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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

der günstigen Lage konnte auch der letzte Zuschauer einen freien Blick auf die Bühne haben und der Rede der Spielenden folgen. Der Regen hatte aufgehört, ja im Hintergrund des Theaters wurde, für Augenblicke vom Sonnenlicht übergoldet, Urirothstock sichtbar.

Der Feuerkreuz auf dem Mythen.
Die Festspielbühne mit dem Urirothstock im Hintergrunde.

Das Festspiel begann mit einer sinnbildlichen Darstellung der Besiedlung des Landes der Waldstätte durch Fischer- und Jägerfamilien; dann zogen in prächtigen Bildern an den Zuschauern vorüber die Beschwörung des ewigen Bundes auf dem Rütli, die Siegesfeier nach der Schlacht bei Morgarten im Jahre 1315, die Schlacht bei Murten (1476), die Tagsatzung in Stans von 1481, auf welcher das Versöhnungswerk des Einsiedlers Klaus von der Flüe gelang und ein drohender Zwiespalt zwischen den schweizerischen Landschaften beigelegt wurde; endlich Pestalozzi als Retter und Erzieher der Jugend nach dem Verzweiflungskampf der Nidwaldner gegen die französische Uebermacht vor hundert Jahren. Ein Nachspiel, an dem sämmtliche 720 Personen der vorhergegangenen Akte theilnahmen, schloß die Handlung ab. Zwischen diese wirkungsvollen bunten Scenen waren lebende Bilder eingelegt, welche die Thaten Tells und Winkelrieds zu packender Geltung brachten. Das ganze Werk zeigte eine wohlthuende Frische: eine einfache und edle Sprache, Sorgfalt in der Auswahl des Stoffs, gewandte Anordnung der Gruppen und der Farbentöne, Richtigkeit der Bewegungen bei den schauspielerisch doch nicht geschulten Darstellern – das alles wirkte zusammen, um eine gewinnende Einheit von Sage und Geschichte in der Dichtung und bei deren dramatischer Vorführung einen tiefen Eindruck hervorzurufen.

So gestaltet, haben diese mit Gesang und Instrumentalmusik verbundenen Schauspiele eine Zukunft vor sich; neben ihnen wird der stumme historische Umzug, und wären die Kostüme noch so schön und echt, nur in mehr untergeordneter Weise bestehen können. Was in manchen deutschen Städten schon lange mit Erfolg ausgeübt wurde, was in Worms zur Errichtung eines besonderen Theaters geführt und hier in Schwyz wieder so mächtig gewirkt hat – das Bestreben, ein Volksschauspiel und eine Volksbühne zu schaffen, es wird sich immer mehr Boden erobern. Denn wo in einfacher Sprache, durch volksthümlichen Stil und Stoff zu einer Nation geredet wird, da bleibt ein freudiges Echo, ein inneres Sichheben des Volkes nicht aus. –

Den ersten Gedenktag schloß ein Bankett in der Festhalle, wo bei mehr und mehr sich aufheiterndem Himmel bald auch die volle Feststimmung sich einstellte. Und wer aus dem Jubel drinnen heraustrat in die schweigende Nacht, der sah rings auf den Höhen die Freudenfeuer erglänzen, und vom großen Mythen herab strahlte ihm durch die wallenden Nebel, die den Berg verhüllten, wie von Geisterhand getragen, von Zeit zu Zeit ein riesiges eidgenössisches Kreuz entgegen. Bei solchem Anblick machte den heimischen Festtheilnehmern der Eindruck des Tages leise verklingen in dem Vers des alten „Tellenliedes“:

„Ein edel lant, guot recht als der kern,
Das lit beschlossenen zwüschen berg,
Vil fester dann mit muren.
Da huob der pundt zum ersten an;
Sie hant der sachen wislich tan
In einem lant, heißt Ure.“ – –

Mit prächtigem Sonnenschein brach der 2. August an; tausend und abertausend Augen bewunderten schon in der Frühe das leuchtende Bild der Berglandschaft. Von allen Seiten, von den Berghalden herunter und hervor aus den stillen Thälern, strömte nun in sonntäglichem Putz das Landvolk, um an diesem Ehrenfest der Schweiz auch seinen Theil zu haben. Dankbare, empfängliche Herzen waren es, die sich da zusammenfanden. So hatte die Wiederholung des Festspiels, die morgens neun Uhr begann, einen noch durchschlagenderen Erfolg als die erste Aufführung. Die Sonne und der Beifall belebten aber auch sichtlich die Darsteller, die am vorhergehenden Tag mehrere Regenschauer hatten über sich ergehen lassen müssen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_588.jpg&oldid=- (Version vom 16.9.2023)