Seite:Die Gartenlaube (1891) 570.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

sondern einige Bemerkungen an über den Einfluß des Lichtes auf die Gesundheit – nicht des Auges, denn darüber giebt es zahlreiche Arbeiten vortrefflicher Art, sondern des Gesammtkörpers.

Der Titel, den wir gewählt haben, drückt in der kürzesten Form diejenige Forderung der Gesundheitspflege aus, welche selbst in Lehrbüchern über diesen Gegenstand kaum berührt wird, trotzdem heutzutage täglich und stündlich dagegen gesündigt wird. Die Hygieine des natürlichen Lichtes ist auffallenderweise kaum angebahnt, vor allem wurde der Weg des Experiments noch nicht so benutzt, wie dies nach anderen Richtungen hin in der Hygieine überall der Fall ist. Und doch ist unter den ursprünglichen Naturbeziehungen des Menschen die zum Licht sicher von nicht geringerem Gewicht und Werth als die zur Luft, zum Wasser, zum Erdboden etc., auf welche sich gerade in letzter Zeit die hygieinische Experimentalforschung vorzugsweise gerichtet hat. Ja man darf behaupten, ohne Widerspruch fürchten zu müssen, daß das Licht im Vergleich zu den genannten Beziehungen unseres Daseins einen größeren und besonderen Einfluß voraus hat, den auf das höhere Nervensystem, dessen Thätigkeitsäußerungen wir als Geistes- und Seelenleben bezeichnen. Auf Seele und Geist wirkt ja nichts so eingreifend, sowohl fördernd als hemmend, wie Fülle oder Mangel des Lichts.

Von alters her stellte man das Licht unter den das Leben bedingenden und beginnenden Mächten an die Spitze: in der Schöpfungssage der ältesten Völker leitet das „Es werde Licht!“ das Sein der ganzen Welt ein, und heute noch bezeichnet „das Licht der Welt erblicken“ den Anfang des Einzellebens. Aber nicht bloß als erste Grundlage des Schöpfungswerkes galt es den Völkern, es ward bei vielen geradezu zur obersten Gottheit: von den Aegyptern wurde es als Ra verehrt, von den Persern als Ormuzd zum lebengebenden und lebenerhalteuden Gott erhoben, dem als zerstörende, dem Leben feindliche Gewalt Ahriman, die Finsterniß, entgegentrat. Selbst in der christlichen Lehre über das Dasein nach dem Tode spielt das Licht eine Rolle, insofern das Leben im Himmel als ein Leben im Lichte, das in der Hölle als ein solches in der Finsterniß vorgestellt und das erstere als Belohnung, das letztere als Bestrafung aufgefaßt wird.

Spricht man weiter von düsterer nordischer Weltanschauung im Gegensatz zu der heiteren südlicher Völker, so bezeichnet man damit eine Wirkung des Lichtes auf das Wesen ganzer Völker, die als Zusammenfassung seines Einflusses auf die Geistesart des einzelnen betrachtet werden muß. Weiß doch bezüglich der letzteren Wirkung jedermann aus eigener Erfahrung, daß die lichtarme Winterszeit die Seelenstimmung ganz anders gestaltet als die lichtreicheren Jahreszeiten. In dem Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller spielt die Frage nach dem Licht, spielen die vielgeschmähten Bemerkungen über das Wetter eine überaus große Rolle. Lichtmangel drückt und verdüstert das Gemüth, ja verursacht krankhafte Gemüthszustände, wovon der Spleen bei den Bewohnern des nebelreichen England das bekannteste Beispiel ist; Lichtreichthum erhebt und spornt die Geisteskräfte an. „Die Jahreszeit drückt mich, wie Sie, und ich meine oft, mit einem heiteren Sonnenblick müßte es gehen“, schreibt Schiller, dessen schöpferische Kraft wie bei Goethe in der trüben Jahreszeit nachließ, ja zeitweise stille stand. Deshalb besingen auch alle Dichter seit des Sophokles einfach erhabenem „Sonne, du schönstes Licht … Wimper des goldenen Tages“ das Licht in ihren besten Tönen, und Lenaus großartiges Klagelied an die Nacht erscheint als düsteres Vorzeichen seiner späteren geistigen Umnachtung.

Das Licht weckt die gesunden und guten Kräfte der Menschenseele, und deshalb scheuen alle guten Thaten nicht das Licht, nur die schlimmen meiden es. Man spricht daher von Licht- und Nachtseiten der Menschennatur.

Der Mangel des Lichtes übt bei den meisten Menschen einen schädigenden Einfluß auf den Gedankengang und die Gedankenrichtung aus. Wer aufmerksam sich selbst beobachtet, wird sicher gefunden haben, daß die Dunkelheit geeignet ist, das Denken auf falsche Bahnen zu bringen; es wird unklar und vor allem phantastisch, es richtet sich mehr auf düstere Gegenstände als auf erfreuliche. Wie oft erklären sonst ganz ruhige, vernünftige und gesunde Menschen dem Arzte, daß sie in schlafloser Nacht sich Licht anzünden müssen, um der Gedankenjagd zu entrinnen und der Selbstquälerei, in welcher sie alle unangenehmen und schlimmen Erfahrungen, die sie im Laufe vergangener Jahre gemacht haben und die durchs Licht des Tages immer wieder ausgetilgt werden, hervorsuchen und an sich vorüberziehen lassen.

Daß Dunkelheit den Geist grüblerisch und traurig stimmt, ist eine Beobachtung, die auch die Augenärzte häufig machen, wenn sie gezwungen sind, ihre Kranken tage- und wochenlang im künstlich verdunkelten Zimmer zu halten; ja es giebt Naturen, die solche Kuren gar nicht ertragen können und erklären, daß ihnen der Wahnsinn drohe, wenn sie noch länger in der künstlichen Nacht ausharren müßten. Ebenso bekannt ist es, daß in der Militärjustiz der Ausschluß des Lichtes, beim sogenannten Dunkelarrest, als Strafverschärfung betrachtet und – so mittelalterlich und verwerflich er ist – unbegreiflicherweise noch heute benutzt wird.

Bei anderen erregt die Dunkelheit an Stelle solcher „Depressionszustände“ umgekehrt bald schwächere, bald stärkere „Exaltationszustände“, sie verfallen in „wache Phantasien“, wie die landläufige Redeweise es nennt; diese sind übrigens bei den meisten ebenfalls düsterer Art, und wenn sie die heitere Seite der Lebenserfahrungen zur Unterlage haben, so führen sie dieselben in verzerrter Weise, gleichsam als Karikaturen, vor.

Eine bekannte Thatsache ist es ferner, daß Dunkelheit das Schätzungsvermögen bezüglich der Zeit und des Raumes verändert, Minuten dehnen sich scheinbar zu Stunden, die Entfernungen dünken uns größer, die Wege erstrecken sich wie ins Unendliche. Und viele Menschen, die am Tage unerschrocken sind, macht die Nacht furchtsam. Selbst auf ganz bewußtlose Kranke, wie z. B. auf Typhuspatienten, wirkt sie verschlimmernd, sie steigert die vorhandenen Delirien oder ruft diese da hervor, wo sie tagsüber fehlten. Mit einem Worte: das Licht wirkt regelnd und beruhigend auf die geistige Thäkgkeit, die Dunkelheit verkehrt und erregt sie. Auch das einfache Empfindungsvermögen wird verändert, gesteigert, wie die Thatsache beweist, daß Schmerzempfindungen in der Dunkelheit bis zur Unerträglichkeit wachsen.

Es handelt sich bei den angeführten Erscheinungen, deren Zahl sich leicht vermehren ließe, um Einflüsse des Lichtes oder des Lichtmangels auf die Tätigkeiten des zentralen und peripheren, des inneren und äußeren Nervensystems und auf die Gesammtwirkung beider, das Gesammtgefühl. Da aber alle jene Thätigkeiten auf stofflicher Grundlage beruhen, so ist folgende Thatsache, so unbedeutend sie scheinbar ist, von Wichtigkeit. Das Licht hat einen regelnden Einfluß auf den sogenannten Stoffwechsel in den Nerven, vor allem durch Ausscheidung der Zersetzungsprodukte, welche die Dunkelheit zurückhält. In dieser Beziehung wenigstens hat man durch Versuche festgestellt, daß selbst vom Körper getrennte frische Nerventheile im Lichte mehr Kohlensäure aushauchen und mehr Sauerstoff aufnehmen als im Dunkeln, wodurch die vermehrte Ausscheidung ermöglicht wird.

Daß aber alle Abweichungen der Thätigkeit des Nervensystems bei Lichtmangel, also auch während der Nacht, auf das Zurückhalten von Ausscheidungsstoffen und die verminderte Sauerstoffaufnahme zurückzuführen sind, darf nicht behauptet werden, obwohl die Möglichkeit nicht geleugnet werden kann.

So viel vom Allgemeinen! Es erübrigt uns, die gesundheitlichen Forderungen zu betrachten, welche auf Grund der erörterten Erfahrungen in Bezug auf das Licht zu stellen sind. Wir thun das unter dem doppelten Gesichtspunkte der persönlichen und der öffentlichen Hygieine.

Zu den unvermeidlichen Folgen höherer Kulturzustände gehört es, daß die Menschen aus manchen naturgemäßen Bedingungen ihres Daseins heraustreten müssen, und es hieße deshalb eine Unmöglichkeit vertheidigen, wollte man, wie das von Rousseau und seinen Nachfolgern im vorigen Jahrhundert als Lehrsatz aufgestellt wurde, „Rückkehr zum Naturzustande“ verlangen.

In unserem Falle können wir also nicht fordern, daß man hinsichtlich der Belichtung zu den Gewohnheiten der Urvölker zurückkehre, um so weniger, als schon die klimatischen Verhältnisse dagegen sprechen würden. Die primitive Bekleidung der Neger, Australier etc., die dem natürlichen Lichte allerdings die größtmöglichen Flächen darbieten würde, ist natürlich unter uns unmöglich. Selbst die Sonnenlichtbäder des steiermärkischen Gesundheitslehrers Rickli[WS 1], obwohl in einer besondern Kuranstalt geübt, blieben nicht unangefochten. Der neueste Verfechter der Naturheilung, Kneipp in Wörishofen, beschränkte sich deshalb

Anmerkungen (Wikisource)

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_570.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2023)