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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

mustergültigen Ehemann in Gesellschaft einer Frau und einer Tochter, über die ich nichts weiter bemerken will als: ‚Hut ab!‘ Kurzum, wenn man alle die Gedanken an Sie in einem Haufen zusammenhaben könnte, wär’s ein Berg, höher als die ‚Grenzwacht‘, aber von lauterem Golde. Denn alle, Beamte, Bürger, Stadtherren, Bauern, Mann unb Weib und Kind und Kegel, kennen Sie als einen Mann ohne Makel, als einen gerechten und rechten Mann!

Und jetzt sollen Sie fort von uns! Eher, hätten wir geglaubt, falle die Burg ein, als daß unser Vitus Müller droben auszieht! Aber Sie bleiben am Leben und im Land – das ist die Hauptsache! Wenn Sie in unserer Hauptstadt Einzug halten, grüßen Sie sie von uns und sagen Sie: wir Hohenwarter schicken ihr unser Bestes! Und wenn Ihnen je die Großstadt zu laut oder die Arbeit einmal leid wird, so kommen Sie in das Städtchen zurück, in das die Berge hereinschauen. Und wenn Sie in nachtschlafender Zeit ankommen, klingeln Sie nur an der ersten besten Thür, denn Sie sind in jedem Haus zu Haus. Uns haben Sie angehört und Sie bleiben unser, dort und da und allezeit!

Ich hab’ starke Lungen, aber so weit hört man mich nicht, als Sie bekannt und geehrt und geliebt sind. Drum schießen wir’s ins Land! Und wenn der Schuß kracht, weiß Berg und Thal: jetzt bringt der Bürgermeister Zappel zu Hohenwart die Gesundheit unseres Richters aus, und auf steht ein jeder und ruft wie wir: ‚Er lebe hoch! hoch! hoch!‘“

Und alle sprangen auf, die Hochrufe ertönten und dazwischen krachte ein Schuß, dessen Donner von den Bergen zurückgegeben wurde.

Der Ansprache des Bürgermeisters folgten manche andere. Der Notar feierte die Burgfrau und das Burgfräulein in „schwungvollen“ Versen. Ein halbes Dutzend ländlicher Schönen überreichte im Auftrage der Berggemeinden ihrem alten, allverehrten Herrn Richter einen Strauß von Almenrausch und Edelweiß. Die Wirkungen des guten Weines und der munteren Musik offenbarten sich mehr und mehr; die weisesten Stadtväter gaben ihre steife Würde und die jüngsten Backfischchen ihre Schüchternheit auf.

Da jedermann Vitus die Ehren herzlich gönnte, sah man kein sauertöpfisches Lächeln, keine scheinheilige Miene; die Feier war eine fröhliche, und der Lärm wuchs mit der Fröhlichkeit. Doch als Excellenz Imhof aufstand und ans Glas tippte, wurde es im Handumdrehen mäuschenstill, so still, daß Vitus Müller das Hochwasser rauschen hörte – oder zu hören glaubte. Jeder fühlte: jetzt kommt die Hauptsache, denn ein Minister kann nur Gescheites sagen. Die längste Rede aus seinem Munde würde niemand ermüdet haben, doch Excellenz hielt Wort und faßte sich kurz.

„Mein lieber Herr Stadtrichter! Hochgeehrte Versammelte! Wohl sind alle darin einig, daß die höchsten irdischen Güter Macht und Recht sind. Möchten wir doch auch eins sein in der Ueberzeugung, daß Recht vor Macht geht. Leider ist das nicht der Fall. Und doch lehrt die Geschichte, das heißt die Erfahrung, daß jeder Machthaber die Erfolge, die er durch List oder Gewalt errang, alsbald durch irgendwelche Rechtstitel zu sichern und so erst das, was er besaß, in sein Eigenthum zu verwandeln bestrebt war. Also muß das Recht über die Macht gehen, oder mehr noch, das Recht muß allein die wahre Macht sein. Die Würde und Bedeutung des Richteramtes ergiebt sich daraus von selbst. Auch der Richter ist ein Priester, der dem Glauben an die Weihe und Unverletzlichkeit des Rechtes zu dienen und diesen vor allem durch seine eigene Lebensführung zu beweisen hat. Er muß ein Beispiel sein für jeden. Wie vollkommen Sie, Herr Stadtrichter, diese Aufgabe gelöst, wie redlich Sie während Ihres langen Aufenthaltes hier diese wichtigste Berufspflicht erfüllt haben, beweist mir der heutige Abend. Als erster Minister des regierenden Fürsten sage ich Ihnen öffentlich dafür Dank, als Ihr einstmaliger Studiengenosse, als Ihr ältester Freund in diesem Kreise sage ich Ihnen, daß ich stolz auf Sie bin!“

Kurze Pause; sämmtliche Anwesende murmelten Beifall. Und wieder hörte Vitus durch dieses Gemurmel hindurch das Rauschen der Wellen.

„Ein Meteor überrascht und blendet uns, aber nach kurzem Glanz zerspringt es und seine Atome werden von der Dunkelheit aufgesogen. Der Strahl eines echten Sternes dagegen braucht lange, bis er das menschliche Auge trifft, doch dann ist er bleibend. Möge dieser Tag Sie für die Stille entschädigen, die Sie in Ihrer Bescheidenheit als das Herkömmliche und Ihrem Wirken Angemessene betrachteten, die Sie nicht selbst unterbrachen. Dank dieser glorreichen Erinnerung werden Sie in Ihren neuen Wirkungskreis treten wie ein Jüngling und dort wie hier unmerklich, aber unwiderstehlich Ihre Umgebung zwingen, Sie durch stille Bewunderung und Nachahmung zu ehren. Dem neuen Stadtrichter, dem alten Hohenwarter Braven, dem priesterlichen Hüter der Gesetze bringe ich dies Glas. Hoch! hoch! hoch!“

„Der Hohenwarter Brave!“ Das Wort zündete. Es erhob nicht nur den Richter, sondern die ganze Stadt. Und der Minister, der erste Mann nach dem Fürsten, sprach das Wort. Wer da seine Lungen schont, ist kein Braver!

Nachdem Imhof mit seinem einstmaligen Studienfreunde, der ihm gegenübersaß, angestoßen hatte, wandte er sich an seine Nachbarin zur Rechten.

„Liebe Baronin, sind Sie mit mir zufrieden?“

„Mehr als das, Sie machen mich glücklich!“ Ida war selig, sie erinnerte sich keines militärischen Abends, der mit dem heutigen verglichen werden konnte. Und alles, was von ihrem Manne gesagt wurde, war so zutreffend! Das letzte Sorgenwölkchen zerfloß ins unermeßliche Blau freudiger Erregung. Als der Zug der Glückwünschenden zu den Ehrengästen um die Tafel wogte, stieß Ida hüben, Vitus drüben mit den Wallern an, sie kräftig, ihr Gatte mit zitternder Hand.

Jetzt kam bei dem Richter ein kleiner, stämmiger, sehr erhitzter Herr an die Reihe. Er trug kein Glas, umschlang den Gefeierten kräftig mit beiden Armen und küßte ihn, da er nicht höher reichte, auf den Rockkragen.

„Mein Neffe Stadtrichter, mein braver, herrlicher Vitus! Komm ein bißchen beiseit!“ Und Onkel Furtenbacher ergriff den Ueberraschten und entführte ihn ins Freie.

„Schön, daß Du auch da bist,“ sagte Vitus gelassen.

„Haspinger, den ich gestern in Steinberg sprach, telegraphierte mir heute; ich bestellte umgehend auf demselben Wege mein Gedeck und fuhr mit dem Eilzug hierher. Bis jetzt gewann ich es nicht über mich, Dir unter die Augen zu treten.“

„Warum?“

„Nun, wegen des Korbes, den ich Dir in der galligen Stimmung der letzten Tage gab.“

„Ja so! Schön war’s allerdings nicht.“

„Du mußt Dich in meine Lage versetzen, in die Lage eines alten Junggesellen. Du mit einer Frau wie die Baronin, mit einer Stieftochter wie Verena lebst im Paradies. Aber ich! Was habe ich vom Leben, außer dann und wann einen guten Tisch? Und da kündigt mir die Köchin, dieselbe Köchin, die heute abend die Hühner mit dem köstlichen Ragout bereitet hat! Dieses Genie will heirathen, dazu noch in einen Garten, wo sie den ganzen Tag damit zu thun hat, die Mistbeete auf- und zuzudecken! Vom Lieutenant will ich nicht reden. Azorl ist mir durch, mit Kärrnern! Ein gemeiner Hund!“

„Lieber Onkel, verzeih’! Ich muß zur Tafel zurück!“

Allein Furtenbacher hielt ihn an einem Knopfe fest. „Laß mich mein Herz ausschütten! Mein Betragen war trotz alledem, ich will nicht sagen häßlich, aber unverzeihlich. Vitus!“ rief der Alte in weinerlicher Rührung, „ich hielt Dich stets für einen braven Mann, allein, daß man im Ministerium auf Dich stolz und für Deine Freundschaft dankbar ist, das hätte ich nie, nie erwartet! Auch ich bin jetzt stolz auf unsere Verwandtschaft! Wieviel brauchst Du? Sechstausend Mark? Siebentausend? Morgen früh punkt acht Uhr liegt jede gewünschte Summe für Dich bereit! Zahle sie mir zurück, wann und wie Du willst! Mach damit, was Du willst! – Doch vielleicht hast Du das Geld nicht mehr nöthig?“

„Mehr als je!“ fiel Vitus ein. „Und ich bin Dir tief, tief verpflichtet.“

„Still, abgemacht! Morgen, sagen wir lieber um elf, denn Du mußt ausschlafen, morgen um elf hast Du das Geld. Punktum! Und jetzt umarme mich!“

Assessor Haspinger, der zu dem Fest zurückgekehrt war, kam eilig herbeigestürzt.

„Herr Stadtrichter! Herr Stadtrichter! Der Herr Landrath redet!“ –

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