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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Schrepfer auf der Erde in seinem Blute liegen: er hatte sich mit einem Terzerol in den Mund geschossen.

Noch in seinen letzten Briefen hatte er Andeutungen gegeben, daß eine fremde Hand für ihn zahlen werde, doch nichts derartiges geschah. In dem Kistchen des Frankfurter Bankhauses fanden sich werthlose Zettel und – Erde: die vornehmen Dresdener Brüder hatten das Nachsehen. Das Volk aber glaubte an Schrepfers Zaubermacht, und es hieß, er sei keines natürlichen Todes gestorben; man habe ihn unverletzt und die Kugel in seinem Munde gefunden, er sei durch die Macht seiner Geister der Erde entrückt worden.

Es ist ein trauriges Bild, welches uns dieser kurze Lebensabriß Schrepfers bietet; der Aberglaube und die Leichtgläubigkeit bei Hoch und Gering, welche zu jener Zeit in Deutschland herrschten, treten uns hier in greller Beleuchtung entgegen. Wohl ist eine Existenz wie diejenige Schrepfers heutzutage nicht möglich; aber es fehlt doch auch in unserer besseren Gegenwart nicht an einzelnen Spuren, welche es angezeigt erscheinen lassen, ihr einmal wieder ein warnendes Beispiel aus den Tagen der Cagliostro und Saint Germain vorzuhalten. Rudolf von Gottschall.     



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Alle Rechte vorbehalten.

Die Kamerunerin.

Eine romantische Geschichte von H. v. Götzendorff-Grabowski.

(2. Fortsetzung.)

Während der nächsten zwei Tage erwähnte Gerlach nichts davon, ob und mit welchem Erfolge er der Grützburger Post einen Besuch abgestattet habe, und Claudius nahm an, er betrachte den Scherz als erledigt. Um so mehr überraschte es ihn, den Unermüdlichen am dritten Abend wieder mit einem Briefe in der Hand bei sich eintreten zu sehen, mit einem umfangreichen, viereckigen Briefumschlag, welchen er lustig in der Luft schwenkte.

„Nachernte, Doktor, soeben im Schweiße meines Angesichts eingeheimst! Da müssen Sie schon verzeihen, daß ich Ihre stumme Zwiesprache mit dem griechischen Weisen auf Ihrem Schreibtische für einige Minuten unterbreche.“

„Kommen Sie näher, Gerlach! Nun, dieser Brief sieht wenigstens vertrauenerweckend aus. Das starke, elfenbeinfarbige Papier, die schöne, kräftige Handschrift nehmen gleich zu Anfang ein. Da fühle ich übrigens etwas Steifes, Festes; sollte das eine Photographie sein?“

„Zweifellos, öffnen Sie nur! Es geziemt sich, daß Ihre Hand das Bildniß entschleiert.“

Während Claudius nach dem Papiermesser langte, überkam ihn plötzlich ein Gefühl, als müsse dieser Brief etwas Besonderes für ihn enthalten, – ein Stück Schicksal, dem er sich mit dem ersten Messerschnitt für alle Ewigkeit verpflichte. Da erklang schon wieder die frische Stimme seines Gefährten:

„Warum zögern Sie? Ich brenne vor Ungeduld! Eine Ahnung sagt mir, daß Nummer fünf in Wort und Bild unsere Erwartungen weit übertreffen wird.“

Zwei schnelle, scharfe Schnitte und Brief und Porträtkarte lagen vor ihnen. Fast gleichzeitig brachen beide in ein heiteres Gelächter aus. Was sie sahen, übertraf in der That ihr Erwarten, wenn auch in anderm Sinne, als Gerlach gemeint hatte. Die Photographie – sie war übrigens aus einem der ersten hauptstädtischen Ateliers hervorgegangen und trug auf der Rückseite die Firma des Verfertigers – stellte ein weibliches Wesen von ganz besonderer Beschaffenheit dar, eine mahagonibraune, jugendliche Schöne mit riesigen Gliedmaßen, krausem Wollhaar, fabelhafter Stülpnase und breiten Polsterlippen, deren wohlwollendes Grinsen das große vergnügte Gesicht in zwei Hälften theilte. Diese junge Wilde hatte ihren dicken Hals und die unförmlichen Arme über und über mit Schnüren von Glasperlen und sonstigem Flittertand behängt und mochte wohl so ihres Eindrucks auf „Jung Afrika“ nicht verfehlen. Die beiden Ritter von der Drachenburg jedoch huldigten einem andern Schönheitsbegriff und konnten deshalb nicht umhin, sich bei dem unerwarteten Anblick dieser fremdartigen Reize ehrlich zu entsetzen. Andrerseits blickte das dicke Mädchen so harmlos freundlich und sein Grinsen wirkte so unwiderstehlich erheiternd, daß man ihm trotz seiner Scheußlichkeit beinahe gut sein mußte. Jedenfalls war der Scherz – daß es sich um einen solchen handle, stand ja außer Frage – drollig genug, um selbst das Opfer desselben, Ernst Claudius, aufrichtig zu ergötzen. „Nun hat meine Thorheit noch zuguterletzt irgend einem Spaßvogel die erwünschte Gelegenheit zur Ausführung eines lustigen Einfalls gegeben,“ sagte er gutmüthig. „Sei’s denn! Ich muß meinen Kelch nun schon bis zur Hefe leeren.“

Die ‚Hefe‘ ist in diesem Falle der Brief. Also – die schwarzbraune Jungfrau bittet ums Wort:

      ‚Mein Herr!
Sie müssen in der That recht wenig von den Mädchen Ihrer Zone, insbesondere von jenen Ihrer eigenen Bildungsstufe wissen, um sich einzubilden, eine wohlerzogene junge Dame mit den von Ihnen erwähnten Eigenschaften werde Ihre Anfrage der Beachtung, geschweige denn der Beantwortung werth halten! Ach, und von welcher Art müssen Sie selbst sein, um sich das Wohlwollen einer Frau von Bildung und Gemüth auf einem solchen Umweg, durch ein solches gegen jedes zarte Gefühl verstoßende Mittel erwerben zu wollen!

Sie wünschen ein weibliches Wesen zu finden, welches sich von der für Sie unleidlichen deutschen Durchschnittsjungfrau vortheilhaft unterscheidet, indem es in seinem Aeußern die vollste Unabhängigkeit von der herrschenden Tagesmode zur Schau trägt, unbeengt von Anerzogenem und Vorgeschriebenem handelt und lebt, wünschen seine Bekanntschaft zu machen unter Umgehung des ‚herkömmlichen Weges‘, also ohne Rücksicht auf alle sonst in der guten Gesellschaft unerläßlichen Formen – – und Sie suchen dieses Wesen unter den Töchtern des gebildeten Deutschland?! Zuviel Ehre für Ihre Landsmänninnen, in der That! Warum wenden Sie sich nicht lieber nach Kamerun, mein Herr? Dort können Sie ‚ungestraft unter Palmen wandeln‘, das heißt ohne die Zwangsjacke der gesellschaftlichen Sitte umherlaufen, aufs formloseste Bekanntschaften anknüpfen und Seelenfreundschaften mit einer Schnur Glaskorallen einleiten. Luxusartikel wie Takt und Zartgefühl werden da nicht verlangt, auch stellt dort das weibliche Geschlecht nicht wie bei Ihnen die lächerliche Forderung auf, für etwas Besonderes angesehen, hochgehalten und verehrt, mit Rücksicht und Feinsinn behandelt zu werden. Keine modern europäische Erziehungsanstalt, keine Pariser Kleidermode, keine Nummer des ‚Bazar‘ oder der ‚Modenwelt‘ beleidigt in Kamerun Ihr Auge; dieses erfreut sich vielmehr überall an der wohlthuendsten Natürlichkeit … Daß die weibliche Jugend von Kamerun trotzdem nicht der Anmuth und Lieblichkeit entbehrt, beweist Ihnen die beifolgende Photographie, welche, wie Sie sehen, ein Duallamädchen in seiner ebenso geschmackvollen als anspruchslosen Nationaltracht darstellt. Wäre es nicht eine anziehende und lohnende Aufgabe für Herrn Freimuth aus Grützburg, sich dieses vom Gifthauch der Civilisation unberührte, durch keine europäische Erziehungspresse verdorbene Kind der Natur zu dem Edelstein heranzubilden, welchen er sonst niemals und nirgends finden dürfte –?

Es würde der Schreiberin dieser Zeilen eine große Genugthuung gewähren, Herrn Freimuth aus Grützburg zur Klarheit über seine Wünsche und zur Aussicht auf deren Verwirklichung verholfen zu haben.‘“

„Weiter, lieber Gerlach, weiter!“

„Der Brief ist aus, Doktor. Ich meine auch, wir könnten an dem Genossenen reichlich genug haben. Es läßt sich nicht gerade behaupten, daß Nummer fünf ein Blatt vor den Mund genommen hätte!“

„Durchaus nicht!“ entgegnete Claudius vergnügt. „Aber das ist ja gerade das Hübsche an der Sache! Verdiente ich denn nicht eine Bestrafung? Wahrhaftig, Gerlach, mich hat diese geharnischte Epistel einer für die Ehre ihres Geschlechtes Kämpfenden erfrischt und erquickt wie bei dreißig Grad Réaumur ein Quellbad! Es giebt also doch noch Mädchen, welche das Herz auf dem rechten Flecke haben!“

„Und die Zunge, bester Freund! Daß Nummer fünf das letzte Wort behalten will, ist auch echt weiblich. Der Brief hat keine Unterschrift, also will man keine Antwort.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_540.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2023)