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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


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Baronin Müller.

Roman von Karl v. Heigel.

(6. Fortsetzung.)

Mit dem Schnellzug waren Nachrichten von Excellenz Imhof an seinen Sohn angelangt. Excellenz kenne die Gesinnung Hohenwarts, er sehe daher voraus, daß man infolge der neuesten Ereignisse ihm, dem ersten und treuesten Diener des Erbprinzen, einen Empfang mit mehr oder weniger Gepränge bereiten wolle. Ein solcher dünke Excellenz, nachdem erst kürzlich Hoheit selbst festlich begrüßt worden sei, nicht annehmbar. Er wolle von niemand erwartet sein, werde sich aber freuen, um neun Uhr den Sohn und die liebenswürdige Familie Müller-Gatterburg im Kurhaus anzutreffen.

Als eine Abordnung der Bürger erschien, um sich bei dem Lieutenant genauer nach der Ankunft Seiner Excellenz zu erkundigen, theilte Helmuth die väterlichen Wünsche mit. „Schlimm!“ sagte der Bürgermeister, der unterdessen die Führung des Ausschusses übernommen hatte. „Allerdings wollten wir Papa Excellenz in feierlicher Gesammtheit einholen. Insofern aber als Staatsgründe – wir verstehen uns – doch Excellenz spricht wohl nur vom Bahnhof, wie steht’s mit Nummer zwei: um halb zehn Fackelzug der Alt- und Jungbürger? Will Excellenz auch keinen Fackelzug haben?“

„Fackelzug?“ fragte Helmuth. „Wie stark würden Sie denn antreten?“

„Wir sind fünfhundert Fackeln. Die Musikanten lassen ihre eigenen Lichter leuchten.“

„Fünfhundert Mann? Das ist ja sehr anständig! Wissen Sie was, ich nehme den Fackelzug auf meine Kappe. Lassen Sie die Fünfhundert los!“

Herr Zappel sah sich um, ob der Richter außer Hörweite sei, dann neigte er sich zum Ohr des Lieutenants. „Ob es Excellenz nicht ungnädig aufnehmen würde, wenn die Fackeln vom Kurhaus dem scheidenden Richter zu Ehren nach der Burg zögen? Es ginge halt in einem hin.“

Ungnädig aufnehmen? Wo denken Sie hin, Herr Zappel! Die Huldigung bleibt ja auch in der Familie! Aber weshalb auf die Burg hinaufmarschieren, wo Sie nicht einmal Platz zur Entfaltung der Fünfhundert haben? Da Richters um neun hier im Kurhaus bei meinem Vater sein werden, können es beide Theile bequemer haben. Der Sprecher – und das sind natürlich Sie, alter Freund und Bürgermeister – bringt ein Hoch aus auf den bedeutenden Staatsmann und liebenswürdigen Gast Hohenwarts, auf den Vater meiner Wenigkeit, und da Sie an dessen Seite ‚zufällig und unvorbereitet‘ den allverehrten Herrn Stadtrichter erblicken, so fordern Sie die Fünfhundert auf, auch diesem braven Mann zu Ehren ein dreifaches Hoch ertönen zu lassen. So geht es wirklich in einem hin.“

„Wir verstehen uns, Herr Lieutenant,“ sagte Zappel, „wir verstehen uns.“ –

Die Richterfamilie verbrachte die Stunden vor dem großen Ereigniß allein. Man saß im Lugaus beisammen. Die Damen meinten zwar, daß ihnen der Ort durch die jüngsten Vorgänge verleidet sei, doch Vitus nahm den Kampf mit den Gespenstern wacker auf und überredete die andern, ihm zu folgen. Die Nacht war mild und klar, der Mond leuchtete, und aus unergründlichen Tiefen grüßten die Sterne. Wer dachte bei diesem Himmel an das schwarze Gewölk, an die Windsbraut und die Blitze von gestern! Wer sah dem Paare, das Hand in Hand auf der Steinbank saß, die Stürme an, unter denen gestern ihre Seelen gezittert hatten! Verena hatte ihren Platz den Eltern gegenüber. Der sanfte Schein ringsum hob ihre Schönheit. Wie unter silbernem Schleier zeigten sich die Fülle und das matte Blond der Haare, die lieblichen Züge, der schlanke Hals und die fein geschwungenen Schultern. Ihre klare Gesichtsfarbe war um einen Ton bleicher, ihre Augen schienen jetzt so dunkel zu sein wie ihre Brauen.

Für Dich und Deine Mutter litt ich, dachte der Richter. Möge dafür Dein Leben ohne Stürme, Deine Seele rein von Schuld bleiben!

Durch die Baumkronen über dem gastlichen Gebiet des Schloßkellers blitzten Lichter, doch war es unten still geworden und „des Lebens Schauspiel“ spielte vorläufig wieder in der Stadt.

„Horcht!“ rief Ida plötzlich in die träumerische Stille hinein, die sie alle umfangen hatte. Trommeln wirbelten, dem Marktplatz entstieg röthlicher Qualm, den zuweilen ein helleres Aufflammen durchzuckte. Jetzt setzte die ganze Musik mit einem wohlbekannten Marsche ein.

„Der Fackelzug,“ sagte Vitus, „wir müssen ins Kurhaus.“ Verena sprang davon, um Hüte und Umhänge zu holen.

Die Richterin lehnte sich an die Schulter ihres Gatten. „Ich würde den Abend lieber mit Dir allein verbringen.“

„Imhof ist Beamter wie ich. Sie ehren uns alle, indem sie Einen ehren; ich darf nicht fehlen.“

„Seit wann bist Du ehrgeizig geworden?“

„Meine liebe Ida, man lernt ein Gut schätzen, wenn man in Gefahr stand, es zu verlieren.“

„Wahr!“ erwiderte sie leise und schmiegte sich fester an ihn.

Vitus blickte nachdenklich vor sich hin. „War das alles nur Zufall oder Fügung?“

„O Vitus. wie kannst Du fragen! Eine höhere, eine gütige Hand ist in diesem allem!“

Ihr Mann seufzte auf, um dann wehmüthig zu lächeln. „So hätte mich auch der Himmel freigesprochen!“


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Ein Venezianer kann auf seine Piazza nicht stolzer sein als die Hohenwarter auf ihren Stadtplatz. Und sicherlich hat derselbe wenn auch nicht alles, so doch allerlei mit dem Markusplatz gemein: ehrwürdige Gebäude, Bogengänge mit Läden und Wirthschaften und eine Menge Tauben, die aber ungerechter Weise von den Fremden nie gefüttert werden; auch Italienisch wurde einstmals hier gesprochen, vom Großvater des Zuckerbäckers Martinelli, der, von Bologna nach Hohenwart verschlagen, bei der Witwe des städtischen „Bretzel-Bäckers“ in Dienst trat und später des Seligen Nachfolger wurde. Das ist aber lange her. Der Enkel Martinelli spricht einzig die Hohenwarter Mundart mit einem leichten Anklang an einen achtwöchigen Aufenthalt in Wien: „Schaffen’s ein Gefrorenes oder schaffen’s –“ Er nannte eine Fülle Herrlichkeiten für Feinschmecker. „Heut haben wir alles, ich kenne meine Hohenwarter. Ihnen wird das Ende schwerer als der Anfang. Gestern abend war Fackelzug, heute ist das Abschiedsessen für den Stadtrichter und morgen haben wir jedenfalls eine allgemeine Nachfeier.“

„Diese ewigen Aufregungen greifen meine Nerven an,“ sagte die Majorin Langbein. „Nichts Süßes, Martinelli! Geben Sie mir eine Flasche Selterswasser und ein Glas Wermuth. Wo belieben Frau Bahninspekor Platz zu nehmen? Minna, spann’ den Schirm auf, denk’ an Deinen Teint!“

Die drei Damen ließen sich an einem der beiden Tische nieder, die Martinelli sommers nach dem Mittagsläuten vor seinem Haus und Laden auf den Stadtplatz stellen durfte.

„Wenn Sie erlauben,“ fuhr die Majorin fort, „setze ich mich mit dem Rücken gegen die Obstbude; dort ist die Lästerschule Hohenwarts, und ich hasse eine böse Zunge. Sollte man nicht glauben, es sei Markt, soviel Leute! Und im Kurgarten ist auch Markt, aber dort mehr Grünzeug als Leute! Schade um die jungen Tannen! Die Hohenwarter übertreiben wie immer. – Mir den Wermuth, Martinelli, und meiner Tochter das Selterswasser!“

„Aber Mama, ich würde lieber ––“

„Auch ich würde manches lieber, allein denk’ an Deinen Teint!“

Die Bahninspektorin tauchte den Löffel langsam in ihr Himbeereis. „Wie mir mein Eduard mittheilte, sind für Müllers Damen zwei kostbare Sträuße in der Residenz bestellt. Als ob Hohenwart nicht auch Gärtner und Gärten hätte!“

„Ganz Ihrer Meinung, Frau Inspektor! Beiläufig, ist Ihnen schon bekannt, daß Furtenbachers Köchin –“

„Mama, sieh doch!“ rief Minna mit dem Diskant und der Kindlichkeit einer Vierzehnjährigen. „Ein Transparent!“

Die Majorin griff geschwind zum Augenglas. Zwei Dienstmänner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_550.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2023)