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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Angaben mit einem Eide bekräftigt; der Eid ist die letzte, äußerste Vorsichtsmaßregel, welche das Gesetz dem Richter an die Hand giebt, und nicht umsonst wird er mit den feierlichsten Formen umkleidet. Aber leider muß man wieder und wieder die Erfahrung machen, daß auch dieser ernsteste Anruf an das Wahrhaftigkeitsgefühl in der Menschenbrust keine vollkommene Sicherung gegen die Lüge bildet.

Das trat ist erschreckender Weise in einem Straffalle zu Tage, der sich im Jahre 1880 zu Berlin abspielte. Hier wurde eine Frau Luise Ernestine Steigerwald, Ehefrau eines Restaurateurs, das Opfer eines ganz niederträchtigen Komplotts falscher Zeugen.

Die Steigerwaldschen Eheleute lebten in kinderloser Ehe und hatten deshalb ein junges Mädchen, Edwine M., aus dem Waisenhause an Kindesstatt angenommen. Die Wahl war keine gute gewesen. Das Kind erwies sich als undankbar und durch und durch lügnerisch. Diese schlimmen Eigenschaften wußte das Dienstmädchen S. für ihre Zwecke auszubeuten. Sie war von ihrer Dienstherrin mit einem schlechten Zeugnisse entlassen worden und sann nun auf Rache. So beschloß sie, die Frau Steigerwald in Untersuchung und Strafe zu bringen, indem sie dieselbe der fortgesetzten schweren Mißhandlung der Pflegetochter beschuldigte. Um der Anzeige Erfolg zu verschaffen, verleitete sie das zwölfjährige Kind zu allerlei falschen Angaben. Es mußte vor Gericht aussagen, daß es von der Pflegemutter immer aufs strengste und gröbste behandelt und häufig mit einem dicken Stricke geschlagen worden sei; man habe es sogar unter fortgesetzten Drohungen gezwungen, die ekelhaftesten Dinge zu verzehren. Die S. zog auch den Stiefbruder ihrer Herrin, einen Füsilier E., der mit seiner Stiefschwester nicht in gutem Einvernehmen stand, mit in das Komplott und wußte ihn zu bestimmen, daß er als Belastungszeuge auftrat. Da die S. die Aussage des Kindes mit ihrem Eide bestätigte, so wurde den Betheuerungen der Frau Steigerwald, daß ihre Pflegetochter durch und durch unwahrhaftig sei, kein Glaube geschenkt; die unglückliche Frau wurde vielmehr wegen schwerer Mißhandlung zu einer dreijährigen Gefängnißstrafe verurtheilt.

Jetzt machte es sich aber ein Bekannter der Familie Steigerwald namens Bornstedt zur Aufgabe, die Wahrheit ans Licht zu ziehen, nachdem es ihm zunächst gelungen war, auf Grund ärztlicher Zeugnisse eine vorläufige Haftentlassung der einst kräftigen und gesunden, jetzt ganz hinfälligen Gefangenen zu erzielen. Er bediente sich dabei einer List. Er reiste nach Brandenburg, wo der Stiefbruder der Frau Steigerwald in Garnison stand, gewann dessen Vertrauen und erfuhr von ihm, daß er mit der Hauptzeugin, dem früheren Steigerwaldschen Dienstmädchen, noch in Briefwechsel stehe und daß deren Aufenthalt Berlin sei. Nunmehr sandte er an diese eine Mittelsperson, welche sie im angeblichen Auftrag des E. bestimmte, ihre Briefe, um sie einer etwaigen Beschlagnahme zu entziehen, durch die Hand Bornstedts laufen zu lassen. Die S. ging in die ihr gestellte Falle. Bornstedt behielt die Originalbriefe und schickte dem E. bloß Abschriften. Einige verrätherische Bemerkungen darin brachten das heimtückische Komplott an den Tag, und die Untersuchung wurde wieder aufgenommen. Zwar betheuerte in der neuen Hauptverhandlung das Dienstmädchen wiederholt die Richtigkeit ihrer früheren Aussage – durch einen Widerruf hätte sie sich ja selbst eines Meineids überführt – aber die von Bornstedt vorgelegten Schriftstücke legten ein vernichtendes Zeugniß wider sie ab. Der Stiefbruder zog es vor, von dem ihm als Verwandten zustehenden Rechte der Zeugnißverweigerung Gebrauch zu machen, dagegen sagte eine neue Zeugin, Frau Kothe, bei welcher die S. nach ihrem Abzuge von der Frau Steigerwald einige Zeit gedient hatte, unter anderem aus, ihre damalige Hausgenossin habe kurz vor der falschen Anzeige zu ihr geäußert, sie werde die Steigerwald schon hereinlegen, deren Stiefbruder werde ihr dazu verhelfen und den Eid werde sie schon leisten, den brauche man ja nur nachzuplappern. Auch die mittlerweile in einer Zwangspflege untergebrachte Edwine M. war inzwischen in sich gegangen und erklärte ihre frühere Aussage für erlogen. Sie habe dieselbe nur auf Zureden der S. gemacht.

Nach Schluß der Beweisaufnahme beantragte der Staatsanwalt, die Frau Steigerwald freizusprechen und die S. wegen Meineids in Haft zu nehmen. Es sei ihm, führte er aus, ganz zweifellos, daß die Angeklagte unschuldig verurtheilt worden sei auf Grund eines empörenden Lügengewebes, welches die S. gesponnen habe. Es handle sich hier um ein furchtbares Unglück, welches über die Frau hereingebrochen sei. Die Sache habe dasselbe Gewicht, wie wenn jemand ermordet oder dem Arzte, der helfen und operieren wolle, hinterrücks ein vergiftetes Instrument zugesteckt würde. Mit solchen vergifteten Instrumenten habe in diesem Falle der Gerichtshof operieren müssen, und deshalb falle die Schuld nur auf das Haupt derer, welche die Frevelthat verbrochen hätten. Das Gericht sprach denn auch, wie nicht anders möglich, die Frau Steigerwald frei und legte dem Staate die Tragung sämmtlicher Kosten und Auslagen auf. Der Vorsitzende erklärte nach Verkündigung dieses Urtheils, daß er bedauere, der schuldlosen Frau nach Lage der Gesetzgebung nicht mehr gewähren zu können.

Sie hatte anderthalb Jahre im Gefängniß gesessen und ihre Gesundheit eingebüßt.

Ein besonders greller Fall, der seiner Zeit großes Aufsehen erregte und die Theilnahme der Presse und des Publikums bis über den Ocean hinüber gewann, war derjenige des Mühlknappen Schrader in Kroppenstedt, welcher wegen Brandstiftung zu einer fünfzehnjährigen Zuchthausstrafe verurtheilt wurde; er hatte schon sieben Jahre davon verbüßt, als endlich das Licht erlösender Wahrheit in seine Kerkerzelle fiel. Auch in diesem Falle handelt es sich um eine, vom eigentlichen Thäter mit teuflischer List ins Werk gesetzte Ablenkung des Verdachts auf einen unschuldigen Dritten.

Am 3. November 1867 – wir folgen hier einem ausführlichen Berichte der „Magdeburger Zeitung“ – brannnte die dem Müllermeister Ferdinand Könnecke zu Kroppenstedt gehörige, in kurzer Entfernung vor dem Kirchthore daselbst gelegene Bockwindmühle ab, auf welcher der Mühlknappe Friedrich Schrader vom Sommer 1866 bis dahin 1867 gearbeitet hatte. Der Brandstifter wurde nicht ermittelt und Könnecke baute an derselben Stelle eine neue Mühle auf. Auch in dieser brach am 2. Mai 1869 morgens gegen drei Uhr Feuer aus, Feldarbeiler, die in der Morgenfrühe vorüber gingen, hatten die Mühle offen stehen und einen dunklen Gegenstand die Treppe hinab kollern sehen. Beim Näherkommen fanden sie den Müllerburschen Günther in scheinbar bewußtlosem Zustande dort liegen. Die Beine waren ihm mit einem Stricke und die Hände mit einem Stücke Weißzeug zusammengebunden. In der Mundhöhle stak ein Taschentuch. Die Jacke hatte bereits Feuer gefangen. Durch ärztliche Hilfe wieder ins Bewußtsein zurückgerufen, machte er die Angabe, es habe nachts zwei Uhr an der verschlossenen Eingangsthür der Mühle geklopft und eine Stimme habe gerufen: „Mach’ auf!“ Als er öffnete, seien zwei Männer mit geschwärzten Gesichtern eingetreten, von denen er den einen als den Mühlknappen Schrader erkannt habe. Dieser habe ihn sofort gepackt und dann, während der andere ihn von hinten festhielt, einen Stricks und ein Vorhemdchen herbeigeholt, um ihm Beine und Hände zusammenzubinden. Zuletzt habe Schrader ihm das Taschentuch aus der Tasche gezogen und in den Mund gestopft. Dann sei der zweite, ihm nicht bekannte Mann daran gegangen, den größeren Cylinder in der Mühle in Brand zu setzen, und da ihm dies nicht gelang, habe er den Versuch bei dem kleineren wiederholt, der dann auch bald in hellen Flammen aufgelodert sei. Darauf hätten sich die Eindringlinge entfernt. Ihm selbst habe die Angst vor dem Feuertode noch soviel Kräfte verliehen, daß er sich bis an die von den Brandstiftern offen gelassene Thür habe schleppen können, um sich von dort die Treppe hinab fallen zu lassen, worauf ihm das Bewußtsein geschwunden sei. Den ihm gegenüber gestellten Schrader bezeichnet er nochmals bestimmt als einen der Thäter auch der Kleidung nach, nur habe er eine andere und zwar eine rothgestreifte Jacke getragen. Schrader versicherte dagegen, überhaupt nur eine Jacke zu besitzen. Bei der Haussuchung fand sich indeß noch eine zweite und zwar rothgestreifte Jacke vor, welche allerdings ganz zerlumpt war.

Dieser Umstand und der weitere, daß Schrader während seiner Dienstzeit bei Könnecke einmal geäußert hatte, er werde an diesem schon noch Rache nehmen, ließen die Aussage des Günther begründet erscheinen. Am 12. Juli 1869 wurde der Angeklagte trotz seines beharrlichen Leugnens von dem Schwurgerichte zu Halberstadt der vorsätzlichen Brandstiftung und des versuchten Mordes für schuldig erklärt und zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurtheilt.

Am 21. Juli 1869 trat er seine Strafe im Zuchthause zu Halle an. Zwei Gesuche um Wiederaufnahme des Verfahrens blieben ohne Erfolg. Dabei wurde indeß doch etwas ermittelt,

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