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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

riesigen Mauer, in den Fels gehauen, aus großen Steinklötzen aufgerichtet – und dann erst entdeckt er darüber eine bunte und wirre Masse von zierlichen, weißen Gebäuden.

Das Altmünsterplateau. 

Ungeheure Brücken führen über das Thal, schmale Bogen auf dickleibigen Pfeilern, die auf den ausgewaschenen Sandsteinfelsen erbaut sind; aus der Tiefe werfen die glänzenden Schieferdächer der fleißigen Unterstädte die Sonnenstrahlen zurück – denn unter dem Schutze der Festungsgeschütze haben sich dort die Fabriken schnell entfaltet, die Arbeiterkolonien sind angewachsen und haben begonnen, auf beiden Seiten den felsigen Abhang zu erklimmen: Pfaffenthal im Norden, Clausen im Osten und im Süden die Vorstadt Grund. Ein Glück, daß die menschlichen Geruchsnerven nicht stärker entwickelt sind: ein sündhafter Dunst steigt aus den Pfaffenthaler Gerbereien auf, wenn die Lohe frisch geschüttet wird und an den zierlichen Holzbalkonen nach den Wassern der Alzette hin die nassen Felle aufgehängt werden.

Gegenüber dem „Bock“, jenem schmalen Felsriff, welches die Vorstädte Clausen und Grund trennt, kriecht den Abhang hinauf der Obergrunwald. Mitten zwischen den mächtigen Kastaniengruppen, die das Hochplateau erfüllen, schimmern die Trümmer zweier kurzer plumper Thürme, die allen Sprengversuchen getrotzt haben; nach der Vaubanstraße herunter zieht sich, einen vorgeschobenen Felsblock in die Umgürtung aufnehmend, die lange Mauer, die das Thal sperrte – den zinnengekrönten Thorbogen schwärzt jetzt alltäglich der Rauch der Lokomotive. An der zerborstenen Aufmauerung klebt noch ein zierliches Erkerthürmchen mit spitzem Dach, darüber erhebt sich eine prächtige Gruppe von drei tief herab umbuschten Buchenriesen.

Pfaffenthal.

Gerade gegenüber aber, auf dem Plateau Du Rham und an der offenen Westseite der Stadt, dehnt sich ein weiter Villenkranz, der an die Stelle der Außenforts getreten ist. Denn Luxemburg ist keine jener „Fürstenlaunenstädte“, wie sie Riehl getauft hat, bei denen jede Straßenlinie Langeweile athmet. Es ist indessen auch keine jener Festungsstädte, die langsam hinsiechen, nachdem die Simsonskraft von ihnen genommen ist. Unter der Regierung des König-Großherzogs Wilhelm III. und seines Bruders, des Statthalters Prinz Heinrich, hat die Stadt sich durch neue Eisenbahnlinien internationale Handelsverbindungen eröffnet und so einen ungeahnten Aufschwung genommen. Und daß sie allmählich zur Stadt der Pensionäre heranwächst wie Wiesbaden und Graz, hat sie wahrlich nicht der vielbesungenen Schönheit des Ortes allein zu danken.

Unter dem großen Viadukt, der die Oberstadt mit den südlichen Außenwerken verbindet, ziehen sich grün gesäumte Gartenterrassen hin voller Weinranken und Fruchtschnüre. Allenthalben klettert die Rebe empor, an den Felswänden rankt sie sich hinauf, schlingt sich um die silberbärtigen Baumriesen und um die moosbewachsenen Steintrümmer, umzieht Zaun und Wohnhaus mit einem dichten, lichtgrünen Geflecht. Bis nach Clausen hin laufen die Gärten, bis zu den Trümmern des prachtvollen Schlosses, das Graf Mansfeld um 1560 im Thale errichtete. Heute melden nur noch spärliche Mauerreste und Thorwege einiges wenige von dem gepriesenen Meisterwerke der niederländischen Renaissance, dessen Aufrisse uns zum Glück durch die Kupferstiche der Rubensschüler bewahrt worden sind.

Grund.

Als die Alzette noch in urwüchsiger Kraft aus dem Felsenthore hervorstürzte und die Thalsohle erfüllte, fuhren auch die Nachen häufiger an Diekich und Echternach vorbei der Mosel zu. Es war nicht leicht, an den verwaschenen Granitschroffen den Kahn zu hemmen und dann pfeilschnell über die Wirbel hinweg thalwärts zu rudern. In den Sagen und Märchen des Luxemburger Landes, die Cederstolpe und Steffen aufgezeichnet haben, spielt der fischreiche Fluß keine geringe Rolle, und die Pfaffenthaler Burschen, die verbotene Nachtangeln legen, wissen genug zu erzählen von dem Gesange der Nebelfrauen, die in den Sommernächten durch das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_556.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2023)