sich des Doktors Beispiel zu nutze, er ließ nicht nach, bis auch er seine Else heimführen durfte, und auf der Rückkehr von der Hochzeitsreise machte er mit seiner Frau wirklich seinem Versprechen gemäß eine Woche Rast in Hermannsthal. Dort fanden die beiden alles in schönster Eintracht; das Band, welches den Doktor mit Gerlach verknüpft hatte, war durch die Heirath nur noch fester geworden. Die „wohlthuendste Harmonie“ aber bestand, wie Amadeus dem Lieutenant versicherte, zwischen ihm und dem Professor Ronald. Und er hatte nicht ganz unrecht. Ronald hörte die Theatererinnerungen und philosophischen Betrachtungen des ehemaligen Komödianten gerne an und verrieth sogar für die Einzelheiten der „Nachteule“ eine wohlwollende Theilnahme. Da Amadeus gut und fließend schrieb, durfte er für den Professor bisweilen Manuskripte abschreiben, woraus ihm sowohl geistig als praktisch ein hübscher Gewinn erwuchs.

„Heute bin ich wieder den ganzen Nachmittag nicht vom Pegasus heruntergekommen,“ pflegt er nach solchem Arbeitstage mit wichtiger Miene zu seiner Vertrauten Mertens zu sagen, mit der er ebenfalls in ungetrübter Harmonie verbleibt. „Ja, ja, meine Liebe, es ist etwas Großes und Schönes, aber keineswegs etwas Leichtes, Mitarbeiter eines bedeutenden Gelehrten zu sein!“ Und dann rückt die gute Mertens, welche eine unklare, aber sehr grauenhafte Vorstellung von besagtem Pegasus besitzt, im Sturmschritt mit einem Imbiß für die erschlafften Lebensgeister ihres Freundes und Gönners heran. – – –

Im Aristoteles-Zimmer, dem Schreibtisch des Doktors gegenüber, hat sich Frau Martina ein anmuthiges Arbeitsplätzchen eingerichtet und über diesem prangt, jetzt unter Glas und Rahmen, das Bild der Kamerunerin. Jedermann weiß, daß dieses kleine Scheusal in irgend einer Beziehung zu des Doktors Herzensgeschichte steht, aber niemand wagt, die Sache zur Sprache zu bringen. Nur die vorlaute Nelly hatte eines Tages danach gefragt, als die Sonne das braune Antlitz durch ihr bewegliches Spiel gerade wie lebendig erscheinen ließ und dadurch die Neugier der Kleinen erweckte. Und der „Onkel Doktor“ hatte ihr folgende bemerkenswerthe, späterhin in Kronfurth von Haus zu Haus gehende Antwort gegeben:

„Mein liebes Kind, das ist eine sehr gute Freundin von mir! Eine höchst achtungswerthe Dame, welcher ich viel – ja eigentlich mein ganzes Lebensglück verdanke!“

Natürlich sind Nelly und die Kronfurther durch diese Antwort nicht klüger geworden.



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