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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

mit der ergrauten Holzverschalung, der als Hochwächter über dem Eingang zum Jesuitenkloster erschien, hat erst den letzten Umbauten weichen müssen.

Der französische Einfluß in Luxemburg geht zurück auf den Erzbischof des Mosellandes, Albero von Montreuil. Eine ganze Fülle welscher Namen folgt auf ihn im Trierer Bischofskatalog. Dann überschwemmen im 14. Jahrhundert die gesellschaftlichen Formen des Westens die besseren Schichten, und mit Schnabelschuhen und Zaddeltracht zieht französische Sentimentalität im Lande ein, aber auch der leicht aufflammende und leicht verflackernde Enthusiasmus, der dem französischen Gemüth eigen ist. Indeß mit der leichten Erregbarkeit des westlichen Nachbars mischt sich der emsige Fleiß und der trockene Humor des Rheinländers. Ein aufmerksamer Beobachter findet fast nur die breitgesichtigen germanischen Langschädel vertreten. Daß trotzdem Luxemburg in den letzten Jahrzehnten eine merkliche Hinneigung zu Frankreich gezeigt hat, ist bekannt. Nicht zum wenigsten freilich ist dies den französischen Gästen zu verdanken, die im neutralen Luxemburg mitten in allen europäischen Wirren eine stille Insel zu finden hofften. Zu der Zeit, als die deutsche Bundesfestung Lützelburg noch nicht Luxemburg getauft war, herrschten in der Oberstadt noch die gutrheinischen Namen der alten Patriciergeschlechter; seither haben sich Namen und Formen mit welschem Firniß überzogen, und wer früher Heintze hieß, legt sich einen Accent bei und nennt sich Heintzé. Das ist freilich ein recht durchsichtiger Firniß, unter dem deutsches Wesen fortbesteht. In der Rue Chimay giebt’s seit Jahren eine Wirthschaft „Zum Münchener Kindl“ – der bayerische Hopfentrank muß die Vorhut abgeben für den deutschen Kultureinfluß. Und wenn die Abendglocke von Notre-Dame geläutet hat, die verblutende Sonne das flatternde blaue Nachtkleid noch einmal zu lüften versucht, wenn die Alten auf den grüngestrichenen Bänken der Wälle sitzen und die Luxemburger Schönen Arm in Arm auf dem Glacis auf- und abwandeln und nach dem Riesenjoseph an der Parkhöhe ausschauen – dann klingen in friedvoller Eintracht von rechts die Weise der „kleinen Fischerin“ herüber und von links Victor Méhays „Vivent les dames de France!“ Deutsche Gesetzgebung hat das Land zum Vorbilde, seit es dem deutschen Zollverein beigetreten ist; deutsch sind die Patentgesetzgebung, die Arbeiterschutzmaßregeln, die landwirthschaftlichen Gesetze. Französisch in den gesellschaftlichen Formen und den künstlerischen wie litterarischen Anschauungen, deutsch im Charakter und in den Grundfesten des staatlichen Organismus, so stellen sich die Hauptzüge des Luxemburger Lebens dar. Möglich ist immerhin, daß unter dem neuen Herrscher aus deutschem Hause, der in diesen Tagen seinen feierlichen Einzug in das ihm kraft Erbrechts zugefallene Land gehalten hat, eine Verschiebung zu gunsten des Deutschthums eintritt. Aber ein gewisser Partikularismus wird doch wohl der Grundzug des Volkscharakters bleiben.

Denn, wie es in dem alten Luxemburger Volksliede „De Feuerwon“ heißt:

„Kommt hier aus Frankreich, Belgie, Preise,
Mir welle iech ons Hemecht weise –
Frot dir no alle Seiten hin,
We mir eso zefriede sin.“




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Die Kamerunerin.

Eine romantische Geschichte von H. v. Götzendorff-Grabowski.

(3. Fortsetzung.)

Frau Edith war erstaunt und erfreut zugleich, als sich im Vorzimmer zwei aus ihrer winterlichen Hülle schälten.

„Claudius! Nein, das ist zu reizend von Ihnen!“ rief sie fröhlich aus. „Es zeigt uns, daß Sie doch mehr auf unsere freundschaftlichen Beziehungen halten, als man Ihrer einsiedlerischen Zurückhaltung nach manchmal annehmen möchte. Ich habe übrigens Sophie Adler zur Bescherung eingeladen, das ist Ihnen doch nicht unangenehm? Das gute Mädchen stand mir während Nellys Krankheit so treu zur Seite und hat zu Hause wirklich gar nichts. Die älteren Geschwister schnappen ihr jedes Vergnügen vor der Nase weg.“

Unter andern Umständen würde der Doktor nicht viel für Frau Ediths Günstling übrig gehabt haben; heute aber, mit dem Briefe der „Kamerunerin“ in der Tasche, fühlte er sich geneigt, jedermann Wohlwollen und ein günstiges Vorurtheil entgegenzubringen. Vielleicht war Sophie Adler in der That ein gutes Mädchen. Jedenfalls wollte er sie heute dafür nehmen. So war er denn liebenswürdig gegen alle, liebenswürdig auch gegen Sophie. Ihr häufiges Erröthen verrieth, wie beglückt sie darüber war. Sie dachte an ihre Schwestern zu Hause. Flora und Dora werden sich schön ärgern, wenn sie ihnen heute nacht vor dem Schlafengehen die wundervollen Einzelheiten dieses Weihnachtsabends zum besten giebt! Mit einer kleinen Bosheit des Fabrikherrn konnte Sophie den Schwestern zu ihrer innigen Genugthuung auch aufwarten. Claudius hatte nämlich bei Tische den Ausspruch gethan, die Kronfurther Damen seien eigentlich zum größten Theil geborene Dichterinnen, und dann mit einem durchdringenden Blicke auf Sophie hinzugefügt, er hoffe indessen, daß ihr diese verhängnißvolle Gabe vom Schicksal versagt geblieben sei. Sophie wußte nicht, wo er hinauswollte, hielt es jedoch für angebracht, die Gesellschaft davon zu unterrichten, daß sie in der Schule stets zu den „Besten“ gehört habe, wenn man Darstellungen in gebundener Rede habe liefern müssen.

Darauf hatte der Doktor mit eigenthümlichem Lächeln erwidert: „Nun, hoffentlich haben Sie sich dann wenigstens an der neuesten Dichtung Ihrer phantasiereichen Schwestern in Apoll nicht betheiligt, mein Fräulein! Ich meine jene böswillige Erfindung über Herrn Gerlachs Ritte nach Grützburg, die er für mich unternommen hat. Es handelte sich dabei um Briefschaften von Wichtigkeit. Herr Gerlach hat die Sache wie alle meine Angelegenheiten mit höchster Gewissenhaftigkeit besorgt, und ich beklage es aufrichtig, daß gerade seine Pflichttreue die Veranlassung zu einer so unangenehmen Erfahrung für uns werden mußte!“

Nun hatte Sophiechen begriffen und war tugendsam erröthet. „Ach ja, ich hörte im Montagskränzchen davon,“ sagte sie schüchtern, „habe aber in keiner Weise Theil an dem Gerücht und wünschte herzlich, von allen übrigen Kronfurtherinnen dasselbe versichern zu dürfen.“

„Also ist an der ganzen Geschichte mit der Postmeisterstochter kein wahres Wort?“ rief Frau Edith, zu dem Nüsse knackenden Bruder gewendet.

„Leider nein, Schwesterchen! Zu meinem Bedauern habe ich noch nicht einmal die Nasenspitze meiner ,Zukünftigen’ zu sehen bekommen!“

Damit hatte diese „Verlobung“ ihr Ende gefunden, ehe sie angebahnt war. Die kleine Gesellschaft blieb noch einige Stunden heiter und gemüthlich beisammen, dann trennte man sich in bester Stimmung. Claudius fuhr mit seinem Direktor nach Hermannsthal zurück; Sophie eilte wie auf „Adlersschwingen“ nach Hause. Dort feierte sie den ersten Triumph ihres bisher nicht sehr freudenreichen Daseins. Hocherhobenen Hauptes trat sie gegen Mitternacht ins Wohnzimmer, wo die Familie noch vollzählig beisammen saß.

„Guten Abend! Ich komme ein bischen spät, aber es ließ sich nicht anders machen.“ Sie staunten alle über den selbständigen Ton, in welchem die sonst so schüchterne Sophie ihre Erklärung abgab, und begannen zu ahnen, daß sich bei Eberhards etwas Ungewöhnliches zugetragen haben müsse. Sophie bestätigte das in vollem Umfang.

„Der Hermannsthaler war auch da!“ sagte sie, mit der gleichen majestätischen Haltung wie vorhin – „der Doktor Claudius nämlich.“

Das gab einen förmlichen Aufstand. Dora und Flora sprangen von ihren Stühlen empor, die Mutter setzte die zum Trinken erhobene Theetasse schnell nieder, und der Vater nahm die Pfeife aus dem Munde. Sophie fühlte sich als die Heldin eines welterschütternden Ereignisses.

„Ja! Jawohl!“ rief sie – „er war da. Und wie war er! Laßt es Euch nur von der Frau Professor erzählen! So liebenswürdig, so heiter hat ihn noch kein Mensch gesehen!“

„Komm’ her, Sophie! Setze Dich zwischen uns! Du mußt alles genau und ordentlich der Reihe nach erzählen!“ baten Dora und Flora. Das war es, was Sophie ersehnt hatte! So erzählte sie denn, erzählte ohne Ende – hatte sie doch jedes Wort, jeden Blick, jede Bewegung des Doktors mit der Gewissenhaftigkeit eines Polizisten in ihrem Gedächtniß gebucht. Und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_558.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2023)