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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Neuigkeit wie eine Bombe in das neugierige alte Nest hineinplatzen soll!" – –

Die Mertens hatte Migräne, und noch dazu am Vortage der ersten Mittagsgesellschaft in Hermannsthal. Auf morgen hatte ihr Herr seine alten Freunde, die Eberhards und den Direktor feierlich zu Tisch geladen, und dazu jemand ganz Fremdes, die Familie Ronald vom Lindenhaus draußen. Und nun mußte sie unthätig hier auf dem Sofa in ihrem Stübchen sitzen und sich die Stirn mit Essigtüchern kühlen, statt in der Küche nachzusehen. Aber so geht’s, Unglück kommt nicht allein!

Der schöne Amadeus war auf ein paar Minuten heruntergekommen, um nach ihrem Ergehen zu fragen, und saß nun mit gleichfalls umwölkter Miene ihr gegenüber am Tische. Seine Beziehungen zu der Mertens hatten seit Weihnachten eine noch wärmere Art angenommen, seit Weihnachten, wo ihn die Gute mit selbstgestrickten Pulswärmern und Ueberziehschuhen überrascht hatte. „So einer wie Sie, Herr Amadeus, denkt nicht an seine leibliche Wohlfahrt,“ hatte sie gefühlvoll dabei bemerkt – „deshalb braucht so einer einen andern, der ein weibliches und fürsorgliches Auge auf ihn hat!“

Das war sehr richtig, und deshalb trauerte der schöne Amadeus; denn die brave Mertens sollte das Haus verlassen. Allerdings, sie hätte vorsichtiger sein und dasjenige, was er im Vertrauen mit ihr besprach, für sich behalten müssen, statt es ihren Freundinnen in der Stadt auf die Nase zu binden; aber du lieber Himmel, sie hatte es doch gar nicht böse gemeint und nun war’s einmal geschehen! Man muß auch verzeihen können! Der Doktor hätte der Mertens nicht gleich kündigen sollen, als er erfuhr, daß die Geschichte von der Kamerunerin von ihr ausgegangen sei. Seitdem that sie nichts als weinen, bis ihre Augen ganz entzündet und verschwollen waren.

„Das geht nun nicht länger so,“ begann heute der schöne Amadeus. „Es ist nicht zu bestreiten, daß sich der Herr Doktor uns gegenüber – ich sage ‚uns‘, da ich mich gleichfalls einigermaßen schuldig fühle – im Rechte befindet, ebenso wenig aber, daß er bisher allezeit ein überaus nachsichtiger und gütiger Gebieter gewesen ist. So will ich es denn unternehmen, ihm die ganze Sache noch einmal, vom Gefühlsstandpunkt aus, vorzustellen!“

„Das heißt, Sie wollen ein gutes Wort für mich einlegen, Herr Amadeas?“

„Gerade das, meine Liebe. Sie waren mir immer wohlgesinnt, erwiesen mir manchen Freundschaftsdienst, und so wäre ich wirklich froh, bei dieser Gelegenheit meine Dankesschuld in etwas abtragen zu können.“

„O, Herr Amadeus, wie gut Sie sind! … Wenn ich daran denke, daß ich aus diesem schönen, behaglichen Leben fort soll, das drückt mir mein Herz ab! Eine solche Küche mit solchem Prachtherde krieg’ ich mein Lebtag nicht wieder! Ach, und all das andere –!"

„Unsere netten Plauderabende bei Punsch und Kartenlegen zum Beispiel!“

„Erbarmen Sie sich, Herr Amadeus! Daran darf ich schon gar nicht denken!“

„Im Gegentheil! Sie sollen daran denken und sich aufraffen, statt ohne weiteres die Flinte ins Korn zu werfen! Statt zu weinen und sich zu grämen, sollten Sie nach Ihrem Zauberstabe greifen!“

„Nach – was, Herr Amadeus?“

„Nach dem Kochlöffel, wenn Ihnen das besser einleuchtet. Das ist Ihr Zauberstab, dessen Macht Sie morgen zeigen müssen. Sie sollten alles dran wenden, unsern Doktor und seine Gäste durch die glänzendsten Leistungen auf dem Gebiete der Kochkunst in Erstaunen und gute Laune zu versetzen! Dann wäre der Augenblick da, wo meine Fürsprache die rechte Würdigung und vermuthlich auch Erhörung finden könnte!“

Die Mertens hörte auf zu weinen und schleuderte ihre Stirnbinde in eine Ecke. Der Vorschlag des schönen Amadeus schmeichelte ihrem Selbstgefühl und stachelte ihren Ehrgeiz an.

„Was für ein Segen ist es doch, einen so klugen und gebildeten Rathgeber zu besitzen!“ sagte sie mit begeistertem Aufblick zur Zimmerdecke. „Ich werde Ihnen folgen, Herr Amadeus! Ich werde thun, was in meinen Kräften steht, und das übrige dem Himmel und Ihnen überlassen! Was meinen Sie zu einer feinen Hühnerpastete?“

„Dazu darf ich bei meiner Unwissenheit in der Küchenkunst gar nichts meinen, liebe Freundin. Es hieße, mit ungeschickter Hand in Ihre zarten Kombinationen eingreifen!“

„Reichen Sie mir das Kochbuch von der Kommode herüber, Herr Amadeus, wenn Sie so gütig sein wollen,“ sagte sie mit einer gewissen Feierlichkeit als Antwort auf diese feine Schmeichelei. „Ich bin noch etwas schwach auf den Füßen, aber seien Sie ohne Sorge: Philippine Mertens kennt ihre Pflicht! So, ich danke Ihnen. Nun werden wir den Speisezettel zusammenstellen. Nach der Suppe natürlich Forellen mit frischer Butter. Darauf käme dann meine delikate Hühnerpastete. Zum jungen Gemüse –“

Der schöne Amadeus erhob sich. „Ich möchte die Einzelheiten der Speisekarte lieber heute noch nicht hören, sondern mich morgen davon überraschen lassen,“ meinte er artig.

„Wie es Ihnen beliebt. Eins aber könnten Sie mir noch zu Gefallen thun, Herr Amadeus. Ich habe da vorgestern bei meinen Wirthschaftseinkäufen in Kronfurth einen Zucker-Amor im Schaufenster des Konditors gesehen; den könnten Sie mir verschaffen. Ich möchte ihn auf die Torte setzen. Er hält ein durchstochenes Herz in der Hand und paßt für alles.“

„Schön, Fräulein Mertens; soll bestens besorgt werden. Der Einfall ist nicht ohne Poesie, hoffen wir, daß er unserm Doktor das Herz rührt.“ – –

Als die Mittagsgesellschaft recht im Zuge war – der schöne Amadeus trug eben mit Hilfe des in eine Livree gesteckten Gärtnerburschen den vierten Gang auf – machte sich die Mertens einen Augenblick in der Küche los und stellte das Hilfsmädchen an ihren Platz. Sie mußte unbedingt einen verstohlenen Blick in den Speisesaal thun; hatte doch Amadeus eigens zu diesem Zweck die Thür hinter sich ein Ritzchen weit aufgelassen.

„Sehen Sie sich nur unseres Herrn neue Bekanntschaft gut an, Fräulein Mertens,“ hatte er vorhin mit wichtiger Miene gesagt – „der alte Herr ist nämlich ein berühmter Schriftsteller!“

„Ah! So einer, wie Sie einer werden wollen, Herr Amadeus?“

„Ganz richtig, meine Liebe. Auch seine Damen scheinen moralischen Werth zu besitzen. Die ältere bemerkte vorhin, es gehe hier alles so regelrecht zu, wie ihr das in einem unverheiratheten Haushalte noch niemals vorgekommen sei.“

So stand nun die Mertens an der Thürspalte und freute sich über ihre geschmackvolle Festtafel, zu deren Ausschmückung allerdings der freundliche Sommer mit seinem Blüthenreichthum das beste gethan hatte, über die gut aussehenden Speisen, die fröhlichen Gesichter und den sichtlichen Appetit aller Gäste. Die neuen Bekannten des Herrn gefielen auch ihr, besonders das Fräulein im schwarzen Spitzenkleide, mit den blaßrothen Rosen an der Brust. Auch Doktor Claudius hatte heute eine Rosenknospe im Knopfloch; er sah sehr stattlich aus und strahlend von Fröhlichkeit. Die Unterhaltung ging flott und heiter, Eberhards und Herr Gerlach schienen mit der fremden Familie bereits recht gut Freund zu sein.

Nachdem die Mertens ihre größte Neugierde befriedigt hatte, schlüpfte sie wieder in die Küche hinunter. War doch der Augenblick nicht mehr fern, wo man zum Nachtisch gelangen, wo der schöne Amadeus mit Takt und Geschick die Torte auftragen und den Amor mit dem durchstochenen Herzen ins rechte Licht setzen würde! Die Mertens bekam eine Gänsehaut und plötzlich wurde ihr so schwach, daß sie in ihr Stübchen gehen und einen Likör nehmen mußte. Die Karten lagen auf dem Tische; sie griff danach und begann eilig die gewohnte Figur zu legen. Hier! Hier stand es wieder, was sie schon einmal herausgelesen hatte: Veränderung im Hause! Während sie so angelegentlich mit der Enthüllung der Zukunftsräthsel beschäftigt war, trat der schöne Amadeus ins Zimmer.

„Wo stecken Sie denn, Fräulein Mertens? Ist Ihnen nicht gut?“

„Nur ein bißchen schwach, Herr Amadeus.“

„Ach was, jetzt ist keine Zeit zum Schwachsein! Auf, der Doktor will alles vergeben und vergessen sein lassen. Ja, ja, ohne Spaß. Aber es ist besser, Sie versparen sich die Rührung bis später, denn der Anstand erfordert es, daß Sie jetzt mit mir hinaufgehen, zum Gratulieren.“

„Zum – Gratulieren?!“ Die Mertens stand wie von einer Feder emporgeschnellt auf den Füßen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_591.jpg&oldid=- (Version vom 17.9.2023)